AfD in Regierung verhindern: Der eigentliche Feind steht rechts
Die als gesichert rechtsextrem eingestufte AfD Sachsen bleibt in Umfragen vorne. Statt dagegen aktiv zu werden, bekämpfen sich Linke gegenseitig.
N un ist es also offiziell besiegelt: Die sächsische AfD ist „gesichert rechtsextremistisch“, verkündete am 8. Dezember das Landesamt für Verfassungsschutz. Es hat vier Jahre gedauert, bis die Behörde auf Papier brachte, wovor die Zivilgesellschaft schon lange warnt: Die Partei ist eine Gefahr für eine offene, demokratische Gesellschaft.
So lange hatte die AfD Zeit, ihr Gedankengut bei gut einem Drittel der sächsischen Gesellschaft fest zu verankern. Laut aktuellen Umfragen würden 33 Prozent der Wähler*innen in Sachsen bei der Landtagswahl AfD wählen. Sie würde damit – neben der CDU – stärkste Partei werden. Alle anderen Parteien dümpeln zwischen 3 und 7 Prozent am Rande der Bedeutungslosigkeit. Das bleibt nicht rein fiktiv: Im kommenden Herbst wählt Sachsen tatsächlich. Es könnte passieren, dass die AfD an einer Regierung beteiligt sein wird.
Und was macht die Linke? Die streitet über Deutungshoheit. Nicht unbedingt die Linkspartei, die hat immerhin der sächsischen CDU Gespräche darüber angeboten, wie eine Regierungsbeteiligung der AfD verhindert werden könnte. Aber große Teile der deutschen, auch sächsischen Linken, verlieren sich angesichts des Kriegs zwischen Israel und der Terrororganisation Hamas in Positionierungszwängen, die zwar der eigenen Abgrenzung, nicht jedoch dem gesellschaftlichen Gesamtklima nützen.
Seit dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober geht es hauptsächlich darum, sich zu positionieren und andere dafür zu canceln, wenn ihre Instagram-Performance nicht exakt der eigenen Meinung entspricht. Es wird mehr über Kleidungsstücke und Flaggen diskutiert als über die Auswirkungen, die mit dem Krieg einhergehen.
Polarisierung von allen Seiten
In Deutschland nehmen Antisemitismus und Rassismus gerade massiv zu. Eigentlich müssten Linke genau im Kampf dagegen eine gemeinsame Grundlage sehen. Stattdessen verunmöglichen Polarisierung und Dogmatismus von allen Seiten ein Miteinanderreden zunehmend.
Ein Beispiel: In Leipzig wurde im Oktober das einzige BIPoC-Hausprojekt angegriffen. Unbekannte warfen einen Behälter mit Schweinefett durch eine Scheibe und beschädigten sie damit. Später reklamierten Unbekannte den Angriff für sich und schrieben, man habe das Haus als „Warnung“ angegriffen, um ihnen „antisemitische Hetze zu erschweren“.
Hintergrund ist, dass sich im seit Jahren von unterschiedlichsten Gruppen genutzten Plenumsraum des Hauses auch sogenannte rote Gruppen treffen. Die stehen immer wieder in der Kritik, sich antisemitisch zu äußern. Und werden dennoch oft toleriert. Aber das macht noch lange nicht die Bewohner*innen des Hauses zu Antisemit*innen.
Die Linke ist handlungsunfähig
Beide Strömungen innerhalb der Linken – Antideutsche und Antiimperialist*innen – haben ihre eigenen Verdienste. Es ist Antideutschen zu verdanken, dass in den 1990er Jahren Räume gegen Neonazis verteidigt wurden, von denen die Zivilgesellschaft heute profitiert. Und, dass die Linke sich mit ihrem eigenen Antisemitismus auseinandergesetzt hat. Und es ist antiimperialistischen Strömungen zu verdanken, dass internationale Perspektiven besprochen werden und linke Politik nicht isoliert von globalen Kämpfen gegen Unterdrückung betrachtet wird. Beides entsteht nicht im luftleeren Raum, sondern in Kontexten, die wir anerkennen sollten. Und die nebeneinander stehen dürfen müssen.
Die Pauschalverurteilung aller, die nur in der Nähe einer dogmatischen Position vermutet werden, macht die Linke handlungsunfähig. Natürlich braucht es eine klare Abgrenzung von Antisemitismus und Islamismus. Ebenso wie von antipalästinensischem, antimuslimischem und antiarabischem Rassismus. Bewegungen, die solche Ideologien verbreiten, sind nicht emanzipatorisch.
Denn, es gibt Positionen, die so dogmatisch, einseitig und autoritär sind, dass sie einen Minimalkonsens verunmöglichen. Diese Stimmen sind oft lauter als jene, die sich nicht zu Dogmatismus und autoritärer Politik hinreißen lassen und zu einem Perspektivwechsel fähig sind.
Diese differenzierten Stimmen werden im polarisierten Diskurs, der von Freund-Feind-Schemata und Kontaktschuld geprägt ist, entmutigt und pauschal verurteilt. Dabei braucht es genau diese Menschen, die bereit sind, miteinander ins Gespräch zu kommen und so einen Minimalkonsens zu finden, der die Linke wieder handlungsfähig macht. Um Bündnisse zu schließen, die in die Zivilgesellschaft hineinwirken.
Es braucht linken Minimalkonsens
Das ist schon einmal gelungen: 2019, als die Sorge vor einem Wahlsieg der AfD in Sachsen ebenfalls groß war, gab es ein breites zivilgesellschaftliches Bündnis. „Unteilbar – Für eine offene freie Gesellschaft – Solidarität statt Ausgrenzung“ organisierte Gesprächsrunden in sächsischen Kleinstädten und Demonstrationen. Ob genau dieses Engagement den Wahlsieg der AfD verhindert hat, wissen wir nicht. Aber es hat ein Zeichen gesetzt.
Ein solches Zeichen braucht es auch jetzt. Wir können uns selektive Solidaritäten nicht leisten, nicht erlauben, an Grabenkämpfen zugrunde zu gehen. Es braucht einen linken Minimalkonsens, der zivile Opfer ablehnt, egal woher sie kommen. Der sich von Dogmatismus abgrenzt und Kompromisse eingehen kann. Der die gemeinsamen politischen Feinde in antidemokratischer, menschenverachtender Politik sieht.
Wir können den Nahostkonflikt nicht in Deutschland lösen. Was wir tun können, ist, solidarisch mit Menschen zu sein, für die der 7. Oktober eine Zäsur war. Die von Krieg, Vertreibung, Vergewaltigung und Terror betroffen sind, die Antisemitismus und Rassismus erleiden. Wir sollten Räume öffnen, in denen diejenigen, die sich nicht zu Dogmatismus hinreißen lassen, sich begegnen und miteinander reden können, um so solidarische Alternativen voranzubringen.
Und wir sollten das besser früher als später tun. Schon in neun Monaten könnte eine rechtsextreme Partei in Sachsen an der Regierung beteiligt sein.
Hinweis: In einer früheren Version des Beitrags hieß es, ein „spontaner Zusammenschluss entsetzter antideutscher, antifaschistischer, antirassistischer Kommunisten:innen aus Leipzig“ habe einen Angriff auf ein BIPoC-Hausprojekt in Leipzig für sich reklamiert. Das trifft nicht zu. Wir haben die Stelle angepasst.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind