Klimaproteste und Popkultur: Wer braucht hier wen?
Früher lieferte die Popkultur verlässlich Impulse für Protestbewegungen. Heute schmückt sich der Pop eher mit den Klimaaktivist:innen.
Sich als notorische Stadiongruppe aus Klimaschutzgründen selbst zu sabotieren ist natürlich nobel – und bewahre die Welt vor den aufgeblasenen Befindlichkeitsliedern der Band, ergänzten gleich hämisch die Hater.
Gesungen wird auf „Everyday Life“, dem neuen Album der Band, dann aber hauptsächlich über syrische Waisen und Waffengewalt. Eine klimabewegte Hymnenband scheut sich davor, der jungen Klimabewegung eine Hymne zu schenken. Allein sind Coldplay damit nicht: Den Schlüsselsong für die protestierende „Generation Z“ lieferte noch keine Band.
Dabei treibt das Thema Umweltschutz die Popkultur seit der Ära des Folks und der Hippies um, seit Joni Mitchells „Big Yellow Taxi“ und Bob Dylans „A Hard Rain’s A-Gonna Fall“. Der unermüdliche Neil Young, ein Protagonist dieser Zeit, tourt noch immer mit Klimaschutzappellen im Gepäck um die Welt, „The Monsanto Years“ hieß sein Album von 2015.
Aber weniger kämpferisch veranlagten Kollegen ging es beim Thema Natur eben auch oft um die Einheit mit Mutter Erde, die Romantisierung und Privatisierung des Naturschutzgedankens.
„Politische Songs“: Schwierige Sache
Jüngere Bewegungen wie Fridays for Future oder die (vereinzelt bedenklich gen Querfront ausscherenden) Aktivisten von Extinction Rebellion hingegen wollen von innerer Emigration nichts wissen. Sie fordern die Politik heraus – und damit auch den Pop, denn die Disziplin „Politische Songs“ ist bekanntlich eine der kompliziertesten überhaupt.
Klare Forderungen in Popmusik zu überführen, dieses ultrasimple, ultrakomplizierte Geflecht aus Affirmations- und Abgrenzungsprozessen, kann zu schlimmen Rührstücken führen. Oder wahnsinnig kraftvoll sein, wie die Dauerkonjunktur von Slogans wie „Keine Macht für niemand“ beweist.
Wo aber Pop sonst als Stichwortgeber für Protestbewegungen dienen konnte, läuft die Sache heute umgekehrt: Pop bedient sich bei der Bewegung – denn die Slogans produziert deren Star höchstselbst.
Greta Superstar
Greta Thunbergs „How dare you“, die wütende Anklage in ihrer Rede vor den Vereinten Nationen, ist schon jetzt ein ikonischer Ausspruch. Und wurde dankbar aufgegriffen: Kurz nach dem UN-Klimagipfel kursierte eine Death-Metal-Version der Rede im Netz. Fatboy Slim, DJ und Big-Beat-Pionier aus England, remixte vor einigen Wochen seinen Hit „Right Here, Right Now“ aus dem Jahr 1999 mit einem naheliegenden Sample („Right here, right now is where we draw the line“) aus der UN-Ansprache. Und die isländische Sängerin Björk lässt Thunberg auf ihrer aktuellen Tour “Cornucopia“ mittels Videobotschaft zum Publikum sprechen: ein unmissverständliches Statement in einer Show, die sonst Verfremdung und Verkünstelung verspricht, ein fetter, klarer Punkt in all dem Überfluss an Zeichen.
Sprichwörtlich ins Haus holte sich Thunberg die englische Band The 1975. Ein Foto, auf dem deren Sänger Matty Healy in vertrauter Pose mit Thunberg (im „Antifascist Allstars“-Shirt!) bei einem Treffen in Stockholm posierte, ploppte vor wenigen Monaten im Internet auf.
Kurz darauf veröffentlichte die Band ihren Song „The 1975“ als Vorbote zu ihrem bald erscheinenden Album „Notes on a Conditional Form“ – mit Thunberg als Feature-Gast. Über sachte Ambientsounds hält die 16-Jährige eine Ansprache, in der sie das Versagen der älteren Generationen anprangert und, natürlich, zur Rebellion aufruft. Kein Gesang, keine Brechung, sondern Aneignung frei von Ironie und Verfremdungsabsichten.
„Der Pop rennt der Popularität hinterher, als Gimmick“, schreibt der Autor Steffen Greiner in einem Essay für das Onlinemagazin kaput zur Frage, warum sich Pop und Klimabewegung so wenig zu sagen haben. Wohlmeinender könnte man auch formulieren: Pop stellt sich ganz in den Dienst der guten Sache.
Matty Healy räumt mit seinem Song „The 1975“ bereitwillig die Bühne, reicht lieber Thunberg und ihren Mitstreitern das Mikro, als sich selbst seinen künstlerischen Reim auf die Klimabewegung zu machen. Vielleicht weil er weiß, dass im Pop längst eine Art postheroisches Zeitalter angebrochen ist, dass niemand mehr auf den Heilsbringer mit Gitarre wartet – erst recht nicht in Thunbergs Generation.
Etwas weniger Graubrot?
Vielleicht aus Angst vorm Selbstwiderspruch, denn schließlich verträgt sich die Verzichtsethik, ein zentraler Bestandteil der Rhetorik der aktuellen Klimabewegung, schlecht mit dem Performancecharakter von Pop. Wer larger than life sein will, kann schlecht zur Mäßigung aufrufen – und überlässt das Mahnen lieber denen, die es glaubhaft tun können.
Den Verzicht auf künstlerische Überhöhung mag man angemessen bescheiden oder unbeholfen finden. Oder als Indiz dafür deuten, dass den jungen Klimaaktivisten, die in ihrem unerbittlichen Protest teils sehr pragmatisch und realpolitisch denken, bislang der Ums-Ganze-Gedanke fehlt, die ganz große Utopie, die sich eleganter in Kunst übersetzen ließe als graubrotige Appelle an die Parlamente.
Dankbar sein sollte man zum Beispiel Coldplay trotzdem. Auch wenn unklar bleibt, wohin ihre Bekundung der Absicht, auf die Tour zu verzichten, führen soll, wenn man sie zu Ende denkt (vielleicht ins „widerspruchsfreie Leben“ oder ins Nichts?), ist ihnen eines mit der Aktion ganz sicher geglückt: selbst die größten Zyniker davon zu überzeugen, dass Mäßigung aus Klimaschutzgründen ihr Gutes haben kann.
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