Anzeigen wegen Dobrindt-Äußerungen: „Abschiebe-Saboteure“ ist sagbar
Der CSU-Politiker sprach in einem Interview von einer „Anti-Abschiebe-Industrie“. Anwälte zeigten Dobrindt an. Anklage wird nicht erhoben.
Die Staatsanwaltschaft Berlin, die auch für die rechtliche Prüfung derjenigen Anzeigen zuständig war, die über andere Staatsanwaltschaften eingingen, hält demnach die Formulierung Dobrindts für eine „provokant formulierte Kritik“, die von der Meinungsfreiheit gedeckt scheine. Auch sei die Kritik nicht geeignet, um eine Beleidigung für eine klar abgrenzbare Gruppe an Adressaten darzustellen. Dobrindt habe in seinen Äußerungen weder den einzelnen Anwalt noch die auf Asylrecht spezialisierten Rechtsanwälte als Personengruppe konkret benannt, heißt es in einer der Mitteilungen zur Einstellung des Verfahrens, die der taz vorliegt.
Nach Informationen der taz haben mehrere Anwälte solche Schreiben Ende der Arbeitswoche erhalten. Ob damit alle Anzeigen gegen den CSU-Politiker in dieser Sache eingestellt sind, ließ sich bislang nicht klären. Allerdings schreibt die Staatsanwaltschaft, Dobrindts Äußerungen weisen „unter keinen rechtlichen Gesichtspunkten einen strafbaren Inhalt“ auf – auch nicht wegen Volksverhetzung oder falscher Verdächtigung.
Dobrindt hatte in der Bild am Sonntag Anfand Mai davon gesprochen, es sei „nicht akzeptabel, dass eine aggressive Anti-Abschiebe-Industrie bewusst die Bemühungen des Rechtsstaates sabotiert und eine weitere Gefährdung der Öffentlichkeit provoziert wird“. Wenige Tage später hatte er, ebenfalls in der Bild am Sonntag, von „Abschiebe-Saboteuren“ gesprochen und erläutert, mit „Anti-Abschiebe-Industrie“ meine er „eine unsägliche Allianz von Zwangsideologen und Partikularinteressen, die durch Klagewellen versucht, Abschiebungen zu verhindern und die Durchsetzung des Rechtsstaates zu sabotieren.“
Anwälte sind Teil des Rechtsstaates
Unter anderem AfD-Chef Alexander Gauland hatte die Äußerung Dobrindts als ein Beispiel dafür gesehen, dass die AfD es geschafft habe, die Grenzen des Sagbaren zu verschieben. Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) hingegen hatte mit Blick auf Dobrindts Formulierung von „Verbalradikalismus“ gesprochen.
Zahlreiche Migrationsrechtsanwälte hatten sich verleumdet und beleidigt gefühlt. Claire Deery, Rechtsanwältin und Vorsitzende des Flüchtlingsrats Niedersachsen erklärt zu Ihrer Anzeige: „Im Rahmen unserer anwaltlichen Tätigkeit sind wir Teil des Rechtsstaates. Daran ändern die Aussagen des CSU-Landesgruppenchefs nichts.“ Es sei „offenkundig unwahr, dass das Einlegen von gesetzlich vorgesehenen Rechtsmitteln einen Akt der Staatssabotage darstellt. Wäre dies der Fall, wären die jeweiligen Rechtsmittel im Gesetz nicht vorgesehen“, hieß es in ihrer Anzeige.
Auch Bettina Feix, Fachanwältin für Migrationsrecht in Bayern, hatte Dobrindt angezeigt und wurde nun über die Einstellung informiert. „Man konnte die Aussagen nicht einfach so stehen lassen“, erklärte Feix der taz. „Ich fühlte mich persönlich beleidigt“. Sie vertrete vor allem AsylbewerberInnen aus Afghanistan. „Ich hänge mich rein in meine Fälle“, sagt sie.
Viele der Entscheidungen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf) seien fehlerhaft und würden erst von Gerichten korrigiert. Eben das habe für sie mit Rechtsstaatlichkeit nicht mehr viel zu tun.
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