Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte: Die Stimmung wird gekippt
Geflüchtete sind wieder bedroht. Die Ampelkoalition wollte zwar Migration nicht als Problem, sondern als Normalität behandeln, vermittelt aber etwas anderes.

D ie Stimmung kippt. Das könnte einem in den Sinn kommen, wenn man liest: Die Zahl der Übergriffe auf Geflüchtetenunterkünfte steigt kontinuierlich. Doch dieser Satz ist gefährlich. Er suggeriert einen Automatismus, den es nicht gibt. Die Stimmung kippt nicht. Sie wird gekippt.
Die Ampel hat im Koalitionsvertrag einen neuen Umgang mit dem Thema versprochen: Migration nicht als Problem, sondern als Normalität. Die zugehörigen Gesetzesvorhaben geht die Regierung auch an. Was sie aber tagtäglich vermittelt, ist ein Bild von Migration und vor allem von Flucht als Bedrohung.
Natürlich ist es eine Herausforderung, wenn in kurzer Zeit viele Menschen Schutz suchen. Aber für Herausforderungen gibt es Lösungen. Die Union bläst aus lauter Angst vor weiterem Stimmverlust inbrünstig in das Horn der AfD – und die Bundesregierung lässt sich mitreißen vom Untergangssound, statt den versprochenen Paradigmenwandel zu verteidigen.
Da ist vom „Kollaps“ der Kommunen die Rede, wenn Kanzleramt und Länder sich auf offener Bühne vorrechnen, dass kein einziger Cent mehr übrig sei, um Menschen Schutz vor Krieg und Gewalt zu bieten. Da wird die Notwendigkeit beschworen, sich mit Zäunen zu schützen, statt Ertrinkende zu retten. Da wird auf jene verwiesen, die „wirklich“ Hilfe brauchen, in Abgrenzung zu jenen, denen unlautere Motive unterstellt werden.
All das holt keine einzige Stimme von rechts außen zurück. Stattdessen befördert es die Stimmung über die Klippe, die AfD noch weiter nach oben in den Umfragen – und ist letztlich Öl auf die Molotowcocktails derer, die Gewalt ausüben.
Um das zu verstehen, reicht ein Blick in die Jahre nach 2015, als flüchtende Menschen als „Welle“, als Naturkatastrophe bezeichnet wurden – und bundesweit Unterkünfte brannten. Oder in die 1990er: Der Mob wütete in Rostock-Lichtenhagen, Bundesregierung und Parlament beugten sich dem Druck von rechts und beschnitten das Grundrecht auf Asyl drastisch. Kurz danach verbrannten in Solingen fünf Menschen.
Lesen gegen das Patriarchat
Auf taz.de finden Sie eine unabhängige, progressive Stimme – frei zugänglich, ermöglicht von unserer Community. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Protestaktion gegen CDU-Chef Merz
Alle Tassen im Konrad-Adenauer-Haus?
Vertreibung von Palästinensern
Amerikaner in Gaza
EU-Antwort auf Putin und Trump
Zu wenig und zu spät
CDU-Politiker boykottiert Radio Bremen
Zu links, zu grün, zu schlecht
USA in der Ukraine
Geheime Verhandlungen mit der Opposition
Wahlbeteiligung bei Hamburg-Wahl
Wählen geht, wer Geld hat