Neuwahlen in Österreich: Aus der Alptraum
Die Ultrarechts-Koalition in Österreich ist kollabiert. Bundeskanzler Sebastian Kurz versucht nun, sich als Retter aus der Krise zu inszenieren.
„Ibiza, Ibiza“, riefen lachende Teenagergruppen. Später wurde zu Michael Jackson getanzt. Schon den ganzen Tag über hatten bis zu 10.000 Menschen den Regierungssitz belagert, während hinter den Gemäuern die Rechts-Ultrarechts-Koalition von Sebastian Kurz in einer unkontrollierten Kernschmelze kollabierte.
Erwartet hatte das niemand. Seit Monaten regierte die Koalition stabil, war trotz Eskapaden und rechtsradikaler „Einzelfälle“ – ein österreichischer Euphemismus für endlose Skandalabfolgen – im Umfragen unangefochten und spulte ihr Programm ab: Aufganselung der Bürger und Bürgerinnen, autoritärer Umbau des Staates, zunehmende Kontrolle über die Medien, Diskreditierung von Zivilgesellschaft und Opposition.
Als nächstes hatte sie sich vorgenommen, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk mit einem neuen ORF-Gesetz an die Kandare nehmen zu wollen. In all diesen Plänen gab es im Grunde keine Differenz zwischen Sebastian Kurz, dem rechtspopulistischen Kanzler, und der FPÖ, seinem extremistischen Koalitionspartner. Allenfalls im Stil unterschied man sich. Dass das noch länger so weiter geht, damit hatten die meisten fix gerechnet. Nein, korrekter: dass all das schleichend immer schlimmer wird.
ist Journalist, Sachbuchautor und taz-Kolumnist. Er lebt in Wien. Sein jüngstes Buchiast erschienen im Picus Verlag und heißt "Herrschaft der Niedertracht. Warum wir so nicht regiert werden wollen".
Und mit einem Male ist das alles vorbei. Seitdem am Freitag Abend, Punkt 18 Uhr, „Der Spiegel“ und die „Süddeutsche Zeitung“ das skandalöse Video aus dem Jahr 2017 veröffentlichten, in denen Vizekanzler und FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache und sein Fraktionschef im Parlament, Johann Gudenus, einer vorgeblichen russischen Oligarchentochter versprachen, das halbe Land zu verscherbeln, wenn sie es schaffe, die mächtige „Kronen-Zeitung“ zu erwerben, baute sich eine Tsunami-Welle auf, die die Regierung innerhalb wenig mehr als 24 Stunden unter sich begrub.
Gescheiterte Existenzen
So skandalös und enthüllend dieses Video ist – die beiden gerieren sich teils wie besoffene Halbstarke, teils wie Zuhältertypen, teils wie gescheiterte Existenzen -, so ist das eigentlich Erhellende aber, dass man hier sieht, was man eigentlich weiß: sie sprechen unverschämt über all das, was seither ja passiert. Orbanisierung des Landes, der Staat als Beute. Im Grunde beschreiben sie nur in Pöbelsprache das, was die Kurz-Strache-Regierung in 17 Monaten so ähnlich abhakte.
Was auf diesem Video zu hören ist, ist so ungeheuerlich, dass die Frage, wie es zustande kam, letztendlich weit zurück tritt. Dennoch ist das natürlich ein Thema, das alle interessiert. Das Video wurde wenige Monate vor der letzten Nationalratswahl aufgenommen. Wer immer es erstellte, hat viel Zeit und Geld investiert: eine offenkundige Schauspielerin wurde auf Oligarchin getrimmt, sie machte sich an Johann Gudenus heran, was sicher einige Wochen brauchte. Es wurde eine Villa auf Ibiza gemietet und mit Video- und Überwachungstechnologie ausgestattet. All das ist nicht mit ein paar zehntausend Euro zu finanzieren, zumal, wenn du den Lebensstil einer Milliardärin imitieren musst. Wer war's?
Ein Geheimdienst, Politsöldner der politischen Konkurrenz, Leute, die auf eigene Rechnung agierten? Warum haben sie das Video dann nicht schon im Vorfeld der Nationalratswahl benutzt? Hinzu kommt: Diejenigen, die dieses Video produzierten müssen nicht identisch mit jenen sein, die es jetzt benutzten. Vielleicht wollte jemand den Wahlkampf 2017 beeinflussen, hat aber dann vorgezogen, das Zeug später an interessierte Stellen zu verkaufen. Im Wahlkampf 2017 haben sich genug zwielichtige Figuren sowohl im Umfeld der SPÖ als auch im Umfeld von Sebastian Kurz und seiner ÖVP bewegt, denen man ein Investment auf Halde und sogar auf eigene Rechnung zutrauen kann.
Kommunikationstalent Kurz
Klar ist: Mit dem Umbau des Landes zu einem rechten, autoritärem Regime à la Orban ist es jetzt vorbei. Die FPÖ wird lange nicht mehr in eine Regierung einziehen. Selbst ein Kollaps der Partei ist nicht völlig undenkbar. Vieles deutet darauf hin, dass sie binnen weniger Tage auch aus der Landesregierung des Burgenlandes fliegt (hier regiert sie mit der SPÖ). Dann gibt es noch eine ÖVP-FPÖ-Koalition in Oberösterreich.
Sebastian Kurz wird, wenn er Kanzler bleibt, mit anderen Partnern regieren – sei es mit der SPÖ, sei es mit den Grünen, sei es mit den rechtsliberalen Neos. In solchen Konstellationen ist im schlimmsten Fall eine Art „Thatcherismus light“ möglich, aber kein weiterer autoritärer Totalumbau des Landes. Sebastian Kurz versucht jetzt, aus der Krise gestärkt hervor zu gehen. Er habe es mit der FPÖ versucht, er habe einen Plan, er habe vieles runter geschluckt, aber es habe sich erwiesen, dass mit dieser Partei eben nicht zu regieren ist – das war seine Kommunikationsstrategie, mit der er die Regierung kündigte und zugleich den Wahlkampf eröffnete.
Gut möglich, dass das aufgeht, und Kurz sehr viele Wähler von der FPÖ gewinnt. Er ist schließlich ein Kommunikationstalent und geschickt darin, sich als Retter aus Krisen zu inszenieren, die er letztendlich selbst verursacht hat.
Erfinder der „Ibizakoalition“
Aber welche Verheerungen eine solche Tsunamiwelle anrichtet, die gerade über dieser Regierung nieder geht, ist nie exakt vorauszusagen. Auch der Erfinder der „Ibizakoalition“ steht jetzt im Sturm: schließlich hat Kurz zwei Regierungskrisen inklusive Neuwahlen innerhalb von 24 Monaten zu verantworten, weshalb wohl auch der Ruf stärker werden wird, dass er selbst den Weg frei macht zu einem Neuanfang in der österreichischen Innenpolitik. Wie auch immer das ausgeht, eines ist klar: Das Schlimmste, was Österreich noch blühen kann, ist ein konservativer Kanzler mit liberalem oder linkem Koalitionspartner. Das Abenteuer „Rechtsextremismus und Niedertracht an der Macht“ hat das Land nach 17 Monaten überstanden – schneller, als das die unverbesserlichsten Optimisten erwartet hätten.
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