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Alltag in Zeiten von CoronaNavigieren im Unheimlichen

Barbara Dribbusch
Kommentar von Barbara Dribbusch

Das Coronavirus setzt gewohnte Maßstäbe außer Kraft. Damit steigt die Selbstverantwortung. Autoritäten helfen nur bedingt.

Aufnahme einer Wärmebilkamera von Menschen auf einem U-Bahn-Steig Foto: Fabrizio Bensch/reuters

Z uerst hat man gewitzelt: Corona! Die schlimmste Seuche ist die Angst vor der Seuche! Wer besonders cool wirken wollte, winkte mit einer Corona-Bierflasche in die Kamera. Vorbei, vorbei. Infizierte tauchen im persönlichen Umfeld auf, die Reise wurde abgesagt, dann das Konzert, dann der Verwandtenbesuch, die Fahrt in einer vollbesetzten U-Bahn wird zur Bedrohung – und jetzt werden auch noch Tausende von Eltern vor die Frage gestellt, was sie mit ihren kleinen Kindern machen sollen, weil vielerorts Schulen und Kitas geschlossen werden.

Corona ist unheimlich, weil die Bedrohung neu ist, weil sie wächst und damit auch immer härtere Maßnahmen erforderlich scheinen, um das Unheil zu verlangsamen. Und dabei kann man nicht mit dem Finger auf irgendwelche Schuldigen, auf politisch Verantwortliche zeigen, was sehr ungewohnt ist für unsere Gesellschaft. Eine Demo gegen die Ausbreitung des Virus mit ein paar Tausend TeilnehmerInnen wäre ein Widerspruch in sich, harhar. Jeder kann zum Opfer oder eben als leichtsinniger Überträger auch zur Täterin, zur Mitverantwortlichen werden. Diese Ambivalenz verändert die Perspektive.

Das Problem ist die Unwägbarkeit der Infektionskette. Die Bekannte A. kommt aus Italien mit dem Flieger nach Hause, Freundin B. holt sie ab, herzliche Umarmung. Einige Tage später stellt sich heraus: A. ist positiv. B. muss 14 Tage in Quarantäne. Doch was machen C. und D., mit denen B. zuvor lustige Stunden verbrachte, in dieser Zeit?

Soll man als Kontaktperson zweiten Grades weiter ins Großraumbüro marschieren, einen Schal straff vor das Gesicht gebunden, und erklären, dass man vielleicht über eine Mittelsfrau infiziert ist, vielleicht aber auch nicht, und den KollegInnen das neueste Wissen über Inkubationszeiten und Risikogruppen nahebringen? Ähnlich ratlos sind Menschen mit Schwerkranken, mit Hochaltrigen im Bekanntenkreis. Soll man die krebskranke Freundin besuchen, und was ist mit der alleinstehenden Nachbarin, die sich nicht mehr aus dem Haus traut aus Angst vor Ansteckung?

Ab heute ist was anders

Autoritäten helfen nur bedingt, auch das gehört zur Krise. Die Amtsärztin rät der Kontaktperson zweiten Grades dazu, zwar keine Quarantäne einzuhalten, sich aber viel die Hände zu waschen und räumlichen Abstand zu halten zu den Menschen in der Umgebung. Hm. Auf der Website der Berliner Charité heißt es, dass Tests in den ersten 14 Tagen nach einer Ansteckung bei Menschen ohne Symptome falsch negative Ergebnisse bringen können, weil das noch die Inkubationszeit ist. Tja.

Zwei Drittel der Bevölkerung in Deutschland könnten sich anstecken, sagt die Bundeskanzlerin. Zwei Drittel. Es hilft ja nichts, heimlich darauf zu setzen, dass man noch nicht über 80 Jahre alt ist und keine schwere Vorerkrankung hat. Wir alle sind Gefährder, potenziell. Wenn eine Kanzlerin den BürgerInnen rät, aus Solidarität so­ziale Kontakte zu vermeiden, weiß man: Ab heute ist was anders.

Am Ende trägt jedeR die Verantwortung für den persönlichen Corona-Kompromiss aus Abschottung, Solidarität und Hilfsbereitschaft. Zum Partner freundlich sein, wenn man in der Quarantäne dicht aufeinanderhockt, ist schon mal das Mindeste. Vielleicht der älteren Nachbarin Botengänge anbieten, weil sie nicht vor die Tür ­gehen will, hilft gegen die Isolation. Ältere Menschen sollte man nur mit Gesichtsmaske aufsuchen, um keine Viren zu verbreiten. Der Freundin in Quarantäne stellt man eine große Tüte mit Biolebensmitteln vor die Tür, wobei sich ein paar Scheiben Lachs und Sekt als Beigabe gut machen.

Corona setzt gewohnte Maßstäbe außer Kraft. Es gibt Gesellschaften auf der Welt, in Kriegen und Katastrophen, für die der Ausnahmezustand, das Sich-Verkriechen, ein zerstörtes öffentliches Leben, der Alltag sind und die Bedrohung viel, viel größer ist. Man kriegt als wohlständige Westlerin plötzlich eine ganz entfernte Ahnung davon. Und erschauert.

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Barbara Dribbusch
Redakteurin für Soziales
Redakteurin für Sozialpolitik und Gesellschaft im Inlandsressort der taz. Schwerpunkte: Arbeit, soziale Sicherung, Psychologie, Alter. Bücher: "Schattwald", Roman (Piper, August 2016). "Können Falten Freunde sein?" (Goldmann 2015, Taschenbuch).
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31 Kommentare

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  • Great blog that help people to more aware about "Coronavirus". It was really informative stuff that you have written in your post. Keep posting!

  • l'humanità, la corona della creazione :-)

  • Vielleicht verzichtet die wohlständige Westlerin lieber zum Wohle der nächsten Generation auf Produkte aus mariner Aquakultur, als zum Wohle der letzten auf eine präzise Analyse.



    Natürlich lassen sich politische Fehler anklagen.



    Die deutsche Corona-Statistik ist genauso geschönt, wie die Arbeitslosenzahlen.



    Was hatte die Bertelsmannstiftung zur Krankehausversorgung vorgeschlagen? Schließungen, wenn ich mich nicht irre.



    Wenn die Regierung uns alle unter Hausarrest stellt, wie es in anderen europäischen Staaten diskutiert wird, bin ich mal gespannt, ob wir rechtsextreme Umstürzler auf den Straßen sehen.



    Vielleicht wird dann die politische Dimension für die Firstworlder auch sichtbar.

    Kommentar bearbeitet. Bitte halten Sie sich an die Netiquette.



    Die Moderation

  • Pandemie-Szenario der Regierung



    "Die medizinische Versorgung bricht bundesweit zusammen“

    Noch ist unklar, wie die Coronavirus-Pandemie weiter verlaufen wird. Eine Risikoanalyse der Bundesregierung von 2012 zeigt aber: Die Behörden waren gewarnt.

    www.tagesspiegel.d...mmen/25637470.html

    • @Weber:

      In der Vorwarnung steht aber nichts vom Gegenmittel. Da wollte das Virus nicht zuvor mit rausrücken. Insofern ist die Information eine Binse.



      Gewarnt waren damit übrigens auch Opposition Medien und mit den vielen Viren Spielfilmen ("Twelve Monkeys") selbst jede Couch Potato.

      Was also wollen Sie mit der Info aussagen?

  • Die kleinen Firmen können nicht lange ohne Umsätze bleiben - sie brauchen öffentliche Gelder - und die gibt es durch Schäuble reichlich. Der deutsche Staat ist superreich.



    Die Public Health Maßnahmen hingegen sollten nicht zu früh gelockert werden - damit nicht 5 Virusmutationen weiter grassieren.



    Das ist ein Zielkonflikt und der erfordert öffentliche Steuerung und nicht einfach alles dem privaten Zufall überlassen.



    Privatkliniken sind eine Unverschämt heit. sie müssen alle zu Notaufnahmen aller Art verpflichtet werden.



    Dann, wenn diese Änderungen so regiert werden, dass auch die Bonzen eingeschränkt werden, sind auch die 85% Ärmeren bereit, ihren Teil beizutragen - statt nur Arsch hu zu flüchten.

  • Wirklich überraschend ist im Zeitalter des Massentourismus doch eigentlich nur, dass eine Pandemie dieser Ausprägung nicht schon viel früher mal eingetreten ist.



    Burgmauern haben dagegen früher schon nicht geholfen und werden es heute auch nicht können. Ich sach's mal so (als einer, der zur Risikogruppe gehört): Was uns nicht tötet, macht uns nur härter.

    • @Rainer B.:

      evolution at work...

      • @Fabian Wetzel:

        That's it.

  • In Wuhan, der am schlimmsten betroffenen Stadt China, sind ca. 0.35% der Bevölkerung infiziert. 60-70%? Das wäre eine Katastrophe "biblischen Ausmaßes.



    Covid-19 ist eine Naturkatastrophe, aber wie schlimm sie wird, hängt vom menschlichen Handeln ab. Die Beispiele Chinas, aber auch Singapurs, wohl auch Südkoreas, zeigen, daß Covid-19 durch entschlossenes Handeln eingedämmt werden kann.

    • @Blauer Apfel:

      Das kann so aber nicht stimmen. 0,35% entspricht eher der Sterblichkeitsrate, obwohl die von führenden Virulogen bei 0,5 - 0,8% gesehen wird.

      • @Rainer B.:

        Wuhan insgesamt 49 995 diagnostizierte Fälle bei 14 000 000 Einwohnern = 0.357 %



        Ja, es gibt eine Dunkelziffer, aber nicht allzu hoch. Die Gesundheitsbehörden sind von Haus zu Haus gegangen wie bei einer Volkszählung und haben jeden einzelnen Einwohner nach Symptomen und Kontakten befragt und bei Verdacht getestet,

        • @Blauer Apfel:

          s.u. / s.o.

      • 9G
        97287 (Profil gelöscht)
        @Rainer B.:

        Nur von den getesteten, und davon nur von den positiv getesteten.Von ca 3000 positiv getesteten sind bisher 4 gestorben, 1 in Ägypten., also ca 0,1%.



        Aber evtl. rechnet die Wissenschaft anders. Wenn z.b. In Berlin in einer Notaufnahme/ Tag nur maximal 180-200



        Tests durchgeführt werden können, macht das ca. 1000 Test/ Tag. Wenn 100 davon positiv sind, müsste alle 30 Tage ein Berliner sterben. In diesem Jahr sind in Berlin schon mehr Radfahrer gestorben.

        • @97287 (Profil gelöscht):

          Sicher - man wird gar nicht alle testen können, aber in eine wissenschaftliche Auswertung können doch immer nur die eindeutig nachgewiesenen Fälle einfließen. Insofern halte ich die Angaben aus China auch für reine Makulatur.

  • Nur mal so der Hinweis an diejenigen, die das "Chinesische Modell" für DE und die EU fordern, (Städte abriegeln, Grenzen dicht machen, Informationskontrolle, Verhaftungen, Regierungspropaganda, die KP hat immer recht...):

    Unser Föderalismus ist eine Schutzmauer gegen den Einen, der bestimmen will, was für Alle gelten muss. Freiheiten mussten erkämpft werden. Sie aufzugeben heißt, sie dauerhaft zu verlieren. Denn es wird immer Gründe geben, weshalb sie nicht, noch nicht oder gar nicht mehr zurückgegeben werden.

    Menschen sind sterblich! Dass ist es, was wir in unseren Wohlstandstürmen oder im SUV akzeptieren und begreifen müssen.

    • @Drabiniok Dieter:

      Das chinesische Modell ist durch Rücksichtnahme zu ersetzen.

      Davon merke ich wenig, das habe ich aber auch in unserer Ich-Gesellschaft nicht anders erwartet. Aber vielleicht lernen Menschen ja noch.

      Damit nicht so viele direkt begreifen müssen, dass Menschen sterblich sind, müssen andere akzeptieren, dass sie nicht der Mittelpunkt des Universums sind und machen können, was sie wollen.

      Also nochmal: denkt nach und nehmt Rücksicht. Und stehlt nicht die Sterilium-Behälter aus den Krankenhäusern, Idioten!

      • @bärin:

        Absolute Zustimmung!

  • 9G
    90118 (Profil gelöscht)

    die einzig substanziell belastbare aussage zu corona wurde donald trump von der eu geschenkt. natürlich hat die eu verkackt - und füttert damit den selbsternannten corona-krisenmanager trump in seinem land.



    und bundesweit kann man sich auch nicht einmal auf "extra schulferien" einigen.



    hauptsache, die wirtschaft muss nicht so leiden? das wird sie wohl um so stärker, je mehr zeit jetzt mit solchen spielchen verschenkt wird.

    • @90118 (Profil gelöscht):

      Panik, Panik.

      Genau das können wir gebrauchen.

      Wenn Sie bisher aufgepasst hätten, wüssten Sie:

      - das Besondere an Covid-19 ist die rasante Ausbreitungsrate;



      - da erst vielleicht in zwei Monaten (oder länger) mit einer Impfung zu rechnen ist, wird ein Grossteil von uns wahrscheinlich angesteckt werden;



      - die meisten davon werden es kaum merken;



      - einige schon: um die Gesundheitssysteme (Intensivbetten, etc.) nicht zu überlasten gilt es jetzt, die Ausbreitung zu verlangsamen.

      Substanziell belasbare Aussagen gibt es viele (aber sicher nicht von Trump). Siehe die Links zum Robert-Koch-Institut in einem anderen Kommentar.

      • @tomás zerolo:

        Mit einem Impfstoff ist allerfrühestens in eineinhalb Jahren zurechnen.

      • 9G
        90118 (Profil gelöscht)
        @tomás zerolo:

        nix panik, missverständnis!



        agieren!

        • @90118 (Profil gelöscht):

          "agieren!"

          Sach' ich doch ;-D

  • Wer sich als älterer Mensch, mit Grundsicherung im Alter, aus Angst nicht mehr zur Tafel traut, freut sich bestimmt über die Biolebensmittel, den frischen Lachs und die Flasche Sekt, die ein/e nette/r Nachbar vor die Tür stellt. Aber vielleicht würde es ja genügen, wenigstens eine Dose Ravioli, eine Tüte Nudeln oder Suppe und eine Rolle Klopapier vorbei zu bringen. Aber selbst Dinge diese sind, 500 m von der französischen Grenze entfernt, in drei Zweigstellen von großen Diskountern ausverkauft. Bin mal gerade spaßeshalber herum gefahren, um mir ein Bild zu machen. Die Parkplätze voll, die EK-Wagen voller und die Kassiererinnen sagen, dass es schlimmer wäre als kurz vor Weihnachten.

    "Das Ende ist nah" Rufer, braucht unsere Jeder ist sich selbst der Nächste Ellenbogengesellschaft nicht. Wenn es am Beginn dieser Krise schon solche irrationalen Auswirkungen auf das individuelle Verhalten gibt, dann Gnade uns...wer auch immer, vor den nächsten Wochen!

    • @Drabiniok Dieter:

      "...die Kassiererinnen sagen, dass es schlimmer wäre als kurz vor Weihnachten."

      Der Marktleiter hat da sicher eine andere Meinung :P

      Ich gebe Ihnen Recht, das Beängstigendste an der ganzen Corona-Sache ist, wie leicht einige (garnicht soo wenige) Menschen in Irrationalität verfallen.



      Erinnert sich noch jemand an die komische EHEC-Seuche? Menschen hatten Angst vor Gurken, so viel Angst, dass die meisten Supermärkte nicht mal mehr Gurken angeboten haben.



      Mit jeder "Krise" verliere ich mehr Achtung vor dem Menschen an sich.

      Ihren letzten Absatz fand ich so gelungen, ich kopiere ihn einfach dreist. :)

      "Das Ende ist nah" Rufer, braucht unsere Jeder ist sich selbst der Nächste Ellenbogengesellschaft nicht. Wenn es am Beginn dieser Krise schon solche irrationalen Auswirkungen auf das individuelle Verhalten gibt, dann Gnade uns...wer auch immer, vor den nächsten Wochen!

  • ich wunder mich... in China hat`s die Staatsmacht gerichtet und bei uns reicht Händewaschen und freiwillige Selbstbeschränkung?



    Immerhin hat sich der allgemeine Sprachgebrauch auch schon darauf festgelegt, das 60-70% der Bevölkerung erkranken müssen. Etwas weil dann der Schock schon mal nicht so groß ist?



    ernsthafte Versuche der Eindämmung werden nicht durchgeführt, es muß noch abgewogen werden.. könnte sein das es ja gar nicht so schlimm ist und das Virus sich umstimmen lässt... D ist ja nicht Italien... aber eben auch nicht China.



    Rückläufige Zahlen sind hier nicht zu erwarten.



    Vielleicht ist die Coronagrippe ja wirklich nicht so schlimm und wir fragen uns hinterher, wieso diese Aufregung um einen Husten, mag sein. Vielleicht haben wir Glück. Nur ein Blick nach Italien in die Krankenhäuser und nach China und den dortigen Maßnahmen lässt auf nichts Gutes hoffen.



    Wenn diese Epidemie bekämpft werden soll, wenn, dann muß etwas ernsthaftes von staatlicher Seite unternommen werden. Oder man kommuniziert eben ehrlich, uns ist die Freiheit, der Wirtschaft und des Einzelnen ein so wichtiges Gut, das wollen wir nicht einschränken. Auch gut. Kann man machen. Man muß aber wenigstens ehrlich sein und das sagen.



    Dann wüsste ich woran ich bin und packe meine Sachen. So hoffe ich noch.



    Mit den warmen Worten der Kanzlerin, die, wahrlich besonnen gesprochen " ... ich ... wünsche, dass wir diese Probe auch bestehen.“ ohne Maßnahmen zu benennen, die Krise zu managen ist kein Virus zu bekämpfen.



    Fatalistischer als das geht`s kaum noch....

    • @nutzer:

      Sie wollen packen? Gute Reise! Südlich der Sahara ist es bislang noch sicher!

    • @nutzer:

      Haben Sie in den letzten Tagen und besonders heute keine Nachrichten gelesen? Oder wie kommen Sie zu der Ansicht, dass bei uns die staatlichen Institutionen nicht reagieren würden? Und woher wissen Sie, dass die Maßnahmen in China wirklich so erfolgreich waren? Aus eigener Anschauung oder nur von der chinesischen Staatspropaganda?