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Abschlussbericht der KohlekommissionZerreißprobe für Klimaschützer

Sie haben gekämpft, aber längst nicht alle Ziele erreicht. Dennoch stimmen die Umweltverbände am Ende zu – im Gegensatz zu vielen AktivistInnen.

Der Tagebau in Hambach Foto: dpa

Berlin taz | Anstrengend dürfte es für alle Beteiligten gewesen sein. Am Freitagmorgen pünktlich um 8 Uhr hatten sich die 28 Mitglieder der Kohlekommission mit ihren MitarbeiterInnen und den Gästen aus der Politik im festlichen Ludwig-Erhard-Saal im Bundeswirtschaftsministerium versammelt. Nur in den ersten Minuten war die Presse dabei und durfte beobachten, wie sich alle Beteiligten freundlich begrüßten. Dann folgten 21 Stunden mit viel Kaffee, Schnittchen, Pizza vom Bringdienst – und extrem harten Verhandlungen.

Doch niemand stand in der Nacht vor so schweren Entscheidungen wie die drei Vertreter der Umweltverbände. Denn viele Trophäen waren schon im Vorfeld verteilt worden: Die Bundesländer hatten ihre Strukturhilfen durchgesetzt, die Konzerne ihre Entschädigungen, die Gewerkschaften die Absicherung für die Kohlekumpel. BUND-Chef Hubert Weiger, Greenpeace-Geschäftsführer Martin Kaiser und Kay Niebert, Präsident des Deutschen Naturschutzrings (DNR), hatten bis zum Beginn der finalen Sitzung für ihre Mitglieder hingegen noch nichts herausgeholt.

Die aus ihrer Sicht entscheidenden Frage, wann welche Kraftwerke abgeschaltet werden, war bis zuletzt offen geblieben. Und sie hatten sich im Vorfeld weit aus dem Fenster gelehnt. „Im Jahr 2030 muss der Kohleausstieg abgeschlossen sein“, hatte Kaiser noch kurz vor der letzten Sitzung verkündet. „Nur so kann Deutschland seine Klimaziele erreichen.“

Am Samstagmorgen um kurz vor fünf steht fest: Das letzte deutsche Kohlekraftwerk geht nicht 2030 vom Netz, wie die Verbände öffentlich gefordert hatten, und auch nicht in der ersten Hälfte der 2030er Jahre, wie sie insgeheim gehofft hatten. Sondern 2038. Oder – falls eine Überprüfung im Jahr 2032 ergibt, dass es nötig und möglich ist, auch schon 2035. Trotzdem haben die Umweltverbände dem Ergebnis zugestimmt.

Am Samstagmorgen um kurz vor fünf steht fest: Das letzte deutsche Kohlekraftwerk geht nicht 2030 vom Netz, sondern 2038

Wenige Stunden später verteidigen ihre Vertreter diese Entscheidung vor der Bundespressekonferenz. „Der Durchbruch ist uns gelungen“, sagt DNR-Präsident Niebert. „Das Ergebnis ist ein Mut machendes Signal“, meint Weiger. Und auch Greenpeace-Mann Kaiser ist sichtbar müde, aber zufrieden: „Das Industrieland Deutschland steigt aus der Kohleverstromung aus.“

Das Enddatum halten sie zwar für deutlich zu spät, und auch den Verzicht auf verbindliche Zwischenziele für den Zeitraum zwischen 2022 und 2030 kritisieren sie scharf. Diese Haltung wollen sie in einem gemeinsamen Sondervotum zum Bericht festhalten. Dass sie trotzdem zugestimmt haben, liegt vor allem an der ersten Phase des Ausstiegs. Bis zum Jahr 2022 geht im Vergleich zu 2017 etwa ein Drittel der Kohlekapazität vom Netz. Ein Teil davon war bereits vorher beschlossen. Zusätzlich stillgelegt werden sollen Steinkohlekraftwerke mit einer Leistung von rund 4 Gigawatt und Braunkohlekraftwerke mit 3 Gigawatt.

Das entspricht etwa sechs mittleren Braunkohleblöcken. Welche das sind, hat die Kommission nicht explizit festgelegt. Doch weil mit dem Ausstieg im Westen und mit den ältesten Kraftwerke begonnen werden soll, ist ziemlich klar, auf welche es hinauslaufen wird: Die vier älteren am Standort Neurath und dazu zwei bis drei Blöcke in Niederaußem. Weil alle diese Kraftwerke aus den Tagebauen Hambach und Garzweiler II beliefert werden, steht für die Umweltverbände fest: „Damit ist der Hambacher Wald gerettet, und ein großer Teil der Umsiedlungen kann ebenfalls vermieden werden“, sagt Greenpeace-Geschäftsführer Kaiser.

Im Abschlusstext selbst steht das nicht so explizit. Da heißt es nur, die Kommission halte den Erhalt des seit Jahren von Klima-AktivistInnen besetzten und juristisch umkämpften Waldstücks für „wünschenswert“ und schlage einen neuen „Dialog um die Umsiedlungen“ vor. Doch auch Tagebau-Betreiber RWE, der einen Erhalt des Hambacher Walds bisher für technisch ausgeschlossen erkärt hatte, sagte nun, man sehe den Wunsch der Kommission kritisch, sei aber gesprächsbereit.

Rettung des Hambacher Walds ist nicht sicher

Dass der Hambacher Wald gerettet ist, davon sind viele KlimaaktivistInnen allerdings nicht überzeugt. „Was mit dem Hambi und den Dörfern passiert, ist unklar“, erklärte Nike Mahlhaus vom Bündnis Ende Gelände, das in den letzten Jahren Aktionen gegen die Braunkohle organisiert hatte. Für sie steht fest: „Was die Kohlekommission vorlegt, ist kein Konsens.“ Ende Gelände will darum weiter protestieren. Auch von VertreterInnen der streikenden SchülerInnen kam scharfe Kritik. Linus Steinmetz, der der Kommission am Freitag noch einen offenen Brief überreicht hatte, nannte die Einigung auf Twitter einen „Verrat an uns Jugendlichen“ und kündigte an, die Streiks würden fortgesetzt.

Protest kam auch von der Grünen Liga. In der Lausitz sollten „Steuermilliarden praktisch ohne Gegenleistung fließen“, kritisierte der aus der ostdeutschen Umweltbewegung hervorgegangene Verband. Die Vertreterin der Lausitzer Tagebaubetroffenen, Hannelore Wodtke, hatte darum als einziges Mitglied der Kommission gegen den Abschlussbericht gestimmt.

Weitere Proteste

Auch Greenpeace und andere halten weitere Proteste für notwendig, um den Kohleausstieg zu beschleunigen. In der Kommission sei aber nicht mehr durchzusetzen gewesen, heißt es. Zwar gab es mit einer zehnköpfigen „Klimagruppe“ innerhalb der achtundzwanzigköpfigen Kommission zunächst eine Sperrminorität, mit der einige Forderungen von Industrie und Gewerkschaften abgewehrt werden konnten. Nachdem jedoch einzelne Mitglieder dieser Gruppe in der Nacht zu Samstag signalisiert hatten, mit dem letzten Kompromiss leben zu können, hätte ein Ausscheren der Umweltverbände die Entscheidung nicht mehr aufhalten können.

Weil das Papier im Vergleich zum Status Quo viele Vorteile bringe und der weitgehende Konsens die Umsetzung durch die Politik wahrscheinlicher mache, habe man sich am frühen Morgen zur Zustimmung entschieden, hieß es. Nicht nur für Greenpeace-Geschäftsführer Kaiser war das nach eigenen Worten „eine extrem schwierige Entscheidung“. Man hoffe, dass die Basis die Entscheidung verstehe. „Wir wollten nicht den Lindner machen“, sagt DNR-Präsident Kai Niebert unter Anspielung auf den Abbruch der Jamaika-Verhandlungen nach der Bundestagswahl 2017. „Schlechter Klimaschutz ist besser als gar kein Klimaschutz.“

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9 Kommentare

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  • Diese Kommission hatte auch die Aufgabe, neben dem Kohleausstieg weitere Massnahmen vorzuschlagen, mit denen die Luecke zum Klimaziel 2020 gemindert werden sollte.

    Dazu lese ich nun gar nichts. Das ist umso bedenklicher, weil.die Bundesregierung die im Koalitionsvertrag vorgesehenen Sofortmassnahmen fuer Wind- und Solarzubau bis 2020 fuer diesen Zeitpunkt wieder gestrichen hatte.

  • Waere denn ohne die Zustimmung von Greepeace und BUND etwas anderes herausgekommen...

  • Seit dem "Ausstieg aus der Kern/Atomenergie" warte ich darauf, von Seiten der Politik ein Wort wie Suffizienz zu hören.

    In unserem Lebensstil ist noch viel Luft nach unten. Bei Entbehrung und Armut landen wir da sehr lange nicht.

    Ich bin in den 50-er Jahren aufgewachsen und wir haben weder mit weniger Wohnfläche noch ohne Auto einen Mangel gelitten. Wir haben gelernt, hinter uns das Licht auszumachen und die Kleidung der älteren GEschwister aufzutragen, niemand musste mit der neuesten Quartalsmode herumrennen, der Schuhmacher hat unsere Schuhe neu besohlt und meine Mutter hatte statt Plastiktüten eine große Einkaufstasche. Es war ein bemerkenswerter Tag, als die alte so verschlissen war, dass sie sich eine neue gekauft hat.

    Wie kommt es, dass mit all unserem technologischen Fortschritt unsere Grundbedürfnisse nicht noch ressourcensparsamer befriedigt werden sondern statt dessen ein idiotische Bedarf per Werbung geweckt wird.

    Wir könnten unseren überschießenden Ehrgeiz auch darin ausleben, schöner zu singen, besser Handstand zu machen, Bücher zu schreiben über unsere abenteuerliche Radtour in die Türkei, ….

    treffe ich wirklich den Sinn des Lebens, wenn ich ein E-Auto kaufe statt mich selbst zu bewegen?

    Wie kann ich aus dem Hamsterrad aussteigen? Wer steigt mit mir aus? Vielleicht haben die, die auf den Hambacher Bäumen saßen, darauf ein Stück Antwort gefunden.

    • @Zeit und Raum:

      Sie warten darauf, von Seiten der Politik ein Wort wie Suffizienz zu hören? Also bitte... Politik ist doch keine Frage des Wartens. Noch weniger, wenn sie demokratisch organisiert sein will. Natürlich müssen wir alle aufhören zu warten und unseren A** hochkriegen: Neue Lebensstile ausprobieren, davon berichten, auf die Straße gehen und demonstrieren, streiken, protestieren.

      Also dass es für Sie frustrierend ist zu warten, kann ich mehr als nachvollziehen... Zum Glück müssen wir nicht warten. Also lassen Sie uns was tun!

  • Der Ausstieg aus der Kohle bis 2030 ist möglich, wenn Erneuerbare Energien und Gaskraftwerke attraktiv gemacht werden. Und wenn er doch nicht möglich sein sollte, müssen wir angesichts der anstehenden Zerstörung der Erde, unseren Verbrauch senken. Viele Menschen in Industrieländern können sich nicht vorstellen, wie Menschen in Entwicklungsländern, die die Folgen des Klimawandel als erstes zu erleiden haben, mit minimalen Ressourcen auskommen. Viele hier jammern auf hohem Niveau.



    Trotz Ergebnis der Kohlekommission gäbe es noch Möglichkeiten, die Kohleenergieversorger unter Druck zu setzen: auf Ökostrom umschalten, deutlich VOR 2038.

  • „Schlechter Klimaschutz ist besser als gar kein Klimaschutz.“ Da würde ich dem DNR-Präsi vehement widersprechen. Schlechter Klimaschutz ist an dem Punkt am dem wir stehen genauso nutzlos wie kein Klimaschutz. Wir müssen in den nächsten zwei Jahren unseren CO2-Ausstoß radikal reduzieren, dafür braucht es radikale Lösungen und keine weichgespülten Kompromisse!



    The House is on fire 🔥 ! RWE und Konsorten enteignen!

    • @BakuninsBart:

      „Schlechter GEMACHTER Klimaschutz ist besser als gar kein Klimaschutz.“



      Hier geht es aber um unzureichenden Klimaschutz.

      Vor allem ist die Annahme falsch, es käme keine Schritte zum Kohleausstieg, wenn sich die Umweltverbände dem Votum nicht angeschlossen hätten.

    • 9G
      90857 (Profil gelöscht)
      @BakuninsBart:

      "RWE und Konsorten enteignen!"

      Als alter 68er und im Gedenken an das Ahlener Programm der CDU stimme ich dem zu.

      Dumm nur, wenn die Physik und daraus abgeleitet die Technik, gar Infrastruktur etc. es aktuell (und absehbar) nur um den Preis vieler, vieler teurer, ineffizienter, dafür aber schnellstartfähigen Gaskraftwerke erlauben, sich von Kohle und Atomstrom zu befreien.

      Einfach mal bei den Fraunhofern schauen:

      www.energy-charts.de/index_de.htm

      welchen Anteil die "Erneuerbaren" im Winterhalbjahr haben; und dann mit einfachen Worten sagen, wo die Differenz zum Strombedarf in dieser Zeit herkommen soll.

      Insofern und bis zu einer nachvollziehbaren, belastbaren Antwort halte ich es primär mit der Option des massiven Sparens von Energie;

      statt eine schlechte und "dreckige" Technik mit einer kaum weniger dreckigen, dafür aber tendenziell eher teureren Technik zu ersetzen.

      Bis die schöne, neue Welt ab 2038 kommt.

      • @90857 (Profil gelöscht):

        Gaskraftwerke sind gewiss kein Allheilmittel.



        Eine hoehere Effizienz als Kohlekraftwerke haben sie allemal. Die Erzeugung von 1/3 des Stroms mit Gaskraftwerken zu den Zeiten ohne Wind und Sonne waere ein grosser Fortschritt, wenn die anderen 2/3 bis etwa 2025 von Wind und vor allem Sonne und zu geringerem Abteil von anderen erneuerbaren kaeme.