piwik no script img

Antisemitismus bei Extinction RebellionHallam nun mit Gaskammervergleich

Der Extinction-Rebellion-Mitgründer entschuldigt sich für Aussagen zum Holocaust. In einem „Spiegel“-Interview irritiert er aber erneut.

Die rote Brigade von Extinction Rebellion protestiert in London gegen den ökologischen Zusammenbruch Foto: Henry Nicholls/reuters

Berlin taz | Roger Hallam, Mitgründer der Klimabewegung Extinction Rebellion (XR), irritiert immer mehr mit Aussagen zur Judenvernichtung. Nachdem er sich am Donnerstag für seine Aussagen zum Holocaust entschuldigt hatte, erschien ein neues Interview mit ihm im Spiegel. Darin sagt er, der Klimawandel sei nur das „Rohr, durch das Gas in die Gaskammer fließt. Es ist nur der Mechanismus, durch den eine Generation eine andere tötet.“

Kurz zuvor hatte er sich für seine Aussagen zum Holocaust entschuldigt. „Es tut mir sehr leid, welche Wörter ich benutzt habe“, schrieb der 53-Jährige auf Facebook. „Und ich möchte mich für den Schmerz und die Beleidigung entschuldigen, die sie verursacht haben.“ In einem Interview mit der Wochenzeitung Die Zeit hatte Hallam den Holocaust als „fast normales Ereignis“ bezeichnet, das für ihn „nur ein weiterer Scheiß (just another fuckery) in der Menschheitsgeschichte“ sei.

Mit seiner Aussage, schreibt er weiter auf Facebook, wolle er nicht den Holocaust relativieren, sondern die „unvorstellbare Tragödie dessen vermitteln, was heute wegen des Klimawandels und des ökologischen Zusammenbruchs auf der ganzen Welt geschieht“. Nach dem Holocaust hätten sich in Europa alle „nie wieder“ geschworen, nun werde aber nichts dagegen getan, dass „ganze Regionen zu Todeszonen werden“.

Zu Teilen seiner Aussage steht Hallam aber weiter. Er finde nicht, dass „ich mich entschuldigen muss für die Aufmerksamkeit, die ich auf den Genozid gelenkt habe, der gerade passiert. Wir müssen aus der Vergangenheit lernen.“ Im Interview sei er vom Thema Klimawandel abgewichen in eine „unnötige Debatte“ hinsichtlich der Frage, wie man den Holocaust im Verhältnis zu anderen Genoziden einordnen müsse.

„Holocaust-Vergleiche No-Go“

Der britische Ableger von XR ging auf die Entschuldigung Hallams bislang nicht ein. Zu seinen Holocaust-Vergleichen schrieb XR UK auf Facebook, dass jeder, der sich für seine Argumentation auf den Holocaust berufe, sich daran erinnern sollte, dass er die Überlebenden verletzt. „Niemand sollte leichtfertig über das Trauma der jüdischen Bevölkerung sprechen“, heißt es auf Facebook weiter. Jüdische Mitglieder bei XR seien ein wichtiger Teil der Klimabewegung.

Aus Israel bringt man Hallam bislang Verständnis entgegen. „Selbst wenn einer unserer Rebellen eine unsensible Aussage macht, sind Verständnis und Mitgefühl wichtig“, sagte ein Sprecher von XR Israel der taz. Die Aussagen Hallams seien unsensibel gewesen gegenüber den Menschen, die Opfer der Vernichtung der Juden durch die Nazis waren. „Es gibt keine Notwendigkeit, Leid zu vergleichen.“ Zweifellos sei der Klimawandel eine „schreckliche Tragödie, die dem Ökosystem und der Menschheit den Tod bringen wird“, sagte der Sprecher.

Um eine Entschuldigung und Erklärung von Hallam einzufordern, führte der deutsche Ableger von XR am Donnerstag eine Telefonkonferenz mit ihm. „Er hat sich auch bei uns entschuldigt“, sagt Tino Pfaff, Teil des deutschen Presseteams von XR. „Seine Motivation ist aufrichtig, auf die dringliche Problematik des Klimawandels aufmerksam zu machen.“ Seine Äußerungen im Zeit-Interview könnten antisemitisch verstanden werden, aber er sei kein Antisemit.

„Aber auch nach seiner Entschuldigung sind Holocaust-Vergleiche ein absolutes No-Go, die wir nach wie vor verurteilen und von denen wir uns vehement distanzieren.“ Laut Pfaff versuchten er und Kollegen Hallam während der Konferenz klarzumachen, was seine Aussagen für die deutsche Gesellschaft bedeuten: „Rechte Parteien wie die AfD werden hierzulande stärker, der Diskurs ist vergiftet“, sagt Pfaff. „Und wenn dann noch Holocaust-Vergleiche gemacht werden, wird die Grenze des Sagbaren immer weiter verschoben.“ Innerhalb von XR Deutschland werde man sich in den kommenden Wochen intern beraten, wie das Stimmungsbild ist und ob es eine Abstimmung gibt, wie XR Deutschland zu Hallam steht.

Hallam früher Biobauer

Hallam arbeitete laut eigenen Aussagen 32 Jahre lang als Biobauer. Nach zahlreichen Ernten, die durch Regen zunichte gemacht wurden, gab er seinen Betrieb auf, sagt er in dem Spiegel-Interview. Eine am Londoner King’s College begonnene Doktorarbeit über Widerstandsbewegungen habe er nie fertiggestellt.

Nicht zum ersten Mal irritiert er mit seinen Aussagen. In einem früheren Interview sagte Hallam, dass auch jemand, der „ein bisschen sexistisch oder rassistisch denkt“, bei XR mitmachen könne. In einem weiteren Interview mit Spiegel Online sagte er im September: „Wenn eine Gesellschaft so unmoralisch handelt, wird Demokratie irrelevant.“ Kurz darauf wurde er von der britischen Polizei festgenommen, weil er versucht haben soll, den Flugverkehr am Londoner Flughafen Heathrow mit einer Drohne lahmzulegen.

Der Ullstein Verlag zog die Veröffentlichung von ­Hallams neuem Buch „Common Sense“ zurück. Es sollte ursprünglich am 26. November e­rscheinen. Trotz der Entschuldigung „bleiben wir bei unserer Entscheidung, das Buch nicht bei Ullstein zu veröffentlichen“, sagt eine Sprecherin des Verlags. Hallams Autoreneintrag ist auf der Website von Ullstein nicht mehr auffindbar.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

13 Kommentare

 / 
  • Ja, einfach keine Holocaust-Vergleiche.



    und ohne Extinction-Rebellion die Flughäfen mind. die regionalen lahmlegen und ihre Schließung herbeiführen.

  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    Das Thema scheint angesichts seiner quantitativen Präsenz von eminent wichtiger Bedeutung zu sein.

    Bis hierher hat sich mir noch nicht offenbart, weshalb - und für wen.

    Deutsche Politik scheint in diesem Land nachrangig zu sein. Keine Revolution bei der CDU, keine Maßnahmen im Fall Feldmann & Feldmann, die übliche Schläfrigkeit nach knapp 15 Jahren Merkel.

    taz und Forum haben sich eindrucksvoll angepasst. Waberndes statt Wichtiges.

    Btw: was macht eigentlich Herr Netanjahu? Unberührt von den Verlautbarungen des israelischen Justizministeriums möchte er weiterregieren. Wie Herr Trump im Amiland.

    Helzrichen Gwücklunsch. Die Pausen in der Symfonie des Lebens werden immer größer.

    • 8G
      88181 (Profil gelöscht)
      @76530 (Profil gelöscht):

      Eigentlich denkt man Sex Sells. OK, das tut er auch. Aber er findet meist nur auf komplizierte Art und Weise in der taz statt.

      Was neben Homöopathie immer geht, ist Antisemitismus. Weil es den eigentlich gar nicht gibt, sondern nur den Antisemitismus-Vorwurf, der ungleich schlimmer ist.

      Also ich würde das Ranking so aufmachen:

      1. Antisemitismus-Vorwürfe teilen sich Platz eins mit allem, was Israel falsch macht (und das ist eine Menge).

      2. Dann kommen feministische Themen, bzw. angeblich feministische Themen.

      Etwas gesteigert wird der Punkt durch queer-feministische Themen. Da ist einfach mehr Pfeffer drin.

      3. Jetzt die Identitäts-Politiken, BIPoC und so weiter und so fort. Wird auch hoch gehandelt.

      4. Dann vielleicht Homöopathie und der ganze Scheiß.

      5. Die Grünen

      6. Die Grünen

      7. Die Grünen

      8. Die SPD

      Änderungsvorschläge werden gern entgegengenommen.

      • @88181 (Profil gelöscht):

        So in etwa nehme ich das auch wahr. Bei 1. ist besonders verrückt, dass dann im Forum häufig zu lesen ist, man könne das Thema jetzt wirklich nicht mehr hören, aber die Juden wollten es unbedingt immer wieder neu durchkauen. Dabei sind es kaum jüdische Journalisten, die es thematisieren. Wenn, dann kommt schwacher jüdischer Protest, wenn es richtig grausig wird.

        • 8G
          88181 (Profil gelöscht)
          @Henriette Bimmelbahn:

          Ja, das stimmt.

          Und so ziemlich jeder Antisemitismus-Vorwurf wird so lange durch den Wolf gedreht, bis er nicht mehr wahr ist.

          Und das ist nochmal irre, angesichts der Zunahme der entsprechenden Vorfälle.

          Und man überlegt sich, will ich das schon wieder diskutieren, oder möchte ich lieber kotzen.

  • Dass man in Deutschland um die Wette virtue-signalled, während Israelis eher gelassen reagieren, ist nichts neues.

    • 8G
      88181 (Profil gelöscht)
      @Thomas Friedrich:

      Zumindest die fünf Mitglieder von XR Israel.

  • Mit Herrn Hallam ist es mitlerweile so, wie mit Herrn Maaßen eine Weile, jeder dumme Halbsatz von ihm sorgt für unglaubliche Aufregung und Aufmerksamkeit. Dabei sind beide gleichermaßen unwichtig, Extinction Rebellion ist spätestens seitdem sie es für einen Beitrag für den Klimaschutz hielten, U-Bahnen zu blockieren, nicht mehr ernst zu nehmen. Es gibt sicher alle Möglichen Wege und Konzepte, das Klima zu retten, wenn eines nicht dazugehört, dann ist es "Rebellion".

    • @Ruediger:

      "Es gibt sicher alle Möglichen Wege und Konzepte, das Klima zu retten, wenn eines nicht dazugehört, dann ist es "Rebellion". Wenn ich die fleischgewordene Unverbindlichkeit und Behäbigkeit etwa von Herrn Altmayer sehe, würde ich dem entschieden widersprechen. Von demonstrierenden Teenies direkt vor seiner Ministeriumstür lässt er sich jedenfalls nicht von seiner Konzeptlosigkeit abbringen und vom Fleck wegbewegen.

      • @ingrid werner:

        Demonstrieren nutzt dem Klima natürlich genau so wenig, wie Rebellion.

  • EINFACH KEINE HOLOCAUST-VERGLEICHE!

    Ich werde nie verstehen, warum Leute immer wieder den Holocaust für irgendwelche mehr oder weniger passende Vergleiche oder Einordnungen heranziehen. Es sollte sich langsam rumgesprochen haben, dass man dabei ziemlich oft ziemlich blöd dasteht.

    • @gyakusou:

      was bedeutet denn der Holocaust für Ihre politischen Überzeugungen. Können Sie überhaut noch lehren aus dem Holocaust ziehen, wenn Sie davon überzeugt sind, den Holocaust in nicht mehr in Beziehung setzen zu dürfen? Und wenn Sie es doch tun ... wo dann?