Antisemitismus bei Extinction Rebellion: Hallam nun mit Gaskammervergleich
Der Extinction-Rebellion-Mitgründer entschuldigt sich für Aussagen zum Holocaust. In einem „Spiegel“-Interview irritiert er aber erneut.
Kurz zuvor hatte er sich für seine Aussagen zum Holocaust entschuldigt. „Es tut mir sehr leid, welche Wörter ich benutzt habe“, schrieb der 53-Jährige auf Facebook. „Und ich möchte mich für den Schmerz und die Beleidigung entschuldigen, die sie verursacht haben.“ In einem Interview mit der Wochenzeitung Die Zeit hatte Hallam den Holocaust als „fast normales Ereignis“ bezeichnet, das für ihn „nur ein weiterer Scheiß (just another fuckery) in der Menschheitsgeschichte“ sei.
Mit seiner Aussage, schreibt er weiter auf Facebook, wolle er nicht den Holocaust relativieren, sondern die „unvorstellbare Tragödie dessen vermitteln, was heute wegen des Klimawandels und des ökologischen Zusammenbruchs auf der ganzen Welt geschieht“. Nach dem Holocaust hätten sich in Europa alle „nie wieder“ geschworen, nun werde aber nichts dagegen getan, dass „ganze Regionen zu Todeszonen werden“.
Zu Teilen seiner Aussage steht Hallam aber weiter. Er finde nicht, dass „ich mich entschuldigen muss für die Aufmerksamkeit, die ich auf den Genozid gelenkt habe, der gerade passiert. Wir müssen aus der Vergangenheit lernen.“ Im Interview sei er vom Thema Klimawandel abgewichen in eine „unnötige Debatte“ hinsichtlich der Frage, wie man den Holocaust im Verhältnis zu anderen Genoziden einordnen müsse.
„Holocaust-Vergleiche No-Go“
Der britische Ableger von XR ging auf die Entschuldigung Hallams bislang nicht ein. Zu seinen Holocaust-Vergleichen schrieb XR UK auf Facebook, dass jeder, der sich für seine Argumentation auf den Holocaust berufe, sich daran erinnern sollte, dass er die Überlebenden verletzt. „Niemand sollte leichtfertig über das Trauma der jüdischen Bevölkerung sprechen“, heißt es auf Facebook weiter. Jüdische Mitglieder bei XR seien ein wichtiger Teil der Klimabewegung.
Aus Israel bringt man Hallam bislang Verständnis entgegen. „Selbst wenn einer unserer Rebellen eine unsensible Aussage macht, sind Verständnis und Mitgefühl wichtig“, sagte ein Sprecher von XR Israel der taz. Die Aussagen Hallams seien unsensibel gewesen gegenüber den Menschen, die Opfer der Vernichtung der Juden durch die Nazis waren. „Es gibt keine Notwendigkeit, Leid zu vergleichen.“ Zweifellos sei der Klimawandel eine „schreckliche Tragödie, die dem Ökosystem und der Menschheit den Tod bringen wird“, sagte der Sprecher.
Um eine Entschuldigung und Erklärung von Hallam einzufordern, führte der deutsche Ableger von XR am Donnerstag eine Telefonkonferenz mit ihm. „Er hat sich auch bei uns entschuldigt“, sagt Tino Pfaff, Teil des deutschen Presseteams von XR. „Seine Motivation ist aufrichtig, auf die dringliche Problematik des Klimawandels aufmerksam zu machen.“ Seine Äußerungen im Zeit-Interview könnten antisemitisch verstanden werden, aber er sei kein Antisemit.
„Aber auch nach seiner Entschuldigung sind Holocaust-Vergleiche ein absolutes No-Go, die wir nach wie vor verurteilen und von denen wir uns vehement distanzieren.“ Laut Pfaff versuchten er und Kollegen Hallam während der Konferenz klarzumachen, was seine Aussagen für die deutsche Gesellschaft bedeuten: „Rechte Parteien wie die AfD werden hierzulande stärker, der Diskurs ist vergiftet“, sagt Pfaff. „Und wenn dann noch Holocaust-Vergleiche gemacht werden, wird die Grenze des Sagbaren immer weiter verschoben.“ Innerhalb von XR Deutschland werde man sich in den kommenden Wochen intern beraten, wie das Stimmungsbild ist und ob es eine Abstimmung gibt, wie XR Deutschland zu Hallam steht.
Hallam früher Biobauer
Hallam arbeitete laut eigenen Aussagen 32 Jahre lang als Biobauer. Nach zahlreichen Ernten, die durch Regen zunichte gemacht wurden, gab er seinen Betrieb auf, sagt er in dem Spiegel-Interview. Eine am Londoner King’s College begonnene Doktorarbeit über Widerstandsbewegungen habe er nie fertiggestellt.
Nicht zum ersten Mal irritiert er mit seinen Aussagen. In einem früheren Interview sagte Hallam, dass auch jemand, der „ein bisschen sexistisch oder rassistisch denkt“, bei XR mitmachen könne. In einem weiteren Interview mit Spiegel Online sagte er im September: „Wenn eine Gesellschaft so unmoralisch handelt, wird Demokratie irrelevant.“ Kurz darauf wurde er von der britischen Polizei festgenommen, weil er versucht haben soll, den Flugverkehr am Londoner Flughafen Heathrow mit einer Drohne lahmzulegen.
Der Ullstein Verlag zog die Veröffentlichung von Hallams neuem Buch „Common Sense“ zurück. Es sollte ursprünglich am 26. November erscheinen. Trotz der Entschuldigung „bleiben wir bei unserer Entscheidung, das Buch nicht bei Ullstein zu veröffentlichen“, sagt eine Sprecherin des Verlags. Hallams Autoreneintrag ist auf der Website von Ullstein nicht mehr auffindbar.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Die Wahrheit
Der erste Schnee