50 Jahre Sozialistisches Büro: Undogmatische Linke
Unter den Formationen der Neuen Linken nach 1968 hob sich das Sozialistische Büro als undogmatischer und intellektueller Ansatz hervor.
Wenn man bei Wikipedia die Abkürzung „SB“ eingibt, bekommt man allerlei Vorschläge zur Ausschreibung des Kürzels. Das reicht von „Selbstbedienung“ und „Skateboard“ bis zum „Schwarzen Block“. Das im Frühjahr 1969 gegründete „Sozialistische Büro“ – das nichts zu tun hat mit den „Politbüros“ stalinistischer und maoistischer Parteien und ihren Bonsai-Repliken an den deutschen Universitäten nach 1968 – allerdings taucht in seiner Kurzform bei Wikipedia nicht auf.
Im SB sammelten sich in den 70er Jahren Sozialisten, die sich weder mit der SPD noch mit der DKP und schon gar nicht mit den nach 1968 entstandenen Campus-Parteien identifizieren mochten. Die unabhängigen oder undogmatischen Linken kamen aus der Ostermarsch- und Friedensbewegung, aus der Gewerkschaftsschulung und aus der Protestbewegung von 1968.
50 Jahre nach der Gründung des SB plant der Arbeitsausschuss eine Tagung zur Erinnerung an die Gründung und an die Geschichte des SB, das – entgegen umlaufenden Gerüchten – immer noch existiert, wenn auch still und in arg geschrumpfter Form.
Die verbliebenen Mitglieder unterstützen mit ihren Beiträgen die nach der Einstellung der Zeitschrift links (1997) noch erscheinenden Zeitschriften express (Gründungsredakteure: Otto Jacobi, Walther Müller-Jentsch, Eberhard Schmidt, David Wittenberg) und Widersprüche sowie die Netzzeitung linksnetz.
Die Tagung am 13. Juli 2019 in Frankfurt soll freilich kein Veteranen-Festspiel werden, sondern eine aktuelle politische Debatte zwischen Linken mehrerer Generationen und Traditionen über die Fragen initiieren, was heute links bedeutet und wie sozialistische Politik heute aussehen könnte oder müsste. Die Tagung ist nicht für eine geschlossene Gesellschaft gedacht, sondern bildet ein Diskussionsangebot an alle, die sich für linke Politik jenseits parteipolitischer Horizonte interessieren. Das ist natürlich kein Ersatz für eine wünschenswerte professionelle historische Aufarbeitung der Geschichte des SB.
Die GründerInnen
Die Gründer des SB (Andreas Buro, Klaus Vack, Gert Schäfer, Christel Beilmann, Oskar Negt, Edgar Weick, Elmar Altvater, Heinz Brakemeier, Herbert Stubenrauch, Arno Klönne u. a.) verstanden sich nicht als Parteigründer, sondern formulierten ein Kommunikationsangebot, wie es Andreas Buro im November 1970 formulierte: „Die Arbeitsgruppe Sozialistisches Büro leistet einen Beitrag zur Kommunikation unter Sozialisten und zur Organisierung sozialistischer Arbeit. Sie versteht sich als ein Element innerhalb der Bewegung für eine neue sozialistische Linke in der Bundesrepublik.“
„50 Jahre Sozialistisches Büro – antiautoritäre, undogmatische Linke?“
Wann: 13. Juli 2019, 13–18.30 Uhr Wo: Osthafenforum, Lindleystr. 15 (gegenüber Haus Nr. 11), 60314 Frankfurt/Main Anfahrt: https://www.osthafenforum.de/anfahrt/
Das SB hob sich damit ab von traditioneller sozialdemokratischer Parteipolitik, vor allem aber vom Revolutionsgerede der maoistischen und kommunistischen Studentenparteien mit ihren „geborgten Realitäten“ (Oskar Negt) und verstand linke Politik als „Vorbereitungs- und Erziehungsarbeit“ (Herbert Marcuse) für linke Politik und als „Dienstleistungsstelle“ (Klaus Vack).
Oskar Negt formulierte 1972 die theoretische Basis für das Engagement und die Politik einer undogmatischen sozialistischen Linken. Linke Politik sollte sich demnach primär nicht auf eine Höchstzahl zu mobilisierender Köpfe konzentrieren, sondern bei den Interessen und der Lebenswirklichkeit der Produzenten ansetzen, die auf Emanzipation und Assoziation setzen.
So verfestigte sich das Konzept von fünf Arbeitsfeldern (Schule, Bildungs- und Sozialarbeit, Betrieb und Gewerkschaft, Hochschule, Gesundheitswesen), die die organisatorische Grundstruktur des SB bildeten und sowohl die Einzelmitgliedschaft (rund 1.500) wie die korporative Mitgliedschaft von Arbeits- und Ortsgruppen zuließen, von denen es in den 70er Jahren in der BRD etwa 40 gab.
Politisches Ansehen
Der politische Einfluss und die Bedeutung des SB lebte vom intellektuellen Niveau und politischen Ansehen von Autoren, die nur zum Teil SB-Mitglieder waren, in seinen drei periodischen Publikationsorganen, Broschüren, Rundbriefen und Büchern. Viele von diesen prominenten Autoren waren Hochschul- oder Fachhochschullehrer und verfügten deshalb über ein beachtliches Potenzial als Multiplikatoren.
Darauf beruht auch die Tatsache, dass die Zahl der Sympathisanten und ideellen Anhänger des SB um mindestens das Zwanzig- bis Dreißigfache größer war als die Zahl der Beiträge zahlenden Mitglieder. Zum „Dunstkreis des SB“ zählten in den 70er Jahren eine nur schätzbare, aber sehr beachtliche Zahl von linken Lehrern, Sozialarbeitern, Intellektuellen, Journalisten, Gewerkschaftern und Professoren, selbst wenn viele von diesen nur Leser der SB-Zeitschriften waren.
Aus der theoretischen Fundierung des SB ergab sich das Paradox, dass formelle Nichtorganisation so etwas wie ein Charakteristikum des SB als Organisation wurde. Selbst langjährige Autoren und sogar angestellte Sekretäre des SB können sich heute nicht mehr daran erinnern, ob sie je formelle Mitglieder waren. Zugespitzt gesagt: Das SB war keine Organisation, sondern ein fast informeller Fanclub von undogmatischen Sozialisten. Joachim Hirsch nannte das SB einmal einen „Kopf ohne Leib“.
Die erfolgreichste Zeit für das SB waren die 70er Jahre, in denen es durch Kampagnen zum Prozess gegen Angela Davis, zum Putsch in Chile, zur Repression im Zuge der staatlichen Berufsverbote gegen Linke und zur Lage der Menschenrechte in der BRD (Russell-Tribunal) oder zum Kriegsrecht in Polen einer breiten, politisch interessierten Öffentlichkeit bekannt wurde.
Gegenüber dem Aufkommen des von politischer Verblendung und Selbstgerechtigkeit geprägten Terrorismus wie gegenüber der politisch bornierten, staatlichen Antwort darauf mit Dutzenden von Gesetzesverschärfungen hatte das SB eine klare Position. Das trug ihm über Jahre eine Klassifizierung als „linksextremistisch“ in der fast informationsfreien Verfassungsschutzprosa ein, aber auch die Diffamierung durch die öffentlich-rechtlich geschützte Hetze Gerhard Löwenthals im ZDF, der gegen die „Untergrundarbeit aus Offenbacher Kellerräumen“ polemisierte, wo das SB seinen Sitz hatte.
Die Krise
Anfang der 80er Jahre geriet das SB von zwei Seiten in die Krise. Aus der Ökologiebewegung ging die grüne Partei hervor, worauf viele SB-Aktivisten und -Sympathisanten, die immer schon mit einer Parteigründung liebäugelten, nur gewartet hatten. Mit dem Gewerkschafter Willi Hoss und Rudi Dutschke gingen zahlreiche SBler diesen Weg. In den Führungsriegen der Grünen waren bald sehr viele Ex-SB-Mitglieder aktiv. Fast gleichzeitig riefen SB-Gründer um Klaus Vack, Andreas Buro, Wolf-Dieter Narr, Herbert Stubenrauch, Joachim Hirsch, Roland Roth u. a. das „Komitee für Grundrechte und Demokratie“ ins Leben und bewirkten damit einen Aderlass beim SB.
Das „Komitee“ blieb zwar dem SB verbunden, aber es trug zur Schwächung der Organisation bei. „Vieles von dem, was als SB-Praxis begonnen hatte, lebte ohne die Organisation eigenständig und in anderen Zusammenhängen weiter. Dennoch gibt es auch eine deutliche Verlustgeschichte. Der Niedergang des SB war auch eine Erscheinungsform des nachlassenden Einflusses der Neuen Linken auf die oppositionellen Arbeitszusammenhänge und Bewegungsmilieus“ (Roland Roth).
1979 legten rund drei Dutzend deutsche Intellektuelle unter dem Titel „Stichworte zur ‚Geistigen Situation der Zeit‘“ eine Bilanz vor zu dreißig Jahren BRD. Jürgen Habermas bescheinigte dem SB, „neue Organisationsformen erprobt“ zu haben und mit „organisatorisch orientierten Fortsetzungen antiautoritärer Politik“ damals „ohne Erfolg“ geblieben zu sein, womit er nicht Unrecht hatte. Aber Erfolg ist nicht der einzige Maßstab bei der Beurteilung von Versuchen, Selbstbestimmung und „Demokratie als Lebensform“ (Oskar Negt) zu begründen.
Der Autor ist seit über 30 Jahren SB-Mitglied, von 1980 bis 1996 Redakteur der Zeitschrift „links“.
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