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Abtritt von Carola RacketeEnde eines Missverständnisses

Stefan Reinecke
Kommentar von Stefan Reinecke

Die Aktivistin Carola Rackete zieht sich nach nur einem Jahr aus dem Europaparlament zurück. Das zeigt: Politikmachen will gelernt sein.

Kurz vor knapp bei der Weltrettung ging ihr die Puste aus Foto: Jean-Christophe Verhaegen/AFP/dpa

D er Unternehmer Jost Stollmann, der Jurist Paul Kirchhof, die Journalistin Susanne Gaschke und die Aktivistin Carola Rackete haben etwas gemeinsam. Sie sollten als Quereinsteiger eine Art Sauerstoffzufuhr für stagnierende Parteien sein – und scheiterten. Die Seiteneinsteiger wirken attraktiv, weil sie ein Defizit auszugleichen versprechen. Parteien sind oft nach außen abgedichtet und sozial homogen. Die Quereinsteiger sollen frischen Wind bringen. Das geht allerdings oft schief, weil Politik auch ein Handwerk ist, das man können muss.

Dass Rackete nach einem Jahr ihr Mandat im Europaparlament niederlegt, ist keine große Überraschung. Die 2023 noch kriselnde Linkspartei erhoffte sich von der Kandidatur der früheren Sea-Watch-Kapitänin für die Europawahl Anschluss an soziale Bewegungen. Das war ein ziemlich durchsichtiger Tausch – Mandat gegen Image.

Dass Rackete eine Fehlbesetzung war, dämmerte schnell auch manchen ihrer Unterstützer in der Linkspartei. In einem Interview empfahl die Aktivistin der Linkspartei in einer Mischung aus Ahnungslosigkeit und Arroganz, sich mal mit ihrer SED-Geschichte zu beschäftigen und einen neuen Namen zuzulegen.

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Für ihren Rückzug aus dem Europaparlament führte sie nun bemerkenswerte Gründe an. Die Erneuerung der Linkspartei sei gelungen. Jetzt wolle sie sich nicht mehr um „Mietendeckel oder ein paar Prozent mehr“ für die Linkspartei kümmern, sondern um die Rettung von Klima und Menschheit.

Nun, bedeutende Beiträge von Rackete zur Erneuerung der Linkspartei oder zur Mietenpolitik sind nicht recht erinnerlich. Für „ein paar Prozent“ für die Linkspartei ist sie allerdings mitverantwortlich. Mit ihr als Spitzenkandidatin halbierte die Linkspartei bei der Europawahl 2024 ihr Ergebnis und landete bei 2,7 Prozent.

Dieser Rückzug ist das Ende eines Missverständnisses. Der Fall Rackete zeigt deutlich, dass Bewegungs- und Parteilogiken nicht deckungsgleich sind. Zu lernen wäre, dass Parteien, die Prominenz einkaufen wollen, solche Tauschgeschäfte vorsichtiger und skeptischer angehen.

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Stefan Reinecke
Korrespondent Parlamentsbüro
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.
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25 Kommentare

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  • Die Kandidatur war wohl nicht ernsthaft .



    Frau Rakete diente der Linkspartei nur als Zugpferd für Wählerstimmen.

  • "In einem Interview empfahl die Aktivistin der Linkspartei in einer Mischung aus Ahnungslosigkeit und Arroganz, sich mal mit ihrer SED-Geschichte zu beschäftigen und einen neuen Namen zuzulegen."



    Den Namen "Die Linke" fand ich schon immer arrogant und anmaßend! Auch die Partei "Die Linke" ist nur ein (kleiner) Teil der gesamten Linken. Selbst in Deutschland! Und die SED-Vergangenheit wird man auch nicht so einfach durch Distanzierung loswerden. Das ist erstmal reine Tatsache. Ob gerechtfertigt oder nicht, ist eine andere, etwas komplexere Frage.

  • Berufspolitiker/innen brauchen die Repräsentative Demokratie als Basis ihrer beruflichen Lebensgestaltung. Allerdings ist die mittlerweile sehr verkommen, wenn nicht sogar gescheitert.



    "Begrenzung von Amt und Mandat" war mal die Gründungsbasis der GRÜNEN, erfolgreich beim "Marsch in/durch die Institionen" von J. Fischer platt gemacht ua. auch zum eigenen finanziellen Vorteil.



    Wie kommt man aus der Misere wieder raus?

  • Dieser Fall bestätigt mich nur in meiner Meinung:

    Mandate grundsätzlich auf zwei Legislaturperioden begrenzen.



    Keine Profipolitiker.

  • Warum so viel häme? Mir fallen sehr viele politiker- innen ein, die für diese tätigkeit noch weniger geeignet sind - warum zieht gerade Carola Rackete so viel häme auf sich?

  • toll wie die linke Politiker mit dem Wählerwillen umgehen! Man spürt so richtig den Willen etwas zu ändern, aber nur solange es keinen Widerstand gibt! Jetzt muss die Weltrettung leider ausfallen.....

  • Okay, der Instagram-Beitrag ist vielleicht ungünstig formuliert und zeugt vom Fehlschluss, dass Klimarettung und soziale Fragen getrennt seien. Angedacht werden sollte vielleicht, dass eine ökologische Wende wohl nur mit einer sozialen einhergehen kann. Profitmaximierung schließt ökologisch sinnvolles Handeln in der Regel aus.

  • Sehr treffender Kommentar.



    "Jetzt wolle sie sich nicht mehr um „Mietendeckel oder ein paar Prozent mehr“ für die Linkspartei kümmern, sondern um die Rettung von Klima und Menschheit."



    Die Chancen stehen gut, dass auch dieses Vorhaben komplett nach hinten losgeht. Wie gut selbsternannte Retter beim Gros der Bevölkerung ankommen, hat die Letzte Generation sehr anschaulich erfahren dürfen.

  • Vielleicht hat sie bemerkt, dass man als "Politiker/in" automatisch von Gegnern, Presse und Öffentlichkeit niedergemacht wird, egal wie man sich engagiert. Politiker ist ein undankbarer Job geworden, weshalb echte Profis lieber für ein mehrfaches an Geld und ohne Öffentlichkeit in Firmen und Konzernen arbeiten.



    War es nicht gerade auch Rakete, welche kein gutes Wort an der Politik lies?

  • "Kurz vor knapp bei der Weltrettung ging ihr die Puste aus", Besser hätte das auch Bild nicht formuliert.

    Zu Reineckes Suada zur mangelnden politischen Professionalität von Rackete. Ein Totschlagargument, denn wer zählt die professionelleren politischen Versager? Spahn etwa.

    Kann es sein, dass Herr Reinecke allergisch auf eine Frau reagiert, die eben nicht von den überschaubaren Kriterien von Institutionen geprägt wurde und nicht wie Max Weber Lust hatte, dicke Bretter in der Bürokratie zu bohren, sondern eben diese Bretter nutzte, um mit einem Schiff Menschen zu retten?



    Eine Tat, die wie bei Baerbock oder Habeck mit einer Vertretungs-Professur an einer renommierten Universität geehrt werden sollte, vielleicht in dem Sinne, dass eine Universität mobil machen würde - in einem Flüchtlingscamp ein Jahr unterrichten z. B.

    Utopie sicher, aber bei den frühen Grünen wäre sie das mit Sicherheit nicht.

    Zur Wahrheit gehört leider auch, dass Rackete mit fadenscheinigen Argumenten ihren Abgang ummäntelte. Wie eine "richtige Politikerin" halt. Ein beidseitiges Misssverständnis zwischen Politik und politischer Bewegung. Schade!

  • Ich finde es anerkennenswert, wenn solche "Missverständnisse" mit einem Rücktritt enden.

    Ein sehr viel treffenderer Vergleich - statt Stollmann, Kirchhof und Gaschke - wäre Nico Semsrott gewesen. Semsrott, der gelegentlich für die taz schreibt, hat sich nach seinem Einzug ins Europaparlament 2019 mit seiner Partei ("Die Partei") überworfen, behielt sein Mandat (und die entsprechenden Bezüge) jedoch über die gesamte Legislaturperiode von fünf Jahren. In meinen Augen völlig okay. Ich verstehe jedoch nicht, warum das gewiss konsequentere Verhalten von Rackete so boshaft kommentiert wird. Die Bildunterschrift enthält Häme, die ich in der taz nicht erwartet hätte.

    Gleichzeitig möchte ich Carola Rackete viel Glück für ihre neuen Unterfangen wünschen.

    • @Totti:

      Sie verwechseln hier Nico Semsrott mit Arne Semsrott.



      Nico ist der (Ex-)Europaparlamentarier, Arne der TAZ-Schreiber.

      PS: Ich schätze beide.

    • @Totti:

      Zustimmung - sie hat ihre Grenzen erkannt und sich dementsprechend entschieden - also: chapeau !

      • @horsefeathers:

        Ob man die wirklich schlauchende Arbeit im Europaparlament und die immense Arbeit, sich fachlich einzuarbeiten länger als ein paar Monate durchhält, hätte man auch zuvor wissen können.

  • Schwaches Bild.

  • "Zu lernen wäre, dass Parteien, die Prominenz einkaufen wollen, solche Tauschgeschäfte vorsichtiger und skeptischer angehen." Als wäre das eine Lösung; schon etwas naiv, oder? Wenn die Parteien nicht fähig sind sich inhaltlich und äußerlich kommunikativ besser aufzustellen, warum soll es dann Dritten eingekauften leichter fallen, wenn das interne Mindeset schon nicht einmal in der Lage ist einfache Einwürfe wie SED Vergangenheit als Aufgabe anzunehmen.



    Politik ist nicht Fußball, aber mehr Kommunikation als Fußball und dabei ehrliche Kommunikation. Anders wird das nix mehr in diesem Jahrhundert der weitgehend aufgeklären - zumindest in unserem Lande, oder Herr Reinecke?

  • Herrn Reineckes Kommentar trifft es.

  • „Politikmachen ist ein Handwerk, das gelernt sein will.“

    Dieser Satz sollte jedem echten Demokraten eine Zumutung sein. In einer Demokratie sollte das Politikmachen allen BürgerInnen, unabhängig von ihrer Herkunft, Bildung usw. zugänglich sein und es sollte eine egalitäre Beteiligung aller Bevölkerungsgruppen, -schichten usw. garantiert sein.

    In einer sogenannten repräsentativen Demokratie ist das etwas ganz anderes. Da garantieren Wahlen eine elitäre Auswahl von PolitikerInnen vom Ortsverein bis zum Spitzenposten im Kanzleramt. Da braucht man aber von Demokratie, ob innerparteilich, national oder europäisch gar nicht mehr zu reden. Wir haben nämlich eine Republik und da bestimmt die Konkurrenz innerhalb einer elitären Parteienoligarchie je nach Mehrheitsverhältnissen in den Gremien, wo die Mitte ist, in der sich ParteigängerInnen zu Kompromissen zusammenraufen. Das alles erfordert eine gewisse Schauspielkunst, persönlichen Ehrgeiz und robuste Dreistigkeit. Kurz: Einen Willen zur Macht, der Demokraten als Charakterschwäche verpönt sein sollte.

    • @DemokratischeZelleEins:

      Das Politikmachen war und ist doch zugänglich, sieht man daran, dass Frau Rackete es immerhin ins Europaparlament geschafft hat. Nun reicht es halt aber eben nicht aus, im Europaparlament zu sitzen und Frau Rackete zu sein, sie, oder man, muss dann halt auch was machen beim Politikmachen, also eben arbeiten . Da kam halt nix.

      • @Carolin Rudolf:

        Es ist schon etwas komisch, die Zugänglichkeit zum Politikbetrieb daran festzumachen, dass sich die Linkspartei damals eine Polit-Prominente rausgesucht hat als Zugpferd für die EU-Wahlen. Finden Sie nicht auch?

    • @DemokratischeZelleEins:

      Sie vertreten ein überaus unrealistisches Politikverständnis. Nenne sie mir ein einziges Gemeinwesen in dem jemals alle dort lebenden Personen in ständiger Zusammenkunft alles gemeinsam und gleichberechtigt entscheiden haben. Ich wohne in einem Dorf mit dreihundert Einwohnern und das funktioniert nicht mal hier. Kollektiv verbindliche Regeln und Entscheidungen wurden niemals von allen zusammen entscheiden, sondern von einigen für viele. Die grosse Stärke der repräsentativen Demokratie als Staatsform ist die regelmäßige Wahl der Entscheidungsträger und deren Bindung an Gesetze, Regeln und Verfahren. Alle anderen jemals existenten Politikmodele laufen daraus hinaus dass jene Personen und Gruppen mit der größten traditionellen Macht, Besitz und Prestige es allein unter sich aus machen wer die Entscheidungen für alle trifft.

      • @MaCo:

        Ich vertrete die Idee einer Demokratie und nicht das realpolitische Surrogat, das als repräsentative Demokratie ausgegeben wird. Deren Wahlsysteme führen ausnahmslos in eine elitäre Parteienoligarchie; Wahlen, von denen schon Rousseau zu sagen wusste: „[D]as … Volk wähnt frei zu sein; es täuscht sich außerordentlich; nur während der Wahlen der Parlamentsmitglieder ist es frei; haben diese stattgefunden, dann lebt es wieder in Knechtschaft, ist es nichts.“

        Außerdem bevorzugen Wahlen Charaktere, die sich dem Wettbewerb stellen wollen und, soweit erfolgreich, unbedingt an den Wettbewerb als Ordnungsprinzip glauben, also immer für eine elitäre, auf Differenz beruhende und letztlich sozialdarwinistische Gesellschaftsordnung eintreten. Das mögen sie realistisch finden, ist aber überhaupt nicht demokratisch und macht keine Hoffnung auf Frieden und int’l Solidarität für globale soziale Gerechtigkeit und nachhaltige Wirtschaft.

        Viel Spaß noch beim Abstieg in die Weltliga der Verlierer.

  • // In einem Interview empfahl die Aktivistin der Linkspartei in einer Mischung aus Ahnungslosigkeit und Arroganz, sich mal mit ihrer SED-Geschichte zu beschäftigen und einen neuen Namen zuzulegen. //







    Na ja, so ganz ahnungslos und arrogant sehe ich das jetzt nicht. Neuer Name ist Quatsch, aber sich mit der Geschichte beschäftigen wird immer verdrängt.

  • Die Mühen der Ebene sind nicht für jeden was, um den dritten Spiegelstrich im Antrag Nr. 53a auf dem Kreisparteitag zu diskutieren ist nichts für die Carola Racketes dieser Welt. In der Politik ist der große Wurf selten, was aber auch irgendwie im Leben ja auch so ist. Wir alle sind Normalos, eher keine James Bonds.



    Das zu erkennen ist für Frau Rackete aber auch okay, macht sie halt was anderes.

  • Carola Rackete war für diese Position von vornherein völlig ungeeignet und hat dies bei jeder Gelegenheit kundgetan. Ihre gebetsmühlenartige Wiederholung der Aussage, sie sei ja eigentlich für Bürojobs ungeeignet und wolle einen solchen auch niemals machen, war für jeden, der ein bisschen was vom Politikbetrieb weiß, äußerst befremdlich. Der damalige Linksparteivorstand war zudem der Ansicht, eine Quereinsteigerin, die ausschließlich für ihren Einsatz in der Migrationspolitik bekannt ist, sei eine gute Idee - obwohl diese zur Bedingung machte, dass sie nicht über Migrationspolitik (!) reden wolle und sogar Interviews ablehnte, wenn die Interviewpartner über dieses Thema reden wollten. Das wäre in etwa so, als würde die SPD Rudi Völler aufstellen, und der würde die Bedingung stellen, weder über Fußball noch über Leverkusen jemals reden zu wollen.

    Nun gut, jetzt hat sie ihrer Ansicht nach die Partei, die sie niemals mochte, gerettet und möchte sich nun zurückziehen. Ich wünsche ihr alles Gute und bin froh, dass den Posten jetzt jemand bekommt, der ihn tatsächlich haben möchte.