Kampf gegen Rechts: Mehr Unteilbar wagen
Rechte demonstrieren fast unwidersprochen in Berlin, der Bundespräsident haut rechte Talking-Points raus. Es ist an der Zeit für neue Bündnisse.
W er etwas über den gegenwärtigen Zustand zivilgesellschaftlicher Gegenwehr gegen den Rechtsruck in Berlin wissen will, der musste am 3. Oktober durch Mitte laufen. Nur vereinzelter Protest hatte sich gegen rund 5.000 Verschwörungsideolog*innen und Rechtsextreme formiert. Ein paar stabile „Omas gegen Rechts“ und die Antischwurbel-Gruppe „Reclaim Rosa-Luxemburg-Platz“ hielten die Stellung – allerdings recht einsam.
Die Rechten hingegen machten sich weitgehend ungehindert vor der Kulisse des Berliner Doms, des Alten Museums und wiederaufgebauter preußischer Großmacht-Architektur breit und feierten zusammen mit der AfD und der Parole „Ost-Ost-Ostdeutschland“ die gesellschaftliche Spaltung. Es kamen Neonazis, Holocaustleugner, AfD-Politiker und eine abgedriftete DDR-Bürgerrechtlerin, die im Kuratorium der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung sitzt. Politische Gegner wurden als „Parasiten“ bezeichnet, die BRD mit einer „Diktatur“ gleichgesetzt, von Chemtrails und Gefährlicherem geschwurbelt.
Berlins linke Protestszene hingegen scheint gelähmt angesichts einer Art von Post-Corona-Fatigue und eines anhaltenden Rechtsrucks unter kräftiger Mithilfe konservativer Wegbereiter wie Friedrich Merz, Jens Spahn und Joachim Gauck, die rechte Diskurse normalisieren und rechtsradikale Forderungen hinter euphemistischen Worthülsen verstecken. Oder die wie Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in der Tagesschau unwidersprochen rechte Politik reproduzieren und dabei Geschichtsklitterung mit Blick auf den in den 1990er Jahren geschlossenen „Asylkompromiss“ betreiben.
Zur Erinnerung: Mit diesem „Kompromiss“ wurde damals letztlich das Grundrecht auf Asyl ausgehöhlt und rechte Gewalt faktisch als Ausdruck eines vermeintlichen Volkswillens legitimiert.
Die allgemeine Beschissenheit der Dinge
Heute fordern die Grünen Abschiebungen und wollen zusammen mit der SPD Europas inhumanes Grenzregime befestigen. Die AfD reibt sich derweil in ihrem Umfragehoch vor Glück die Hände – angesichts des ersten Landrats in Thüringen und anstehenden Landtagswahlen in Bayern, Hessen und 2024 auch im Osten.
Angst, Resignation und Zweifel sind angesichts der allgemeinen Beschissenheit der Dinge vollkommen verständlich – zuallererst natürlich für diejenigen, die von rechter Hetze und Gewalt bedroht sind.
Umso wichtiger aber wäre es für den Rest und diejenigen Betroffenen, die noch Kraft haben, nicht zu resignieren und ins Handeln zu kommen. Eine Perspektive zu entwickeln, wie es besser laufen könnte. Bündnisse gegen gesellschaftliche Spaltung zu schmieden zwischen all denjenigen, die sich Sorgen machen – denn das ist immer noch die Mehrheit.
Ausgerechnet München als positives Beispiel
Dafür gab es jüngst immerhin zwei positive Beispiele. Und hier kann in Sachen Bewegung ausnahmsweise sogar München ein Vorbild für Berlin sein: Dort haben ebenfalls diese Woche im Vorfeld der Bayern-Wahl 35.000 Menschen gegen Ausgrenzung, Rassismus und Antisemitismus protestiert.
Unter dem Motto „Zammreißen – Bayern gegen Rechts“ formierte sich ein Bündnis aus einer Sozialgenossenschaft, politischen Vereinen, aber auch der politischen Bildungslandschaft und der israelitischen Kultusgemeinde. Deren Präsidentin Charlotte Knobloch sprach den Protestierenden Mut zu und warnte vor einer „Feuerprobe“ der Demokratie: „Was heute ins Rutschen kommt, kann morgen schon unsere Demokratie unter sich begraben.“
Ein ähnliches Momentum gab es im Kleinen vor Kurzem im thüringischen Nordhausen, als bei der Stichwahl zu einer bereits verloren geglaubten AfD-Oberbürgermeisterwahl ebenfalls ein zivilgesellschaftliches Bündnis, angeführt vom KZ-Gedenkstättenleiter und Historiker Jens-Christian Wagner, gegen die Spaltung mobilisiert hatte.
Es braucht breite Bündnisse
Die Beispiele zeigen: Es braucht jetzt breite gesellschaftliche Bündnisse, um Rechte in die Schranken zu weisen. Zu viele Leute haben sich viel zu lange einfach auf antifaschistische Strukturen verlassen, die meist ohne viel Dank gesellschaftliche Werte gegen autoritäre Abgründe verteidigt haben. Aber es kann nicht nur Aufgabe von linken Gruppen sein, die Demokratie zu verteidigen.
Es ist an der Zeit, den Mund aufzumachen. Ob nun im Nahumfeld der Familie, im Sportverein, auf der Arbeit oder einer Antifa-Demo. Es braucht einen übergreifenden Aufstand der Anständigen, wie es ihn 2018 schon einmal nach entmenschlichender „Flüchtlingsdebatte“ und dem offenen AfD-Schulterschluss und pogromartigen Zuständen in Chemnitz mit „Unteilbar“ und „Wir sind mehr“ gegeben hat. Unteilbar hat sich letztes Jahr aufgelöst – vielleicht ist es an der Zeit für eine Neuauflage.
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