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Wohnungspolitik linker ParteienAlles auf Anfang

Klare Kante in der Wohnungspolitik: SPD, Linke und Grüne stehen gegen Union und FDP. Aber nur, weil sie liberale Positionen revidiert haben.

Gegen Verdrängung, gegen Mietensteigerung: Mieter beim Protest in Berlin Foto: Christian Mang

Nach einer Weile holt Bernhard Daldrup einen alten Suhrkamp-Band aus dem Regal seines Abgeordnetenbüros. Alexander Mitscherlich, „Die Unwirtlichkeit der Städte“, ein Klassiker der linken Literatur der 60er Jahre. Die Seiten sind vergilbt, ganze Passagen unterstrichen. Daldrup hat ihn im Studium gelesen. Später war der heute 62-Jährige lange Leiter des Stadtplanungsamtes im westfälischen Beckum, inzwischen ist er Obmann der SPD-Fraktion im Bundestagsausschuss für Wohnen.

Man kann mit Daldrup, einem SPD-Linken, über Mitscherlich reden, über Stadtplanung, über Bauen in ländlichen Gebieten. Vor allem aber über Fehler. Die der SPD und seine eigenen: „Früher konnte ich es nachvollziehen, wenn sich Städte von ihren Wohnungsbeständen getrennt haben und das Geld zum Haushaltsausgleich nutzen mussten oder für etwas anderes wie etwa den Straßenbau ausgegeben haben.“ Heute sieht Daldrup das anders: „Die öffentliche Hand muss Wohnungen für breite Schichten zur Verfügung stellen.“

Sozialdemokraten und Sozialisten haben ihre Zeitungen gerne Vorwärts oder Avanti genannt; die Grünen plakatierten in ihrer Anfangszeit „Wir sind weder rechts noch links, sondern vorne“. Vorwärts immer, rückwärts nimmer. Aber in der Wohnungsfrage haben sich Linke in den letzten zwei Jahrzehnten im Kreis gedreht. Zu Anfang verkauften Bund und Kommunen große öffentliche Wohnungsbestände, unterstützt von SPD, Grünen und Linken. Heute hätten viele die Bestände gerne zurück.

Spricht man mit Vertretern linker Parteien, schwärmen fast alle von Wien, wo der Anteil öffentlich gebundener Wohnungen über 50 Prozent liegt. Aber während viele Kommunen zum Beispiel ihre einst veräußerten Stadtwerke längst zurückgekauft haben, sind sie bei privatisierten Wohnungen zögerlich: Weil der Wohnungsmarkt weitgehend privatisiert und zu wenig reguliert wurde, sind die Preise so explodiert, dass sich die Kommunen kaum leisten können, Wohnungen im großen Stil anzukaufen.

Wie keine andere Stadt steht Berlin für die Privatisierungswelle der nuller Jahre und das Hin und Her der linken Parteien. Der rot-rote Senat verkaufte 2004 angesichts der immensen Verschuldung des Landes die Wohnungsgesellschaft GSW. Ihre Bestände gehören inzwischen zur Deutschen Wohnen. Andere Berliner Wohnungsgesellschaften verkauften einzelne Häuser. Ergebnis: Von den knapp 400.000 öffentlichen Wohnungen Berlins im Jahr 2000 waren sieben Jahre später noch 260.000 übrig. Die Grünen, seinerzeit auf striktem Sparkurs, kritisierten den rot-roten Senat: 160.000 städtische Wohnungen würden reichen.

Die öffentliche Hand muss Wohnungen für breite Schichten zur Verfügung stellen

Bernhard Daldrup, SPD

Als nach jahrelanger Rezession Berlins Wirtschaft ab Ende der nuller Jahre wieder ebenso wuchs wie die Bevölkerung, stiegen die Mieten wie in kaum einer anderen deutschen Stadt. 73 Prozent der Wohnungen gehörten 2007 privaten Eigentümern – das Land hatte kaum noch Einfluss auf den Wohnungsmarkt.

Dennoch änderte die Berliner Landespolitik nur langsam ihren Kurs: In bescheidenem Umfang werden heute wieder Sozialwohnungen errichtet, die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften bauen wieder, die Mietpreisbremse ist flächendeckend in Kraft. Große Wirkungen hat dies alles nicht. Die Deutsche Bank prognostizierte kürzlich, Berlin könnte in Zukunft zu den teuersten europäischen Städten gehören.

Wird nun alles besser? Vor zwei Wochen bot Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller der Deutschen Wohnen an, die einst privatisierten Wohnungen zurückzukaufen. Käme es dazu, wäre die rot-rote Politik nach 2002 so gut wie abgewickelt. Allerdings zu hohen Kosten: Berlin hat die GSW-Wohnungen 2004 für 405 Millio­nen Euro verkauft, heute beträgt der Buchwert etwa 7 Milliarden Euro.

Müller reagiert unter dem Druck der Umfragen: Seine SPD liegt nur noch bei 15 Prozent, hinter den Koalitionspartnern Grüne und Linkspartei. Zudem soll im Frühjahr ein Volksbegehren starten: „Deutsche Wohnen & Co enteignen.“ Die linken Aktivisten wollen alle Wohnungsunternehmen, die mehr als 3.000 Wohnungen in Berlin besitzen, enteignen. Entschädigungen sollen unter dem Marktwert erfolgen. Ob das rechtmäßig ist, werden Gerichte entscheiden müssen. Dennoch haben sich einige Grüne und die Linkspartei bereits hinter das Volksbegehren gestellt.

Dürfen Kommunen die Miete deckeln?

Damit nicht genug. Ebenfalls im Januar folgte die zweite mietenpolitische Sensation binnen kurzer Zeit aus Berlin. Als der Bund und die Kommunen ihre Wohnungen in den neunziger und nuller Jahren privatisierten, versäumten sie, ein stärkeres Mietrecht als Ausgleich zu schaffen. Damals waren die Mieten billig, die Nachfrage nach Wohnungen gering. Die Städte seien fertig gebaut, Zuzüge in größerem Umfang nicht mehr zu erwarten – das dachten auch viele Sozialdemokraten, Linke und Grüne. Als die Städte wider Erwarten wuchsen, regierte wieder im Bund die Union, die fast alle Vorschläge für einen schärferen Mieterschutz blockierte.

Jahrelang glaubten alle, alleine der Bund sei für das Mietrecht zuständig. Aber dann veröffentlichte Ende 2018 der Berliner Jurist Peter Weber in einer Fachzeitschrift einen Aufsatz. Weber argumentiert, dass Kommunen das Recht haben, selbst in die Miethöhe einzugreifen. In den drei Berliner Regierungsparteien las man Webers Aufsatz interessiert. Als Erstes trauten sich drei SPDler aus der Deckung, darunter die Bundestagsabgeordnete Eva Högl. Sie forderten einen Mietendeckel bei 6 bis 7 Euro bei Alt- und Neubauten.

taz-Serie: Wohnen ist Heimat

Wohlfühlen Eine Wohnung, sicher und bezahlbar. Ein Ort, wo man sich geborgen und wohlfühlt, zu Hause eben. So elementar verorten wir den überstrapazierten, ideolo­gisierten Begriff „Heimat“.

Gut wohnen In unserer Serie fragen wir: Wie können wir angemessen, also gut, wohnen? Welche Modelle, Visionen, Projekte gibt es? Was können die Städte, kann die Politik tun? Wie lassen sich gute und zugleich preiswerte Wohnungen realisieren? Wann sagen wir: „Wo ich wohne, ist Heimat“?

Die Serie Die Texte erschienen immer am Donnerstag an dieser Stelle. Der heutige Teil ist der letzte. (taz)

Inzwischen hat sich die Landes-SPD hinter diese Position gestellt, wenn auch leicht verändert: Für fünf Jahre soll in allen Stadtgebieten mit einem besonders starken Mietanstieg ein Mietenstopp gelten – allerdings nur für Altbauten. Auch in anderen Städten interessiert man sich für Webers Aufsatz. Ob man seine Argumente wirklich juristisch für ausreichend hält, muss der Senat aber erst noch entscheiden.

Um zu wissen, warum sich die Berliner Landespolitik in der Wohnungsfrage einmal im Kreis gedreht hat, hilft ein Besuch bei Katalin Gennburg. Die 34-Jährige ist seit 2016 stadtentwicklungspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus. Gennburg greift auf Twitter Investoren an („Keinen Millimeter für Gröner“) und agitiert gegen Airbnb („Vermietungskonzerne enttarnen und zurückdrängen“).

Sie empfängt in ihrem Wahlkreisbüro in Treptow, es ist Mitte November, noch vor dem wohnungspolitischen U-Turn der SPD. „Ich habe 2001 für den rot-roten Kurs geworben und bin als Kommunalpolitikerin Reformerin geworden“, sagt sie. „Die West-Linken in der PDS haben uns damals extrem genervt.“ Zwischen ihrem Reformkurs und der West-Linken, die grundsätzlich gegen eine Regierungsbeteiligung war, habe es politisch nichts gegeben. Das sei erst später mit Katja Kipping und dem Konzept der „Partei in Bewegung“ gekommen. So stimmten auch die PDS-Realos 2004 für die Privatisierung der GSW. Haushaltssanierung hatte Priorität.

Die stadtpolitischen Bewegungen fielen den Berliner Landesregierungen, ob Rot-Rot oder der SPD-CDU-Koalition danach, erheblich auf die Nerven. Sie initiierten Volksbegehren zur Wasserprivatisierung, gegen die geplante Bebauung des einstigen Tempelhofer Flughafengeländes, zur Reduzierung der Mieten. Der Senat versuchte, sie juristisch auszukontern, monierte fehlerhafte Gesetzesformulierungen.

Gebaut wird viel, aber meist nur Eigentumswohnungen Foto: dpa

Erst nachdem die Linke 2011 aus der Landesregierung flog, lernte die Partei, mit statt gegen die Bewegungen Politik zu machen. Das ging nicht ohne innerparteiliche Auseinandersetzungen: „Beim Mietenvolksentscheid haben unsere Fachpolitiker gesagt, den können wir nicht unterstützen, weil in irgendeinem Paragrafen ein Satz drinsteht, der nicht geht. Aber wenn es eine Volksinitiative für ein Gesetz gibt, das man grundsätzlich richtig findet, in dem man aber einen Absatz für schwierig hält, muss man trotzdem zustimmen.“ Der Mietenvolksentscheid kam nie zur Abstimmung; der Senat übernahm aber viele Forderungen der Aktivisten.

Das sei heute auch ein Unterschied zur SPD: „Die Sozialdemokraten sehen sich als Staat“, sagt Gennburg. „Die wollen alles selbst entscheiden.“ Deshalb sei es klar, dass die SPD das Volksbegehren „Deutsche Wohnen enteignen“ ablehnen würde. „Wobei – man weiß ja nie“, sagt sie. „Die Sozialdemokraten neigen derzeit zu spontanen Entscheidungen.“ Wenige Tage später gibt Müller bekannt, die ehemaligen GSW-Wohnungen zurückkaufen zu wollen. Keine direkte Unterstützung des Volksbegehrens, aber ein deutlicher Schritt in diese Richtung.

SPD prescht vor

Bereits im Sommer hatten auf Bundesebene Andrea Nahles und der hessische SPD-Chef Thorsten Schäfer-Gümbel ein Mietenpapier vorgelegt, das fast alle Wünsche der großen Mieterorganisationen erfüllt: Mietenstopp auf Inflationshöhe, besserer Kündigungsschutz bei Eigenbedarf, ein besserer Schutz vor der Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen. Das war auch Taktik, so kurz vor den Wahlen in Bayern und Hessen. Aber SPD, Grüne und Linke unterscheiden sich damit in der Mietenprogrammatik nur noch im Detail – was die Bestandswohnungen betrifft.

Beim Neubau sind die Unterschiede noch immer gravierend. Hier sind die Kosten inzwischen so hoch, dass Länder und Kommunen große Beträge in die Hand nehmen müssten, um den Neubau in wesentlichen Teilen selbst zu finanzieren. Das allerdings verhindert schon die Schuldenbremse. Die SPD setzt für die Mittelschicht daher einerseits auf private Investoren, weshalb sie Neubauwohnungen von Mietpreisbremsen ausnimmt – ohne die Aussicht auf hohe Mieteinnahmen bestünde kaum Anreiz zu bauen. Andererseits soll das von der Großen Koalition beschlossene Baukindergeld die Eigentumsbildung von Familien fördern.

Grüne und Linkspartei hoffen dagegen auf eine neue Wohngemeinnützigkeit: Mit Steuererleichterungen soll gemeinnützigen Trägern der Bau billiger Wohnungen erleichtert werden. Eine Forderung, die inzwischen auch der sozialdemokratisch dominierte Deutsche Mieterbund teilt.

Das Problem: Die Städte werben um Unternehmen, haben aber nicht das Geld, die Wohnungen für die neu hinzuziehenden Beschäftigten selbst zu bauen

Vielleicht noch gravierender sind die Unterschiede in der Stadtentwicklungspolitik – und dazu hilft noch einmal ein Blick auf Katalin Gennburg und ihren Direktwahlkreis 1 in Treptow-Köpenick. Die Linkspartei versteckte sie bei den Abgeordnetenhauswahlen 2016 weit hinten auf einem aussichtslosen Platz auf der Landesliste, Gennburgs Wahlkreis hatte die SPD 2011 noch mit 12 Prozent Vorsprung vor der Linken geholt.

Dann versenkte sich die SPD selbst. Wenige Tage vor den Wahlen im September 2016 beschallte das Lollapalooza-Popfestival Gennburgs Wahlkreis ein ganzes Wochenende lang bis spät in die Nacht mit Musik. Ein Festival, das die SPD samt ihrem Direktkandidaten erbittert verteidigt hatte, während Gennburg mit ihren Treptower Linken und den Grünen monatelang Sturm lief. Es war, als hätte die SPD Plakate mit der Aufschrift „Liebe Anwohner, beim Aufbau des neuen Berlin können wir auf euch keine Rücksicht nehmen. Bitte wählt uns trotzdem. Eure SPD“ gedruckt. Am Ende zog Gennburg mit 3 Prozent Vorsprung an ihrem SPD-Konkurrenten vorbei.

Ein alternativ wirkendes, aber kommerzielles Festival wie Lollapalooza passt in die „Arm, aber sexy“-Politik, die der damalige Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) in den nuller Jahren für Berlin verkündet hatte. Es war im Kern ein klassisches Gentrifizierungsprogramm: Berlins Subkultur sollte die Jugend der Welt anlocken und in der Folge Investoren nach sich ziehen. Heute lässt sich feststellen: Es hat ökonomisch funktioniert. Aber die Folgen für den Wohnungsmarkt bekommt Berlin nicht in den Griff. Wowereit selbst hat diese Entwicklung achselzuckend hingenommen: „Es gibt kein Recht auf Innenstadt“, sagte er einmal.

Berlin hat heute dasselbe Problem wie München oder Frankfurt: Die Städte werben um Unternehmen, haben aber nicht das Geld, die Wohnungen für die neu hinzuziehenden Beschäftigten selbst zu bauen. Das übernehmen, wenn überhaupt, private Investoren. Sie können die Immobilienpreise schon deshalb nach oben treiben, weil die neuen Einwohner in Sektoren wie Banken oder High-Tech arbeiten, in denen der Verdienst weit über dem der bisherigen Einwohner liegt.

Aber bei einigen Grünen und Linken hat ein Umdenken eingesetzt: Gennburg gehört ebenso wie Friedrichshain-Kreuzbergs grüner Baustadtrat Florian Schmidt zu denen, die das Wachstum bremsen möchten. Beide begrüßen, dass Google seine Pläne für einen Campus in Kreuzberg begraben musste: „Wir haben zum Beispiel in San Francisco erlebt, dass durch die Ansiedlung von Google völlig neue Verdrängungswellen stattgefunden haben“, sagt Gennburg.

Differenzen im Detail

Und dennoch: Bei allen Differenzen im Detail gibt es inzwischen wieder eine klare Unterscheidbarkeit zwischen Links und Rechts in der Wohnungsfrage. SPD, Grüne und Linke stehen für die Regulierung des Mietmarktes und einen höheren Anteil des gemeinwohlorientierten Sektors; Union und FDP dafür, dass der Markt die Dinge regelt.

Besuch bei Daniel Föst. Der 42-Jährige ist wohnungspolitischer Sprecher der FDP im Bundestag. Föst ist als Münchner selbst von den steigenden Mieten betroffen: „Als Familienvater mit zwei kleinen Kindern war schnell klar, dass Wohnen als großer Kostenblock das Familieneinkommen auffressen wird.“

Der Grund für die hohen Mieten sei, dass zu wenige Wohnungen gebaut würden: „Seit acht Jahren stehen die Baufertigstellungen nicht im Verhältnis zum Zuwachs der Bevölkerung. Man ist sehenden Auges in die Angebotslücke gelaufen.“ Deutschland dürfe nicht die Mieten in Städten wie London oder Paris akzeptieren: „Schon 2003 sind die Mieten mangels Nachfrage zurückgegangen. Das zeigt, dass unser Konzept funktionieren würde.“

FDP und Union setzen vor allem auf private Bauherren. Was heißt, dass man sie nicht verschrecken darf: „Ein Mietenstopp führt letztlich zu einem Investitionsstopp“, sagte der Berliner CDU-Bundestagsabgeordnete Jan-Marco Luczak kürzlich im taz-Interview. „Wir müssen aufpassen, dass wir bei den Regelungen im Mietrecht nicht überziehen, also nicht die Investitionsbedingungen so verschlechtern, dass am Ende niemand mehr bauen will.“

Gehen die Unterschiede in der Wohnungsfrage mit einer möglichen Jamaika-Koalition zusammen? Föst lobt den grünen Bauexperten Chris Kühn, der sei „ein cooler Typ“. Kühn und er seien sich einig, „dass wir das Potenzial beim Dachgeschossausbau heben müssen“. Studien zufolge seien 1,5 Millionen Wohnungen alleine über den Ausbau der Dächer zu gewinnen.

„Es gibt Gründe, warum ich kein Jamaika-Fan bin“, sagt dagegen die grüne Bundestagsabgeordnete Lisa Paus, eine Immobilienexpertin. „Schon mit der Union ist es in der Wohnungsfrage hart. Aber mit der FDP? Die Liberalen vertreten die Vermieterinteressen, dafür werden sie gewählt und daran werden sie auch gemessen. Wir vertreten die Interessen der Mieterinnen und Mieter.“ Wem Mieterinteressen wichtig seien, müsse „Grüne, SPD oder Linke wählen“. Wem sie nicht wichtig seien, wähle eben Union, FDP oder AfD. Auch die Rechtspopulisten lehnen die Mietpreisbremse ab und fordern mehr staatliche Zuschüsse zur Eigentumsbildung.

Bei all dem Streit über Mietenregulation und Neubau kommt ein Thema regelmäßig bei allen Parteien zu kurz: die Qualität des Neubaus. Bernhard Daldrup, der SPD-Abgeordnete, zitiert seinen Mitscherlich: „Städte werden produziert wie Automobile“, schrieb der Psychoanalytiker 1965.

In den sechziger und siebziger Jahren bauten die Stadtplaner monotone Hochhausviertel, um die große Nachfrage zu befriedigen. Fast gleichzeitig wurden enge Hinterhäuser, in die kaum Tageslicht fiel, in den Innenstädten abgerissen und damit die Fehler der Jahrhundertwende korrigiert.

Daldrup fürchtet, dass nun, wo wieder schnell viel gebaut wird, solche Fehler wiederholt werden könnten: „Mehr Wohnungen in den Innenstädten zu bauen ist notwendig, um die Nachfrage zu befriedigen und nicht noch weiter Natur und Landschaft zuzubauen. Verdichtung darf aber nicht dazu führen, gute Stadtplanung früherer Jahrzehnte mit siedlungsnahen Natur- und Freiflächen völlig aufzugeben.“

Und dann zitiert Daldrup Hans-Jochen Vogel: „Städte sind Stein gewordene Gesellschaftsstrukturen“, habe der frühere SPD-Oberbürgermeister von München gesagt. Vielleicht sind Städte aber auch Stein gewordene Fehler. Und jede neue Generation muss die Fehler der vorangegangenen korrigieren.

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25 Kommentare

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  • Jeder kennt die Mietpreise in München. Ähnlich wie in London finden Normalverdiener da seit Jahrzehnten kaum Wohnungen.

    Als in München das Denkmal der sozialdemokratischen und linksliberalen Kommunalpolitik, Oberbürgermeister Christian Ude, abtrat, wurde resümiert:

    Wenn noch nicht einmal ein OB Ude, der seine sozialdemokratische Laufbahn als Mieterberater begann und dem die Mietenpolitik ein wirkliches Anliegen war, es geschafft hat, der Mietpreisexplosion irgendetwas Wirksames entgegenzusetzen - was geht dann überhaupt?!

    Schauen wir nach Berlin: Wussten die Bürgermeister Wowereit oder Lederer, als sie die Privatisierungen betrieben, überhaupt, was Mieterberater sind?

    Eine Enteignung ist eine angemessene Antwort, da mit ihr in der Mietenpolitik wieder etwas gehen könnte!

  • Irgendwie ist das ja schon ein starkes Stück. Da regiert DIE LINKE in Berlin anfang des Jahrtausends zusammen mit der SPD, die damals sogar noch die Mehrheitspartei in der Bundesregierung ausmachte und eine Kommunalpolitikerin der LINKEN sagt offen, dass sie damals für eine neoliberale Wohnungspolitik gestimmt hat, die den dort lebenden die Stadt versaut hat, nur weil so sauer auf ihre Genossen war, die ihr sagten, sie solle bei Regierungsbeteiligungen vorsichtig sein.

    Ich persönlich habe in der Kommunalpolitik nie verstanden, wieso Menschen, die in der gleichen Partei wie in einer gesetzgebenden in Bundes- oder Landesregierung sind, zu blöd sind, ihren Einfluß auf ihre Abgeordneten deutlich zu machen. Die Gesetzgebungskompetenz muss sich ändern. Gerade der Wohnbereich (wie auch imo der Haushaltsbereich der Kommunen) zeigt, dass die Gesetzgebungskompetenz von unten nach oben aufgebaut werden muss, sprich Land und Bund dürfen sich nur dann um ein Gesetz kümmern, wenn dies von unten auch verlangt wird. Mietpreisbremsen kann man auch kommunal festlegen und wenn die Kommunen entscheiden, was sie an eine höhere Verwaltungsebene abgeben, auch finanziell und nicht andersrum, dann werden mehr Probleme gelöst als nur das Wohnraumproblem. Solange bleibt das alles nur Flickschusterei.

    • @Age Krüger:

      Damit ist aber immer noch nicht das Problem des Wohnraummangels gelöst und die Frage ob man in Berlin auf Bevölkerungsdichten wie in Paris (doppelt so hoch) zusteuern will.

      Wo / Wie soll z.B. Berlin den Zuwachs stemmen und wollen die Parteien das? Wenn nicht, was machen sie dagegen?



      Ich sehe da Planlosigkeit und das Bedienen von Unternehmerinterssen (Wirtschaftsförderung)

  • Den Rückkauf ehemaliger komunaler Wohnungen begrüße ich. Der einfache Hinweis, dass aber Gerichte über eine Enteignung unter Verkehrswert entscheiden werden ist journalistisch schwach. Aus meiner Sicht ist das so unrealistisch, dass das mal mit mehr als einem Halbsatz bearbeitet werden sollte.

  • "Als der Bund und die Kommunen ihre Wohnungen in den neunziger und nuller Jahren privatisierten, versäumten sie, ein stärkeres Mietrecht als Ausgleich zu schaffen."

    Es hätte schon geholfen, wenn die Sozialklauseln der Verträge in Berlin auch tatsächlich durchgesetzt worden wären. Wurden Sie aber nicht und von der Politik wurde das einfach hingenommen.

  • Ein außerordentlich guter und objektiver Artikel. Vielen Dank.

  • Der entscheidene Satz im Artikel ist: "Das Problem: Die Städte werben um Unternehmen ..."

    Städte unterbieten sich heutzutage darin Unternehmen nmit günstigen Konditionen (Bauplätze, Lage, Erschließung) anzulocken. Solvente Städte haben es dabei leichter. Landes- und Bundesplanung findet dabei nicht statt. Es zählen allein Unternehmensinteressen.

    Die Folge ist Wegzug von Unternehmen A aus Stadt B nach Stadt C. Arbeitslosigkeit und Wohnungsleerstand in Stadt B. Wohnungsnot und Arbeit in Stadt C.



    Siehe auch



    Karte Wohnungsleerstand BRD: www.bbsr.bund.de/B...?__blob=normal&v=4



    Karte Arbeitslosigkeit BRD: statistik.arbeitsa...-Regionen-Nav.html

    Diese Spirale setzt Mietsteigerungen in Gang, Pendlerbewegungen, Umweltverschmutzung, Verbrauch der letzten Grünflächen in ohnehin belasteteten Metropolen für Wohnen und Gewerbe sowie Gewerbebrachen und Leerstand in den Herkunftsregionen

    Man wird einem Zuzug von Menschen in Stadten nicht ohne Belastung der vorhandnenen Resourceb Herr werden. Wohnraum (im Sinne von Bauflächen) ist begrenzt. 6 qm Eigentumswohnungen wie in Paris will keiner, Hochhäuser auch nicht.

    Insgesammt ist ein planerisches Generalversagen auf Bundesebene in dem sowohl Komunen, Länder und der Bund jeweil mit ihrer Verantwortung involviert sind. Auf Parteienebene scheint einem wohl auch das eigene Örtchen wichtiger zu sein als irgend ein kaff im Rest deutschlands.

  • Eine Begrenzung von Mieterhöhungen auf Inflationsniveau wäre eine Möglichkeit, die Kopplung an die Entwicklung der Reallöhne wäre besser.

    Dazu die Förderung günstigen Bauens durch genossenschsftliche Einheiten mit einer staatlochen Finanzierungssicherung, um die Zinsen möglichst niedrig zu halten.

    Der "Markt" ist einfach zu dumm. Es werden derzeit bevorzugt eben nicht die benötigten, sondern die Wohungen gebaut, die im Segment liegen, das die meiste Rendite verspricht. Da gibt es ein Überangebot.

    Berlin hat jedoch ein tiefergehendes Problem: Es ist Teil des globalen Immobilienmarktes, der eine höhere Sichtbarkeit und Nachfrage hat. Das treibt die Immobilienpreise und kann nur durch eigenes Bauen (s.o.) wirklich ausgeglichen werden.

  • Es wäre mal gut, wenn wir uns tatsächlich mit neuen Ideen, nicht mit alten Parteien bemerkbar machen würden.

  • Union und (in Teilen) SPD machen die Politik für Wohnungseigentümer - und da hängt der Wert der Immobilie auch vom grundsätzlichen Mietniveau. Das Interesse dasselbige zu dämpfen ist nur vorgeheuchelt.

  • 9G
    96204 (Profil gelöscht)

    Vielleicht muss man erstnal das Wort 'liberal' definieren. Ist liberal, was die Freiheit aller fördert, oder was die Konten weniger füllt?

  • Ich fand es schon immer interessant das so gerne über die hohen Mieten geklagt wird ohne das auch nur erwähnt wird das in den betroffenen Großstädten quasi durchweg linke Parteien an der Macht sind und auch in der Vergangenheit waren. Dieses Thema wird als Sprungbrett für Kapitalismuskritik genutzt, nicht aber als Kritikpunkt an den regierenden Parteien.

    Erwähnt werden sollte vielleicht auch noch das Bauen heutzutage erheblich teurer ist als noch vor 30 Jahren, weil es viel mehr Auflagen gibt. Die teuersten davon betreffen vor allem die Energieeffizienz. Wenn bauen teurer wird dann müssen die Mieten für Neubauten entsprechend steigen. Man kann eben nicht alles auf einmal haben.

    In Frankfurt hat man ja bereits genau das getan wovor am Ende des Artikels gewarnt wird. Es gibt ganze Stadtteile die quasi nur aus Neubauten der letzten 10 Jahre bestehen. Diese sind dann von Donnerstag/Freitag bis Sonntag/Montag quasi ausgestorben, weil 80% der Bewohner nur unter der Woche dort leben.

    • @Januß:

      Nein, was so gut wie nie erwähnt wird, ist, dass Wohnungen, genauso wie Nahrung, Gesundheitswesen, und grundlegende Infrastruktur (Wasser, Elektrizität) Daseinsversorgung und deswegen Verkäufermärkte sind - der Mieter kann sich nicht einfach entscheiden, keine Wohnung zu nehmen.



      Deswegen ist mehrheitlich privates Wohnungsangebot schlicht der falsche Weg.

    • @Januß:

      Das Komunalpolitiker nicht weiter denken als die Ortsgrenze ist wohl ein parteiübergreifendes Problem und die Ursache für das unkoordinierte Wachstum der Metropolen und der Entwicklung von Armutsregionen mit Wohnungsleerstand und Arbeitslosigkeit.

      Da die städtebauliche Planungshoheit für Wohnen und Gewerbe bei den Komunen liegt, ergo bei den jeweils regierenden Parteien, greift hier auch Kapitalismuskritik nicht. Dass bei Wohnungsmangel die Preise in die Höhe schießen dürfte selbst schon Erstklässlern bekannt sein. Ergo auch den Kommunalpolitikern, die zwar Arbeitsplätze und Betriebe aus dem Umland weglocken sowie neue Betriebe anlocken aber nicht mehr wissen, woher sie Flächen für Wohnungsneubauten hervorzaubern können.

    • @Januß:

      Ihre „Gründe“ für die steigenden Baukosten sind ein Mythos, aber falsch!



      Auch hier ist im wesentlichen der Markt entscheidend!



      Wenn mehr gebaut werden soll als die Bauunternehmen schaffen, dann wird es immer teurer.



      Traurigerweise beflügeln die politischen Forderungen nach mehr Neubau die Blase immerhin weiter...

  • 9G
    91672 (Profil gelöscht)

    Ein sehr kluger und sehr informativer Artikel von Herrn Reeh.



    Und es hört sich immer so wohltuend an (Zitat): '...dass der Markt die Dinge regelt', nur das tut er eben nicht. Wenn das Boot in Schieflage gerät, geht im 'Markt' niemand freundlich auf die andere Seite, um das Boot wieder zu stabilisieren. Dafür fühlt sich der 'Markt' nicht verantwortlich.



    Wurden nicht eigentlich früher einmal sogenannte 'Regierungen' erfunden, die dann eingreifen, wenn der Mensch und der Markt versagen?

    • @91672 (Profil gelöscht):

      Diese Regierungen gab es doch und es waren linke Lokalregierungen. Vielleicht sollte man das mal mit in Betracht ziehen, wenn man das nächste mal nach dem Staat schreit, denn der war ja auch als versagt wurde schon da.

      • @Januß:

        Ok Ok & Was ist jetzt Ihre - Dulle^¿^

        unterm—-um weiterhin mal auf - öh -



        Ehrm Doppelkopfniveau - einzusteigen.



        Wollnichwoll. Normal.…servíce - wa;)

    • @91672 (Profil gelöscht):

      Gnädigste - ich bitt Sie - Gelle.

      Der Markt ist das Ende der Vorsehung.



      &



      An irgendwas muß sich der Mensch doch orientieren - wa^¿^



      Mehr würde nur verunsichern - hm^¡^

      unterm——



      oseph Vogl über sein neues Buch



      „Das Finanzregime ist beunruhigt“



      Joseph Vogl untersucht die gegenseitigen Abhängigkeiten von Staaten und Märkten. Er analysiert die Herausbildung souveräner Enklaven als „vierte Gewalt“.



      www.taz.de/!5017253/

      kurz - Die ruhige Hand von GazPromGerd - lassmer wg Kotzen weg.



      &



      ——ders.



      Debatte Was ist Populismus?



      Symptom des Versagens



      Wahrscheinlich benötigt das 21. Jahrhundert neue politische Begriffe. Über die Leerformel „Populismus“ und ihren Gebrauch.



      www.taz.de/!5361532/

      • 9G
        91672 (Profil gelöscht)
        @Lowandorder:

        Die 'Gnädigste' sagt: Der Markt als Ersatzregierung ist eher die Sicht auf unser Ende.



        Weder den Finanzmarkt, die Luft, den Boden, die Meere, die rasante Vermehrung des Menschen, Rente und Gerechtigkeit mag der Markt regeln.



        Schönen Sonntag.

        • @91672 (Profil gelöscht):

          Der Bodenmarkt für neue Baugebiete (Gewerbe und Boden) ist die Folge der Bauplanungen der Kommunen, der Komunal-, Landes und Bundesraumordnungspolitik www.spektrum.de/le...dnungspolitik/6459

          Wenn diese sagen Halle Firmen kommt nach München or whereever und sich keine Gedanken darüber machen wo die "Neuen" wohnen sollen, dann hat diese Politik wohl etwas falsch gemacht.

          Der "Markt" ist nur die herumwedelnde Dame, die von Politikversagen ablenken soll.

        • 8G
          83379 (Profil gelöscht)
          @91672 (Profil gelöscht):

          Der staat aber halt auch nicht, Staat und Markt werden halt von den gleichen Wesen gemanagt. Menschen sind fehlbar.

        • @91672 (Profil gelöscht):

          Schön - daßse den Vogl Joseph - wenigstens angeblättert haben.



          Chapeau & dito.

  • Ja wie*¿* - Hat das Sams hück Geburtstag.



    Herr Flaschenbier - nich Wunschpunkte entdeckt?

    “Wohnungspolitik linker Parteien - Alles auf Anfang



    Klare Kante in der Wohnungspolitik: SPD, Linke und Grüne stehen gegen Union und FDP. Aber nur, weil sie liberale Positionen revidiert haben.“

    Sorry - Aber ich glaub nur - Was ich sehe^¡^



    “Liggers. Snakken kaant wi all.“

    unterm——remember —-



    Balin - wa! Hatte bis in die 70er - graue Kreise.

    Anyway - Masel tov.

  • Ziat: "Vielleicht sind Städte aber auch Stein gewordene Fehler. Und jede neue Generation muss die Fehler der vorangegangenen korrigieren."

    Natürlich sind Städte als "Stein gewordene Gesellschaftsstrukturen" auch "Stein gewordene Fehler". Welche Gesellschaftsstruktur ist schon fehlerfrei? Der Mensch als solcher produziert neben manchem Sinnvollen auch immer jede Menge Fehler, denn er lernt schließlich, in dem er seine Erwartungen an die Folgen eigenen Handelns mit der infolge dieser Handlungen eingetretenen Realität vergleicht: Hand auf Herdplatte? Aua! Hand auf Katzenfell? Hmmmm!

    Genau deswegen sind es auch immer vor allem die nachfolgenden Generationen, die die Fehler ihrer Vorgänger korrigieren müssen. Die Fehler der Vorgänger sind ihnen schließlich nicht "Herzensache" oder "Lebensleistung". Sie sind vielmehr deutlich erkennbar. Wie sich ihre eigenen Fehler einmal auswirken werden, kann die aktuelle Generation hingegen noch gar noch nicht wissen. Das muss sie abwarten. Denn Vor-Urteile sind Mist. Sie sind der größte Fehler überhaupt, weil sie Lernprozesse unterdrücken und damit Fehler zementieren. Nicht nur im Städtebau.