Aiwanger und der Populismus: Der So-isser-halt-Hubsi
Hoch geht es her im bayerischen Landtag: Die Grünen fordern die Entlassung des populistischen Wirtschaftsministers Aiwanger – vergeblich.
Auch aus den Reihen der CSU und sogar der Freien Wähler kam nach dem Auftritt in Erding Kritik. So rügte etwa Landtagspräsidentin Ilse Aigner (CSU) Aiwangers Formulierungen. Und ihr Parteifreund, Staatskanzleichef Florian Herrmann, warnte: „Populismus am rechten Rand ist brandgefährlich und gefährdet unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt.“
Auch hinter verschlossenen Türen, etwa bei der Ministerratssitzung am Dienstagvormittag, sollen Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und andere Kabinettsmitglieder Aiwanger zu verstehen gegeben haben, was sie von seinen verbalen Fehlgriffen hielten.
Sogar bei den Freien Wählern kam es – zumindest vereinzelt – zu verzweifeltem Kopfschütteln über den Parteichef. Petra Bauernfeind beispielsweise, die zweite Bürgermeisterin von Erding, sagte der Süddeutschen Zeitung: „Ich finde die Wortwahl für einen Mann in seiner Stellung unpassend, sowohl Wortwahl als auch Inhalt, soweit man von Inhalt überhaupt reden kann.“ Und Armin Grein, Mitbegründer der Freien Wähler und als deren Chef Aiwangers Vorgänger, meinte ebendort: „Ein Politiker darf sowas nicht machen.“
„Heranrobben ans verschwörungsideologische Milieu“
Auch andere, die Aiwanger eigentlich nahestehen, haben Schwierigkeiten mit seinem jüngsten Auftritt. So forderte Franz Wacker, der Landesvorsitzende der Katholischen Landjugendbewegung (KLJB), Aiwanger müsse seine Äußerungen zurücknehmen und sich entschuldigen. „Er muss dabei etwas klarstellen: Steht er weiter im Lager der demokratischen Parteien oder folgt er demokratiefeindlichen Parolen? Das verschreckt uns und seine eigenen Leute, weil es bisherige Grenzen verwischt.“ Aiwanger war früher selbst in der KLJB aktiv.
Wenig überraschend, dass die Opposition noch deutlichere Worte fand. „Die verbalen Entgleisungen von Hubert Aiwanger in Erding sind mit demokratischen Prinzipien absolut unvereinbar“, schimpfte Katharina Schulze, Fraktionsvorsitzende der Grünen. „Anstatt sich einer inhaltlichen Debatte über die Zukunft unseres Landes zu stellen, zündelt die Söder-Regierung lieber fleißig bei den Rechtspopulisten mit. Das Heranrobben an dieses verschwörungsideologische Milieu stärkt dieses nur und schwächt unsere Demokratie.“
Ludwig Hartmann, ebenfalls Grünen-Fraktionschef, fand: „Der Vize-Ministerpräsident hat am Samstag jeglichen Anstand unter Demokraten mit Füßen getreten. Niemand will hier solche Trump-Methoden.“ Aiwanger sei „eine Schande für unsere Demokratie“. Und SPD-Chef Florian von Brunn bezeichnete Aiwangers Auftritt als primitiv, rüpelhaft und unterstes Niveau. „Das war falsch, das war beschämend, und das hat dem Ansehen des Freistaats Bayern schwer geschadet.“
Söder und Aiwanger sind aufeinander angewiesen
Die Grünen verlangten am Mittwochabend in der Plenarsitzung des Landtags in einem Dringlichkeitsantrag von Söder, dass er Aiwanger als Wirtschaftsminister und stellvertretenden Ministerpräsidenten entlasse. Der Antrag trug den Titel „Demokratie gemeinsam stärken statt das Lied der Rechtspopulisten singen!“. Von Brunn seinerseits forderte Aiwanger selbst zum Rücktritt auf.
Dass freilich eher die Bierpreise auf dem Oktoberfest fallen, als dass eines der beiden Szenarien eintreten würde, dürfte den Oppositionsfraktionen klar gewesen sein. Schließlich hat der Chef der Freien Wähler mehr als einmal gezeigt, dass seine Bereitschaft zum Nachgeben sich innerhalb sehr enger Grenzen bewegt, zum anderen belässt es Söder bei solchen Gelegenheiten gern bei ein paar mahnenden Worten in Richtung seines Stellvertreters. Die beiden wissen, dass sie aufeinander angewiesen sind. Würde Söder Aiwanger abservieren, wäre dies das Ende der Koalition. Alternativen zu der aktuellen Koalition dagegen sind unwahrscheinlich. Etwa eine absolute Mehrheit oder eine schwarz-gelbe Mehrheit oder, bei der CSU höchst unbeliebt: Schwarz-Grün.
Dazu kommt: Söder ist in der Sache selbst nicht ganz unangreifbar. Zwar war seine Wortwahl auf der Demo in Erding weit entfernt von der Aiwangers und er distanzierte sich trotz Pfiffen und Buh-Rufen unmissverständlich von AfD und Antidemokraten; aber er war dort und wollte die Plattform, die ihm die in rechten Kreisen beliebte Kabarettistin Monika Gruber bot, genauso wie Aiwanger für einen starken populistischen Aufschlag im Wahlkampf nutzen.
Will der nur spielen?
Aiwanger, der die zuvor vor allem im Kommunalen verankerten Freien Wähler erst zu einer auf Landesebene ernstzunehmenden Größe gemacht und schließlich sogar in die Regierungsverantwortung geführt hat, hat eine eigenartige Stellung in der bayerischen Politik. In seiner Partei unangefochten, umweht ihn sonst oft eine gewisse Aura der Narrenfreiheit. „Mei, der Hubsi“, heißt es dann. Und: „So isser halt.“ Was wohl so viel heißen soll wie: Der will doch nur spielen. Oder: Der bellt nur, der beißt nicht. Impliziert aber, dass Aiwanger halt auch ein Hund ist – was in Bayern durchaus anerkennend gemeint ist.
Söder wiederum lässt Aiwanger an der langen Leine. Er weiß, dass er auf ihn angewiesen ist. Und sachpolitisch haben sich die Freien Wähler in den vergangenen Jahren unterm Strich doch als sehr pflegeleichter Koalitionspartner erwiesen. Immer wieder lobt Söder daher die gute Zusammenarbeit, ohne sich zu sehr mit Aiwanger gemein zu machen. Kleine Spötteleien über den Hubsi kann er sich oft nicht verkneifen und versucht ansonsten das Bild des Erwachsenen zu vermitteln, der dafür sorgt, dass der allzu ungestüme Bub schon nichts anstellt.
Das Problem nur: Der Bub stellt dann doch immer wieder was an. Und anders als die CSU-Minister lässt er sich nur sehr bedingt im Zaum halten. Während Söder in der Pandemiebekämpfung eine Zeit lang das „Team Vorsicht“ ausgerufen hatte, weigerte sich Aiwanger – sicher nicht ganz ohne eine bestimmte Klientel im Blick – lange Zeit, sich impfen zu lassen, und riskierte so den Koalitionsfrieden.
CSU wirft Grünen Doppelmoral vor
Nicht aber die Koalition. Und so scheint es auch diesmal wieder zu laufen. In der Debatte am Mittwochabend ging es hoch her. Schon bevor der Dringlichkeitsantrag aufgerufen wurde, war Aiwangers Populismus immer wieder Thema. Schulze nannte ihn einen „astreinen Rechtspopulisten“, Brunn verglich ihn mit dem Diktator von Belarus, Alexander Lukaschenko, was wiederum den Freien-Wähler-Abgeordneten Fabian Mehring sehr aufbrachte.
Als der Grünen-Abgeordnete Thomas Gehring den Antrag begründete, schlug ihm nicht nur Widerstand aus den Reihen der Freien-Wähler-Fraktion entgegen, sondern auch von CSU und AfD. Man nahm die Diskussion zum Anlass, die Doppelmoral der Grünen zu geißeln, anstatt über Aiwanger zu sprechen. Warum, wurde Gehring gefragt, distanziere er sich nicht von linksextremistischen Organisationen, mit denen die Grünen etwa gemeinsam in einem Bündnis gegen das bayerische Polizeiaufgabengesetz säßen. Und warum fordere er nicht den Rücktritt Schulzes, die Aiwanger mit ihrer Bezeichnung als „astreinen Rechtspopulisten“ beleidigt habe. Die Diskussion war, obwohl es schon nach 22 Uhr war, hitzig. Einmal drohte der stellvertretende Landtagspräsident Markus Rinderspacher einem AfD-Abgeordneten: „Ich schmeiß’ Sie jetzt raus.“
Am Ende wurde der Antrag der Grünen erwartungsgemäß abgelehnt – mit den Stimmen von CSU und Freien Wählern. Aiwanger war zu der Zeit längst schon nicht mehr im Plenum. Am Nachmittag hatte er noch eine Regierungserklärung abgegeben, in der er einmal mehr kräftig austeilte, der Ampel in Berlin eine „Deindustrialisierungspolitik“ und einen „beschränkten Horizont“ bescheinigte. Der Applaus bei der CSU war groß. Die Reihen scheinen wieder geschlossen zu sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen