Antrag auf Parteiausschluss: Revolte gegen Wagenknecht
Linken-Mitglieder wollen die einstige Bundestags-Fraktionschefin aus der Partei werfen. Führende Politiker:innen der Linkspartei sind dagegen.
Der Parlamentarische Geschäftsführer der Linken im Bundestag, Jan Korte, sagte der dpa, der Antrag entbehre jeder Grundlage. „Politische Konflikte klärt man politisch. Alle sollten ab sofort gefälligst für eine starke Linke kämpfen – und nicht untereinander. Es reicht jetzt.“
Am Mittwochabend war bei der Landesschiedskommission Nordrhein-Westfalen ein Antrag auf Parteiausschluss Wagenknechts eingegangen. Das bestätigte diese der taz. Die Kommission habe über den Antrag noch nicht beraten. Der Spiegel, dem das siebenseitige Dokument vorliegt, hatte zuerst darüber berichtet. Demnach wird der Antrag damit begründet, dass Wagenknecht ihrer Partei „schweren Schaden“ zugefügt habe. Die Antragsteller:innen führten dafür Wagenknechts neues Buch „Die Selbstgerechten“ und zwei Interviews an.
In ihrem Buch kritisiert Wagenknecht die Linke als Partei und, so der Spiegel, „weicht in ihrer Kritik von elementaren Grundsätzen der Linken ab.“ Laut Spiegel führten die Antragsteller:innen verschiedene Interview-Auszüge an, bei denen Wagenknecht offen lasse, ob sie nach der Bundestagswahl noch in der Partei bleibe.
Schärfstes Schwert gegen Parteimitglieder
Der Aufruf zur Nichtwahl der Linken im Saarland, den der dortige Fraktionschef Oskar Lafontaine auch im Namen seiner Frau Sahra Wagenknecht zu Wochenbeginn veröffentlicht hatte, ist nach Informationen der taz hingegen nicht Bestandteil des Ausschlussantrags.
Ein Parteiausschlussverfahren ist gewissermaßen das schärfste Schwert gegen ein Parteimitglied. Grundlage ist für alle Parteien das Parteiengesetz, in dem es heißt, ein Mitglied dürfe nur dann aus der Partei ausgeschlossen werden, „wenn es vorsätzlich gegen die Satzung oder erheblich gegen Grundsätze oder Ordnung der Partei verstößt und ihr damit schweren Schaden zufügt.“
Ein solches Verfahren ist langwierig und verläuft in mehreren Schritten. Zunächst ist die jeweilige Schiedskommission des Landesverbands zuständig. Deren Urteil könnte Wagenknecht vor der Bundesschiedskommission anfechten. Und nach deren Urteil bliebe ihr noch der Gang vor ein ordentliches Gericht, das die Entscheidung der Parteigremien formal prüft. Die Anträge müssten daher gut begründet sein und umfassten normalerweise 30 bis 40 Seiten, heißt es in der Parteizentrale.
Rätsel über die Antragsteller:innen
In der Linkspartei rätselt man derweil, wer die Antragsteller:innen sind. Wagenknecht ist eine ebenso populäre wie polarisierende Politikerin. Auf einer Delegiertenversammlung des Landesverbandes im April wurde sie zur Spitzenkandidatin für die Bundestagswahlen gewählt.
Mehrere Basisgruppen und Strömungen, darunter die Bewegungslinke NRW und die Antikapitalistische Linke NRW, hatten daraufhin einen Appell veröffentlicht. Darin heißt es unter anderem: „Wir haben auf der Spitzenposition nun eine Person, die die Partei und ihre Grundpositionen regelmäßig über die Medien angreift.“
Die Bewegunglinke distanzierte sich am Freitag per Twitter von dem Ausschlussantrag. „Was die Bewegungslinke in NRW macht: Engagieren, Demonstrieren, Organisieren, Diskutieren. Was die Bewegungslinke in NRW nicht macht: Anträge auf Parteiausschluss stellen“, heißt es in einem Tweet.
Derweil stellte sich die Bundestagsfraktion der Linken hinter Wagenknecht. Amira Mohamed Ali und Dietmar Bartsch verurteilten den „Angriff“ auf ihr Fraktionsmitglied. „Solche Attacken haben keinen Platz in einer pluralen und solidarischen Partei“, teilten sie laut Deutscher Presse-Agentur mit.
Parteivorstand berät am Samstag
Der Ausschlussantrag trifft die Linke zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt verlor die Partei fünf Prozentpunkte und blieb nur knapp zweistellig in der ehemaligen Hochburg. Im Saarland läuft ein Ermittlungsverfahren gegen den Spitzenkandidaten Thomas Lutze wegen des Verdachts der Urkundenfälschung, und der Fraktionsvorsitzende Oskar Lafontaine ruft gegen ihn und die Linke zum Wahlboykott auf.
In bundesweiten Umfragen liegt die Partei derzeit bei 7 Prozent. Dabei soll vom Parteitag am kommenden Wochenende, bei dem das Wahlprogramm verabschiedet wird, Aufbruchstimmung ausgehen.
Schindler forderte die Genoss:innen auf, sich zusammenzureißen. In Wahlkampfzeiten habe die Auseinandersetzung mit den politischen Kontrahenten Vorrang, so der Bundesgeschäftsführer. „Wir fordern alle Mitglieder der Linken auf, innerparteiliche Differenzen zurückzustellen und sich aktiv in den Bundestagswahlkampf einzubringen.“
Der 44-köpfige Parteivorstand der Linken, der sich am Samstag online trifft, hat jedenfalls reichlich Gesprächsstoff. Gleich zu Beginn der Sitzung will man über die aktuellen Entwicklungen beraten. 90 Minuten sind dafür vorgesehen. Wenn die mal reichen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
Berliner Kultur von Kürzungen bedroht
Was wird aus Berlin, wenn der kulturelle Humus vertrocknet?