Absagen vor Kunstsymposium: Logiken der Vermeidung
Die Neue Nationalgalerie war bei einem geplanten Symposium über Kunst und Antisemitismus in Berlin um Ausgleich bemüht. Jetzt mehren sich die Absagen.
Fast wäre man wohl wirklich ins Reden gekommen, auf einem für Sonntag in der Neuen Nationalgalerie in Berlin geplanten Symposium. Über Kunst und Aktivismus, Antisemitismus und Meinungsfreiheit wollte man sprechen, geladen waren Israelkritiker:innen wie Angehörige der Gegenseite, etwa der Künstler Leon Kahane. Der Streit, der sonst meist in den Medien, in offenen Briefen oder Social-Media-Posts ausgetragen wird, sollte eine große Bühne bekommen, bei der Auswahl der Redner:innen war man um Ausgleich bemüht.
Am Dienstagabend sagte die Künstlerin Candice Breitz ihre Teilnahme jedoch über Instagram ab. Gründe dafür nannte Breitz, die zu den bekannten Israelkritiker:innen in der Kunstszene zählt und in dem Zusammenhang auch mit dieser Zeitung in juristische Auseinandersetzung trat, keine. Zuvor hatte die anonyme Boykott-Initiative „Strike Germany“ Stimmung gegen das Symposium gemacht. Den Titel der Veranstaltung hatte man da gleich zu „Vagheit und Vermeidung in Zeiten des Genozids“ geändert. Ohnehin seien hauptsächlich „den Völkermord leugnende Zionisten“ eingeladen, doch auch die „sympathisierenden“ Stimmen trügen mit ihrer Teilnahme dazu bei, den „Zionismus in Deutschland zu normalisieren“. Die Schlussfolgerung? „Shut it down!“
Kurz nachdem „Strike Germany“ den Post veröffentlicht hatte, folgte die erste Absage: Hito Steyerl, die die Keynote zum Symposium halten sollte und im Post als „bekannte antideutsche Künstlerin“ bezeichnet wurde, zog sich zurück. Angesetzt hatte die Neue Nationalgalerie das Symposium anlässlich der Eröffnung der Nan-Goldin-Retrospektive.
Die jüdische Fotografin Goldin, die zuletzt stark wegen ihres Einsatzes im Kampf gegen die Schmerzmittelkrise in den USA wahrgenommen wurde, gehört zu den scharfen Kritiker:innen Israels. So unterzeichnete sie etwa den schon im Oktober 2023 im Magazin Artforum erschienenen offenen Brief, in dem man sich für die Unterstützung der palästinensischen „Befreiung“ aussprach. Die israelischen Opfer des Hamas-Massakers fanden darin keine Erwähnung. Zu einer Absage von Goldins großer Schau in Berlin kam es in Folge nicht. Goldin fühlte sich jedoch anscheinend bemüßigt, auch auf Instagram zu betonen, dass ihr das Symposium von Anfang an nicht recht gewesen sei.
Auf Vorschlag von Nan Goldin
Überhaupt Sprecher:innen beider Seiten zu akquirieren sei nicht einfach gewesen, sagt Meron Mendel, der das Symposium gemeinsam mit Saba-Nur Cheema organisiert, gegenüber der SZ. So habe man auf Vorschlag Goldins auch die Gaza mit NS-Deportationsghettos vergleichende Autorin Masha Gessen eingeladen, die jedoch wieder absagte, als sie von der Teilnahme des SZ-Redakteurs Ronen Steinke erfuhr, heißt es in der Zeitung.
Bei „Strike Germany“ freut man sich indes über die Absagewelle. Neben Candice Breitz sind mittlerweile auch die Namen Eyal Weizmans sowie Raphael Maliks von der Teilnehmer:innenliste verschwunden. Zum Gespräch mit Andersdenkenden scheint man auf Seiten derer, die ansonsten gern Kundgebungen mit dem klingenden Namen „We still need to talk“ veranstalten, wohl nicht bereit.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Wahlprogramm von CDU und CSU
Der Zeitgeist als Wählerklient
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Anschlag in Magdeburg
Auto rast in eine Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen