40. Todestag von Rudi Dutschke: Eine Frage der Haltung
Man muss Dutschke 40 Jahre nach seinem Tod nicht lesen – wohl aber sich sein Prinzip aneignen: Sich mit dem Gegebenen nicht abzufinden.
A m Heiligabend vor 40 Jahren starb Rudi Dutschke an den Spätfolgen des Attentats. Im April 1968 hatte der verhetzte Hilfsarbeiter Josef Bachmann den bekanntesten Repräsentanten der linken Studierendenbewegung in Berlin niedergeschossen. Ein rechter Mordanschlag. 40 Jahre später frustrierend aktuell.
Als Dutschke starb, war der Autor dieser Zeilen 14 Jahre alt, war dabei, sich als linker Schüler zu politisieren, und überlegte kurz, zur Trauerdemonstration auf dem Kurfürstendamm zu gehen.
Ich bin dann doch nicht gegangen, warum, weiß ich nicht mehr. Wie die meisten meiner Generation wusste ich damals über Dutschke eigentlich nichts – ich kannte ihn vor allem aus dem Wolf-Biermann-Lied „Drei Kugeln auf Rudi Dutschke“, das meine Eltern auf Vinyl hatten. Aber Dutschke oder seine Theorien waren keine Bezugsgrößen.
Dachte ich.
Als junge Linke halfen wir, besetzte Häuser in Kreuzberg zu renovieren, und gingen natürlich auf alle Demos. Wir waren verängstigt ob der Gefahr des Atomtods und deshalb engagiert in der Friedensbewegung und in Gorleben. Wir waren fasziniert vom Sieg der Revolution in Nicaragua und arbeiteten dort in Kaffee- und Baubrigaden.
Von den 68ern kannten wir die Fotos von lauter rauchenden Männern beim Vietnam-Kongress. Ihre sichtbaren Überbleibsel waren die Reste der K-Gruppen, deren versprengte Missionare uns auf Demos und Veranstaltungen zutexteten und mit ihren Papieren überhäuften, deren Deutsch noch unverständlicher war als das der RAF-Texte, und das war gar nicht so leicht hinzukriegen.
Dass Rudi Dutschke gar nicht so war, dass er zwar auch mitunter krudes Zeug redete, aber vor allem aus einer zutiefst humanistischen und empathischen Grundhaltung heraus argumentierte, war mir damals nicht klar. Dass er Revolution als Bildungsauftrag verstand, andere Meinungen akzeptierte und, wie man im Englischen sagen würde, als Person versuchte „einen Unterschied zu machen“, auch nicht. Vor allem versuchte er zu machen, in der Praxis zu lernen – und das war recht nah dran an jenen Bewegungen, in denen wir groß wurden.
Man muss heute nicht Dutschke lesen. Was er etwa zum Verhältnis von Berufspolitikern und Volk sagte, klingt heute nach AfD. Die repräsentative Demokratie zu verteidigen konnte damals nicht links sein. 2020 schon, gegen die Trumps, Höckes und Salvinis.
Zu Rudi Dutschkes Tod schrieb Erich Fried: „Deine Meinung konnte man Punkt für Punkt / mit dir diskutieren / Jetzt aber kann ich nichts mehr mit dir diskutieren / und so sehr es ankam auf die einzelnen Punkte / so wenig kommt es jetzt auf die einzelnen Punkte an.“ Er hatte recht. Was von Dutschke heute gebraucht wird, ist seine Haltung, nicht seine Meinung. Sich mit dem Gegebenen nicht abfinden, Fortschritte suchen, wissend um die Rückschläge. In diesem Sinne sind heute weltweit immer noch zu wenige, aber eigentlich ganz schön viele Rudi Dutschkes unterwegs. Die meisten übrigens weiblich.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Anschlag in Magdeburg
Auto rast in eine Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt
Wahlprogramm von CDU und CSU
Der Zeitgeist als Wählerklient
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen