Antimilitaristisches Aktionsnetzwerk: Der nächste Veteranentag kommt bestimmt
Wer sind die jungen Menschen, die mit Adbusting-Aktionen gegen den Veteranentag protestiert haben? Und was hat es mit Sozialer Verteidigung auf sich?

Zu viert stehen sie um die Tischtennisplatte, vor ihnen klemmt ein Schraubstock, darin eingespannt ist ein kleines Metallröhrchen. „Meistens reicht so ein normaler Sechskant aus dem Baumarkt“, erklärt ein Mann Mitte 30 mit langen Haaren, Jeans und Hoodie.
An einem Samstag im Mai stehen er und die drei anderen vom Antimilitaristischen Aktionsnetzwerk (AA) im Hinterhof eines linken Jugendzentrums im Nordosten Berlins. Mit der Flex wird ein kleiner Schlitz ins Profil gesägt, fertig ist der Schlüssel.
Mit diesem Schlüssel will die Gruppe, die zur Deutschen Friedensgesellschaft (DGF) gehört, jetzt die Stadt und die Deutungshoheit zurückerobern, wie sie sagt. Oder – für wen es eine Nummer kleiner sein soll – die Werbevitrinen deutscher Städte aufschließen, um die Plakate darin – „anzupassen“.
Ad-Busting nennt man das. Außenwerbung wird dabei künstlerisch verfremdet, meist versehen mit einer neuen politischen Botschaft. Solange die Plakate nicht entwendet und die Werbevitrinen nicht beschädigt werden, ist das nicht strafbar.
Dem Aktionsnetzwerk der DGF geht es um einen ganz bestimmten Tag: den 15. Juni.
Militarismus pur
Ebenjenen 15. Juni hatte der Bundestag letztes Jahr mit den Stimmen von Ampel und Union zum jährlichen nationalen Veteranentag erklärt. Der Dienst aktiver und ehemaliger Soldat:innen in der Bundeswehr soll so gewürdigt werden, hieß es. Der Entschluss hat eine breite Debatte losgetreten.
Ein wichtiges Zeichen der Wertschätzung nennen es die einen und einen Schutz gegen die Vereinnahmung der Bundeswehr vonseiten der Rechten. Eine Werbung für „Kriegstüchtigkeit“ schreiben die anderen und warnen vor Militarismus pur.
Bei Antimilitaristischen Aktionsnetzwerk findet man den Veteranentag erwartbarerweise schlecht. „Es gibt sehr viele Menschen, denen man einen Tag widmen könnte“, meint auch Mira, die eigentlich anders heißt. Die meisten treten wie Mira nur mit Pseudonym auf, auch wenn Ad-Busting nicht per se illegal ist, fürchten sie identfizierbar zu sein. „Pfleger:innen zum Beispiel könnte man einen Tag widmen. Aber die Bundeswehr mit ihren rechtsextremen Skandalen braucht keinen Ehrentag“.
Ihre Kritik an der Bundeswehr will die antimilitarischen Jugendgruppe also kreativ ausüben. „Es hat auch dieses Street-Art-mäßige“, sagt Max.
Diagnose: Nazi-Prepper-Tag“
Anstatt dass Modelkörper für Discounter Mode und Handyverträge werben, sollen ihre Plakate andere Themen besprechen: „Diagnose: Nazi-Prepper-Tag“ oder „Veteranentag? Bundeswehr? Finde ich scheiße!“ konnte man bereits in Werbevitrinen irgendwo in Deutschland sehen.
Zentraler Teil der Ad-Busting-Kampagne zum Veteranentag wird dann die Aktion am 15. Juni gewesen sein. Aus „Nationaler Veteranentag“ will die AA „Nazi-naher Veteranentag“ machen.
Aus ganz Deutschland, aus Hamburg, Leverkusen, Jena, Stuttgart sind dafür rund zwei Dutzend junge Friedensbewegte zwischen 20 und 30 Jahren an diesem Wochenende nach Berlin angereist. Sie treffen sich zum Skillsharen, also dem Teilen von Fähigkeiten. Dabei geht es zum einen darum, den Protest gegen den 15. Juni ganz praktisch zu organisieren – der Sechskant etwa oder die rechtliche Vorbereitung auf das AdBusting – aber auch darum, sich auszutauschen und neu aufzustellen in der aktivistischen antimilitaristischen Antikriegsbewegung.
Denn mit dem, was die Aktivist:innen vertreten, stehen sie gegen den Zeitgeist. In Jahren des russischen Angriffskrieges in der Ukraine, des Gaza-Krieges und allgemeiner geopolitischer Aufrüstung wollen antimilitaristische Argumente gut durchdacht sein.
Abgrenzung und Differenzierung
Auch gegenüber den eigenen Reihen, zur eigenen Mutterorganisation der Deutschen Friedensgesellschaft und den Vereinigten KriegsdienstgegnerInnen, braucht es mitunter Abgrenzung. In den letzten Jahren fielen diese Organisationen nämlich vor allem mit ihrer Russlandfreundlichkeit auf. Damit will die friedensbewegte Jugendorganisation nichts zu tun haben.
Doch wie kann eine progressive, antimilitaristische Position heute aussehen? Eine eindeutige Haltung hat das AA nicht. Während manche von ihnen jede Form von Krieg und Gewalt ablehnen, sind andere offener für eine verantwortungsethische Verteidigung.
Für Max geht es darum, der Gesellschaft Alternativen zu Waffen aufzuzeigen. Im Vorfeld von kriegerischen Handlungen also bereits dafür zu sorgen, dass diese gar nicht entstehen.
„Wir verurteilen aber eine*n ukrainischen Soldaten*in nicht dafür, dass er oder sie sich dafür entschieden hat zu kämpfen“, sagt er. Doch gleichzeitig sollten auch die zwangseingezogenen Soldaten auf der anderen Seite gesehen werden und insbesondere russische Kriegsdienstverweigerer gestärkt werden, in dem ihnen beispielsweise Asyl gewährt wird.
Soziale Verteidigung
Mit Blick auf den Veteranentag steht für die AA fest, die Normalisierung des deutschen Militärs darf nicht vorangetrieben werden. „Gerade Deutschland mit seiner Geschichte sollte einen Anfang machen mit der Entmilitarisierung“, meint Mira.
Während dort rechtsextremistische Menschen aktiv seien, möchte sie diese Leute nicht unterstützen und nicht ehren, sagt sie. Anstatt in eine Armee zu investieren sollte lieber in den Klimaschutz oder das Gesundheitswesen investiert werden. „Denn was will ein Putin mit einem überfluteten Ahrtal?“, fragt Max.
Er nennt auch ein Konzept, das bereits seit den 1970ern zirkuliert und derzeit wieder vermehrt aufkommt: die Soziale Verteidigung. Bei der sozialen Verteidigung geht es nicht um die Verteidigung von Territorium durch Waffen, sondern vielmehr darum, die Strukturen der Zivilgesellschaft durch Streiks, Verweigerung, bewusstes Missverstehen oder Sabotage vor Gewalt zu schützen.
Das Konzept orientiert sich an den Grundlagen des zivilen Ungehorsams und Strategien des gewaltfreien Widerstands. „Das heißt Betriebe und Organisationen leisten Widerstand, die Post, das Krankenhaus, die Verwaltung“, erklärt Max. Man würde beispielsweise keine Wohnung an Besatzer vermieten oder sie im Krankenhaus behandeln, sie aus den zivilgesellschaftlichen Strukturen ausschließen also.
Waffe an den Kopf
In der Stadt Cherson in der Ukraine habe das sehr gut funktioniert, sagt Max. Bei der ersten Besatzung durch das russische Militär Anfang 2022 wurde die Stadt innerhalb weniger Tage eingenommen. „Die Leute dort haben aber Demonstrationen abgehalten und Lieder gesungen und ukrainische Fahnen geschwenkt, die russischen Soldaten waren davon ganz überrascht“.
Im Gegensatz zu der östlicheren Stadt Mariupol, die monatelang umkämpft war, hätte es vergleichsweise sehr wenig Tote gegeben. Für Max ein Beweis für den Erfolg der sozialen Verteidigung.
Und was, wenn militarisierte Angreifer eine Waffe an den Kopf halten, weil ihnen die Wohnung nicht vermietet wird? Oder, wenn sie, wie jetzt in der Ukraine, mit Drohnen und Raketen die zivilgesellschaftlichen Strukturen attackieren?
Auf diese Fragen blickt Max etwas ratlos: „Ja, das ist schwierig“, meint er. Auch wenn er darauf keine Antwort hat, fest steht für die Friedensbewegten: Die Bundeswehr und deren Zelebrierung ist keine Option.
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