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Agrarsubventionen für BauernEU kippt zentrale Umweltauflagen

Landwirte müssen nicht mehr Brachen einrichten. Minister Özdemir findet das okay. Dafür kassiert der Grüne Kritik aus den eigenen Reihen.

Staatsgeld quasi für lau? Ein Landwirt mäht mit seinem Traktor eine höchstwahrscheinlich subventionierte Wiese Foto: Kay-Helge Hercher/imago

Berlin taz | Die EU-Länder haben nach den Bauernprotesten die wichtigsten Umweltauflagen für Agrarsubventionen gekippt – und Deutschlands grüner Landwirtschaftsminister Cem Özdemir stimmte nicht dagegen. Sein Ministerium veranlasste am Montag eine Enthaltung bei der Entscheidung in Brüssel und hatte sich in der Diskussion nach eigenen Worten sogar dafür „starkgemacht“, das zentrale Element der vergangenen Agrarreform dauerhaft außer Kraft zu setzen: Auch Özdemir war also gegen die Regel, dass Empfänger der pro Hektar gezahlten Subventionen mindestens 4 Prozent ihrer Ackerfläche etwa für Brachen und „Landschaftselemente“ wie Hecken oder Baumreihen reservieren müssen.

Das bringt dem Minister nun auch Kritik aus den eigenen Reihen ein: „Özdemir hätte die Umweltaspekte stärker betonen müssen“, sagte der agrarpolitische Sprecher der Grünen im Europa-Parlament, Martin Häusling, der taz. „Mir sagen alle Experten aus dem Bereich der Naturschutzverbände: Die Pflichtbrache wird dringend gebraucht“, so der Abgeordnete.

Denn die Landwirtschaft trägt maßgeblich dazu bei, dass immer mehr Pflanzen- und Tierarten aussterben. Sie hat etwa in Deutschland rund die Hälfte der Landfläche unter Beschlag. Ackerbrachen können Rückzugsräume beispielsweise für Insekten und Vögel sein.

Auch die Regeln für die Fruchtfolge – also dazu, wie oft die Pflanzenart auf einem Acker wechseln muss – werden nach dem Beschluss des EU-Rats aufgeweicht. Das gilt auch für den Schutz vor Erosion und das Verbot, klimarelevantes Dauergrünland wie Wiesen und Weiden umzubrechen. Und auf Höfen mit höchstens 10 Hektar Agrarfläche sollen die Behörden gar nicht mehr kontrollieren, ob die Umweltvorschriften eingehalten werden – das sind laut EU-Kommission 65 Prozent aller Betriebe mit einer Fläche so groß wie das gesamte Agrarland Deutschlands. Das EU-Parlament hatte die Entscheidung bereits abgesegnet.

Begründung: „Ökonomische Vorteile“ für Landwirte

Damit will die EU die heftigen Proteste von Bauern beenden oder künftige vermeiden. „Diese Überprüfung ist eine Reaktion auf die von den Landwirten in den letzten Monaten geäußerten Bedenken“, räumte der Rat unumwunden ein.

Der Naturschutzbund hatte vor der Entscheidung gefordert, dass Deutschland mit Nein stimmt. Die Bauern müssten etwas für die Umwelt tun, wenn sie weiterhin allein in Deutschland 6 Milliarden Euro jährlich aus dem EU-Agrarbudget erhalten wollen. Etliche Betriebe hätten in den vergangenen Jahren gute Gewinne eingefahren. Auch die Landwirtschaft sei auf Artenvielfalt und zum Beispiel Bestäuber angewiesen.

Özdemirs Ministerium erklärte aber, dass die Änderungen der Regeln „ökonomische Vorteile“ für die Landwirte brächten, weshalb sogar eine Zustimmung „grundsätzlich denkbar gewesen“ wäre. Deutschland habe sich dann aber enthalten, weil die EU die Standards senke, „ohne andere Maßnahmen zu etablieren, die das gesellschaftlich gewünschte Klima-, Arten- und Umweltschutzniveau erhalten.“

Özdemir hatte die voraussichtliche Enthaltung der Regierung auch damit gerechtfertigt, dass die anderen 26 EU-Länder zustimmen würden – was sie jetzt auch taten. Wenn er sich enthalte oder mit Nein votiere, ändere das nichts, hatte der Grüne der taz gesagt. Umweltschützer hielten dagegen, dass sich an Deutschland andere EU-Staaten orientierten und so möglicherweise doch eine Sperrminorität zustande kommen könne.

Problem: Scholz und die FDP

„Da hätte Deutschland eine klare Haltung beweisen müssen“, antwortete der grüne EU-Abgeordnete Häusling am Montag auf die Frage der taz, ob die Bundesregierung mit Nein hätte stimmen sollen. Sie hätte ein Zeichen setzen müssen, dass die Agrarpolitik in die falsche Richtung läuft, so der Hesse. Häusling machte für die deutsche Enthaltung auch die SPD verantwortlich. „Unser größeres Problem ist der Bundeskanzler. Das hat mit der FDP nur am Rande zu tun“, so Häusling. Üblich ist, dass sich Deutschland enthält, wenn sich die Koalitionspartner nicht einigen können.

Der Bauernverband hatte die Abschaffung der Umweltvorschriften begrüßt. Sie würde die Wettbewerbsfähigkeit der hiesigen Höfe erhöhen, teilte Deutschlands größte Agrarorganisation mit.

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26 Kommentare

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  • Ich bin kein Experte auf dem Gebiet. Aber ich Frage mich welche Überlegungen dazu geführt haben diese Gesetze zu initiieren? Und dann die Frage ob die Gründe von damals heute nicht mehr aktuell seien? Also ob das eine Sachentscheidung ist, diese Gesetze fallen zu lassen. Wenn nicht, dann ist es Geschacher und das geht meistens auf Kosten deren die sich am wenigsten wehren können.

    • @llorenzo:

      "Aber ich Frage mich welche Überlegungen dazu geführt haben diese Gesetze zu initiieren? Und dann die Frage ob die Gründe von damals heute nicht mehr aktuell seien?"

      Psst - solche Fragen stellt man in der Landwirtschaftspolitik nicht.

      Sonst müsste man ja beispielsweise beantworten, warum Wiesen und Weiden - also die Grundlagen der Fleischviehwirtschaft - so schützenswert sind.

      Oder ob Blühstreifen tatsächlich so effektiv sind... Die liegen gerne neben stark befahrenen Straßen, wo vor allem die Autofahrer beim Blick auf die Windschutzscheibe eine Zunahme der Artenvielfalt wahrzunehmen glauben - oder ortsnah am Wegrand, wo man eher Hundekacke als Gemüse ernten kann. Der zugehörige Umtrieb gefällt jetzt aber auch nicht allen zu schützenden Arten...

  • Hier wird eine Enthaltung kritisiert zu einem Beschluss dem alle anderen EU-Länder zugestimmt haben.



    Scheint also was dran zu sein was die Fachpolitiker zu dem Thema entschieden haben.



    Wenn ich mir hier so die Kommentare durchlese, dann scheinen die Kritiker auch nicht vom Fach zu sein um das objektiv beurteilen zu können. So lange man das nicht selber umsetzen muss, lässt sich auch vieles fordern.

  • Tja, wer in BaWü noch was werden will, muss halt weltanschauliche Flexibilität beweisen.

    • @My Sharona:

      Ich habe mit den Grünen nichts am Hut, aber die Fairness gebietet es zu sagen:



      der auch für mich erstaunlich weitgehende Rollback bei der Konditionalitätenbrache und den Fruchtfolgereglungen wurde im EU-Parlament bestimmt nicht von der Grünen Europafraktion und zuallerletzt von Cem Özdemir angestoßen.

      Wenn sich Deutschland jetzt als einziges Land enthält, ist das auch ein Statement. Ein Nein hätte nur etwas gebracht, wenn sich weitere Länder dem Nein angeschlossen hätten.

      Sowas zeichnet sich im Vorfeld und nicht erst bei der Abstimmung selber ab. Man kann sicher sein, dass das Landwirtschaftsministerium da zuvor sondiert hat.

      Ich denke, auch ein Herr Hofreiter hätte somit in dieser Situation ziemlich alt ausgesehen.

  • Und wenn die Äcker nichts mehr hergeben, keine Insekten die Pflanzen bestäuben und Hitzewellen die Ernte vernichten, werden die Bauern auf die Politik schimpfen, dass die nicht rechtzeitig gehandelt hat.



    Bauern halt.

    • @TeeTS:

      Glaube ich auch.



      Kleine Bauern oder Bauern am Berg, Nebenerwerbsbauern so wie wir, haben keine Lobby. Siehe Wolf. Aber was die Agrarindustrie macht, ist egal.



      Und ehrlich gesagt, die Brachflächen, den Düngerverzicht usw. halten wir gerne ein, und er lohnt sich, trotz einigen Aufwandes, auch von den Subventionen her.

  • Drei Schritte vor und drei zurück,



    so ist leider die grüne Politik.



    Weht woher ein rauer Wind,



    ändert man Beschlossenes geschwind.



    Diese Ampel, liebe Leute,



    taugt nicht für die Probleme von heute.

  • Es gibt es also doch das bedingungslose Grundeinkommen. Allerdings nur für die Bauern.

    • @Streberin:

      "bedingungslos" ??



      Da scheinen Sie die Voraussetzungen nicht zu kennen.

  • 4G
    48798 (Profil gelöscht)

    Die gelegentliche und vereinzelte Kritik aus den eigenen Reihen kann leider nicht darüber hinwegtäuschen, das die grünen Mandatsträger in Bund und Land unverdrossen ihre klima- und umweltschädliche Politik fortsetzen.

    Hr Özdemir kann sich inzwischen durchaus mit seinen Vorgängern aus der CSU messen.



    Auch Hr Schmidt hatte ja seinerzeit für die Verlängerung der Glyphosat-Zulassung gesorgt und den Bauernverband bei seiner hemmungslosen, profitgetriebenen Naturzerstörung unterstützt.

    Wichtig wäre, das all die klima- und umweltbewußten Wähler sich endlich auf die Suche nach Alternativen begeben und ihr kostbaren Stimmen nicht mehr dem Machterhalt strukturkonservativer „Grüner“ opfern.

  • Warum ist Özdemir bloß Landwirtschaftsminister geworden? Er wäre ein super Außenminister..

  • 6G
    608196 (Profil gelöscht)

    Ach Cem.



    Irgendwie ist der Posten des Ressortchefs für Landwirtschaft und Umweltschutz ein korrumpierendes Stühlchen, das selbst einst ökologisch sozialisierte Zeitgenossen schleift.



    Ist es vermeintlicher Machterhalt, der Cem Özdemir hier seitens der Parteivorsitzenden indoktriniert hat?



    Ist es Hilflosigkeit, angesichts der massiven Lobbyarbeit des im Bundestag am stärksten vertretenen Lobbyverbandes, die gerne auch mal brachial gewaltaffin die Öffentlichkeit zum Erhalt ihrer Privilegien in Geiselhaft nehmen?



    Jedenfalls ist es weder Verstand, noch die Dringlichkeit das überfällig Notwendige für Umwelt-, Naturschutz und einer Reform der Landwirtschaft zu entscheiden, das C. Özdemir hier antreibt.



    Ich bin weit entfernt vom trendigen Grünen-Bashing, doch wenn ihr so weiter regiert, werdet ihr nur noch Resteessen für die Union als kleiner Koalitionspartner werden.



    Denn dann seid Ihr mitverantwortlich, dass diese Ampel keine Chance auf Wiederwahl hat.



    Für das hier hat euch von uns Niemand gewählt.



    Jetzt mal Rückrat finden und wirklich Klima- und Umweltschonenden Politik umsetzen.



    Je mehr Wiederstand dagegen, desto sicherer könnt Ihr sein, endlich das Richtige zu tun.



    Dann kommt mein Kreuz an wieder an fie selbe Stelle.

  • 4% der Ackerfläche einfach so von einem auf das andere Jahr entschädigungslos stillzulegen ist aber auch sehr sportlich.

    Ein Rollback, mit allen Kollateralschäden, entsteht eben meist, wenn man vorher überzogen hat.

    • @Waage69:

      Vielleicht wären die 4% auch eine kleine Entschädigung der Landwirte für verursachte Umweltschäden der letzten 30 Jahre gewesen? Und "sportlich" ist es auch, den Preis für ein Nichthandeln zu verschweigen: Die Abschaffung der Umweltauflagen wird die Biodiversitätskrise verschärfen. Was das bedeutet, scheint kaum jemand wahrhaben zu wollen!

      • @Axel Donning:

        Mehr Umweltschutz geht halt nicht gegen, sondern nur mit der Landwirtschaft. Und wenn man 4% der Ackerfläche stilllegen möchte muss man dafür eben an die Eigentümer*innen eine Entschädigung je ha zahlen. Die Flächenprämie allein reicht da nicht...

        ...die Flächenprämie reicht mal grade als Einkommensstütze, damit die Landwirtschaft ihre Produkte mehr oder weniger zum Selbstkostenpreis an die Lebensmittelindustrie und Wochenmärkte weiterreichen kann.

        Zudem ist es auch nicht so, dass gänzlich alle Umweltauflagen kassiert wurden. z.B. gibt es weiterhin Abstandspflichten durch Gewässerrandstreifen, Pflanzenschutzauflagen, Dokumentations- und Bilanzierungspflicht beim Einsatz von Mineral und Wirtschaftsdünger etc.



        Diese Auflagen werden, unbeeinflusst vom EU Rollback- tendenziell künftig eher verschärft. Es wird auch künftig keinen Freibrief für das Beseitigen von Landschaftselementen und den Umbruch von Dauergrünland geben...

        ... festzustellen bleibt: beendet wurde durch das inzwischen nach rechts geschwenkte EU-Parlament nicht zuletzt ein in den den letzten Jahren immer übergriffiger gewordenes "grün" motiviertes Mikromanagement.

        Man muss dann halt jetzt zusehen, dass man auf einer tragfähigeren Ebene wieder zusammenkommt.

  • Womit hat Scholz gedroht, wenn er zustimmen würde.



    Oder ist es vorauseilender Gehorsam.



    Wen soll man jetzt noch wählen.



    Ich fasse es nicht.

  • Herr Özdemir hat inzwischen komplett vergessen, was er alles VOR der Wahl versprochen hat. Eigentlich macht er im Amt gar nichts und verweist bei schlechten Entscheidungen - wie dieser unseriösen Enthaltung - auf die Koalitionspartner. Hat er etwa erwartet, dass Olaf Scholz etwas anderes als ein Wirtschaftssklave ist? Am meisten würde mich interessieren, warum Herr Özdemir die Ergebnisse der Borchert-Kommission nicht angewandt hat als es noch möglich war. Auch die taz hat es versäumt mal nachzufragen...

  • Hofreiter wäre besser gewesen.



    Hofreiter wäre besser gewesen.



    Hofreiter wäre besser gewesen.



    Özdemir sollte sich sehr rasch nach Stuttgart bewegen - und noch mal Standvermögen trainieren.

    • @Janix:

      Richtig!

      Richtig!

      Richtig!

      Deshalb wurde er ja auch von denen verhindert, die WIRKLICH das Sagen haben.

  • Die Eintönigkeit der Agrarlandschaft ohne Rückzugsräume und Habitate ist ein wesentlicher Grund für den Schwund der Biodiversität. Wer für seine gesamte landwirtschaftliche Fläche Subventionen erhält, sollte auch vier Prozent für ökologische Ausgleichsflächen zur Verfügung stellen. Verantwortungslos und dümmlich, wie sich der Bauernverband dagegen stemmt. Er sägt am Ast, auf dem er sitzt.

    • @K2BBQ:

      "Dümmlich" ist schon eine harte Bezeichnung für eine Fachverband.



      Da scheinen Sie die Faktenlage wohl sehr gut zu kennen und/oder verfügen auch über Praxiserfahrung um die Hintergründe für die einzelnen Punkte beurteilen zu können.

    • @K2BBQ:

      Leider sitzt nicht nur der Bauernverband (der vorallem die industrielle Landwirtschaft vertritt) und die politischen Gestalten, die hier alle einknicken auf dem Ast, sondern wir alle. Nachdem in Deutschland schon 70 Prozent der Insektenmasse verschwunden sind, schaffen wir mit dieser Politik die restlichen 30 Prozent auch noch ganz schnell. Ansonsten könnte man ja schadenfroh daneben sitzen und darauf warten, dass die Lobbyisten der industriellen Landwirtschaft mit der Ausrottung fast aller Bodeninsekten und Bestäuberinsekten ihr Gewinnmodell Landwirtschaft in der EU dauerhaft abgeschafft hat.

  • Da kann ich auf einen grünen Umweltminister halt auch gut verzichten.

    • @Konrad Ohneland:

      Freud'scher, sorry. Natürlich Landwirtschaftsminister.

  • Danke für diesen faktenreichen Artikel!



    Die Sachlage sollte doch ein "grüner" Landwirtschaftsminister kennen