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Widerstand gegen Bürgergeldreform in SPDSchöne Bescherung

Cem-Odos Gueler

Kommentar von

Cem-Odos Gueler

Der SPD-Vorstand ist mit einem möglichen Mitgliederbegehren zum Bürgergeld konfrontiert. Nun müssen Bas und Klingbeil erklären, warum die Entrechtung Arbeitsloser der richtige Weg ist.

Gegenwind aus dem eigenen Lager in Sachen Bürgergeld erreicht die SPD-Parteivorsitzende Bärbel Bas Foto: Stefan Bones/Ipon/imago

E s schien eine ausgemachte Sache: Die Bundesregierung brachte pünktlich zum Jahresende die Abschaffung des Bürgergelds auf den Weg. Nach einer jahrelangen Kampagne von Arbeitgeberverbänden und Union wollte man das leidige Thema endlich begraben. In der SPD war klar, dass mit dem Eintreten für die Belange von Arbeitslosen im Deutschland der sozialen Kälte keine Wählerstimmen zu holen sind.

Nun erlebt, wer das Gewissen der SPD längst abgeschrieben hatte, kurz vor Weihnachten einen kleinen Lichtblick. Die drei Initiatorinnen eines Mitgliederbegehrens haben genug Unterschriften gesammelt, um von den beiden Parteichefs Ehrlichkeit einzufordern. Bärbel Bas und Lars Klingbeil müssen ihrer Partei jetzt noch mal erklären, warum der mit der Union eingeschlagene Weg zur Entrechtung von Arbeitslosen der genau richtige für die SPD ist.

Wie ernst sie diese Aufgabe nehmen, wird auch über ihre eigene Zukunft entscheiden. Denn wenn sie die Bürgergeldpläne trotz des parallel laufenden Mitgliederbegehrens im Frühjahr einfach durch das Parlament boxen, dürfte ihr schwindender Rückhalt in der Partei endgültig erodieren.

Einmal mehr wird deutlich, dass sich Bärbel Bas in ihrer Doppelrolle als SPD-Chefin und Arbeitsministerin in einem CDU-Kabinett in ein strategisches Dilemma gestürzt hat, das sich nicht auflösen lässt. Von Lars Klingbeil, der parteiinterner Kritik wie von den Jusos notorisch aus dem Weg geht, ist argumentativ ohnehin nicht viel zu erwarten.

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Für einen selbstbewussten Sozialstaat

Sie beide haben es wohl kaum kommen sehen, dass die linke Parteibasis ausgerechnet für das Bürgergeld ins Feld zieht. Doch nehmen sie nun wahr, dass das Mitgliederbegehren auch den zaghaften Widerstand in Teilen der SPD-Fraktion gegen das Bürgergeld befeuern könnte?

Wer jetzt sagt, dass an der Abschaffung des Bürgergelds der Fortbestand der Koalition hängt, sollte mal einen Blick über den Tellerrand werfen. Die Union lieferte sich wochenlang eine Diskussion auf offener Bühne über die Rentenpläne, über die im Kabinett ebenfalls Einigkeit bestand. Merz überstand die Debatte durch seine Möchtegern-Macherrhetorik zwar nur mit einem blauen Auge, doch die Union und ihre Vorfeldorganisationen konnten über Monate für die Entkernung des Sozialstaats lobbyieren.

Was wäre, wenn die SPD-Linken nun eine genauso schlagkräftige Debatte von der anderen Seite fahren könnten für einen selbstbewussten Sozialstaat? Es ist nicht verboten, zu Weihnachten hier einen weiteren Lichtblick zu erwarten.

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Cem-Odos Gueler
Parlamentsbüro
Berichtet seit 2023 als Korrespondent im Parlamentsbüro der taz unter anderem über die FDP, die Union und Verteidigungsthemen. Studium der Sozialwissenschaften und Volkswirtschaftslehre in Köln, Moskau und London.
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19 Kommentare

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  • Warum handelt es sich um eine Entrechtung? Warum ist es ein Recht, auf mehrere Anschreiben vom Amt nicht zu reagieren? Dürfen dann Steuerzahler ebenfalls darauf verzichten, Steuern zu zahlen?



    Eine Gesellscahft funktioniert nur nach Regeln. Und eine Regel besagt, wer staatliche Unterstützung bekommt, muss sich engagieren, um einen Job zu bekommen. Wenn daran begründetet Zweifel bestehen, ist es keine Entrechtung, diese Kandidaten beim Amt einzuladen und bei Nichterscheinen zu sanktionieren.

  • Nun macht mal halblang. In der Koalition gewinnt mal die CDU und dann die SPD. Also das Thema Bürgergeld ist jetzt durch und Haken dran. Jetzt tagt die Rentenkommission. Die Chancen, dass wie von Bärbel Bas, SPD gefordert demnächst auch Politiker und neue Beamte in die Rentenkasse einzahlen müssen sind gar nicht so schlecht. Die SPD Basis sollte sich jetzt für eine starke Rentenreform einsetzen und nicht immer wieder beim Bürgergeld nachkarten.

  • "Nun müssen Bas und Klingbeil erklären, warum die Entrechtung Arbeitsloser der richtige Weg ist."



    Ganz einfach. Die SPD ist die Partei der Arbeiter und nicht der Arbeitslosen! Ja, Arbeiter können Arbeitslos werden, aber das sind die wenigsten. Die Stimmung unter den Arbeitern ist gegen Arbeitslose, daher sollte die SPD auf ihre Wählerschaft hören + die wackelige Koalition nicht gefährden! Ganz einfach.



    Finde ich selber auch nicht gut, weil es auch nur kostet und nichts bringt, aber taktisch ist es das klügste.

  • Im Grunde genommen hat die Partei die das *S* groß im Namen trägt offenbar überhaupt nicht wirklich darüber nachgedacht was die sog. Sanktionsverschärfungen in der Praxis bedeuten.



    Da soll es z.B. möglich werden auch Akademiker in Hilfsarbeiterjobs zu zwingen..und wer das verweigert muss dann 3 Monate lang 150€ unter dem Existenzminimum leben..also im Supermarkt klauen gehen oder doch lieber hungern.??



    Und was vlt noch schlimmer ist: das ganze System auf *Zwang* umzumodeln wird jede vertrauensvolle Zusammenarbeit zw. Jobcentern und deren Klient:innen vereiteln..



    Summasumarum ein absolut kontraproduktiver Ansatz, der zehnmal mehr schadet als nutzt..und das nicht nur den Leistungsempfängern, sondern der ganzen Gesellschaft.







    Das zumindest ein kleiner Teil der SPD das noch realisiert, ist also nicht bloß ein Hoffnungsschimmer, sondern in der Prospektion geradezu eine Überlebensfrage der SPD.



    Parteien die nur noch darauf setzen ihre (Stamm-)Wähler:innen zu halten ohne Ambitionen die Zukunft zu gestalten und die Gesellschaft als Solidargemeinschaft zu erhalten, können nur verlieren.







    Stoppt die Vereisung der Gesellschaft liebe SPD..die Koalition wird nicht daran zerbrechen.!!

  • Ich kann nicht ganz verstehen, was mit Entrechtung gemeint ist. Da ist doch erst mal ganz schön viel Berechtigung zu grundlegender Versorgung. Und arbeitslos ist hier auch ziemlich erweitert definiert. Von meinem Gehalt wird so viel abgezogen, dass ich als arbeitender Mensch Probleme habe, Schulden zurückzuzahlen, die ich in Corona gemacht hab. Warum höre ich nicht einfach auf.

  • Die SPD wird ihr Bürgergeld wieder abschaffen. Von der Parteiführung der SPD ist nichts anderes zu erwarten. Sie werden die SPD weiter dezimieren, aber es wird Ihnen egal sein. Ihre Schäfchen haben sie längst im Trockenen und hilfsbedürftige Menschen sind ihnen zu lang egal. Wer bei der SPD andere Meinungen vertritt, hat dort längst nichts mehr zu sagen und wird stattdessen mit Entzug von Stimme und Posten bestraft. Die SPD hat in den letzten Monaten jedem auch noch so absurden Begehren der Union zugestimmt. Warum sollte es jetzt anders sein?

  • Wenn das Vorenthalten von Geldern eine Entrechtung sein sollte, dann ist der Einbehalt von Lohnsteuern erst Recht eine Entrechtung. Ein Arbeitnehmer kann schon heute nur noch über weniger als die Hälfte des Gegenwertes seiner erbrachten Leistung verfügen. (ca. 42% Sozialabgaben + Steuern). In wenigen Jahren wird er das Recht verloren haben über 2/3 seines Einkommens selbst bestimmen zu können, da dei Sozailabgaben erwartbar auf 50% steigen werden und der Bund spätestens ab 2029 die Steuern erhöhen muß.

    Sollte das Mitgliederbegehren der SPD die Zustimmung der Parteibasis erhalten, wäre das nicht schlimm. Entscheidend ist die Reaktion der wahlberechtigen Bürger.

    • @Donald Duck:

      Mit den 42% übertreiben sie etwas.



      43,2 Prozent Abgaben auf den Bruttolohn bedeutet nicht, dass genau dieser Prozentsatz für Sie abgezogen wird. Als Arbeitnehmer zahlen Sie wie gesagt nur 21,9 Prozent ohne und 21,3 Prozent mit Kindern. Das nur als Beispiel. Und der Spitzensteuersatz greift erst bei einem zu versteuernden Jahreseinkommen von knapp 70.000 Euro. Zu versteuern heißt, dass sie Brutto noch ein paar tausend mehr haben.

  • "Entrechtung von Arbeitslosen "



    Noch ein bisschen dicker auftragen geht nicht?



    Mit Verlaub - wenn ich mehrfach unentschuldigt meiner Arbeit fern bleibe, werde ich bestenfalls eine Abmahnung, schlimmstenfalls eine Kündigung bekommen - kann man auch Sanktionen nennen.



    Warum es bei Arbeitslosen unzumutbar und eine Entrechtung sein soll, (seltene) Termine wahrzunehmen oder abzusagen, kann mir gern mal jemand erklären.



    Gewisse Mitwirkungspflichten sind auch bei Arbeitslosen zumutbar, Bürgergeld ist kein BGE.

  • taz: *In der SPD war klar, dass mit dem Eintreten für die Belange von Arbeitslosen im Deutschland der sozialen Kälte keine Wählerstimmen zu holen sind.*

    Wo hat sich die SPD denn für die Belange von Arbeitslosen eingesetzt? Die SPD macht jetzt mit BlackRock-CDU-Merz nur das weiter, was sie doch schon seit Schröder macht - 'Sozialabbau'.

    - Die SPD hat aus Deutschland das Niedriglohnland Nummer 1 gemacht ["Wir müssen und wir haben unseren Arbeitsmarkt liberalisiert. Wir haben einen der besten Niedriglohnsektoren aufgebaut, den es in Europa gibt." sagte Gerhard Schröder 2005 in Davos].

    - Die SPD hat den Spitzensteuersatz für die Reichen von 53% auf 42% gesenkt.

    - Die SPD hat die Veräußerungsgewinne von Kapitalgesellschaften steuerfrei gestellt.

    - Die SPD hat Hartz IV und Hartz-IV-Sanktionen zu verantworten [Hartz IV = FORDERN UND Gewinne der Wirtschaft FÖRDERN].

    - Der SPD haben wir unzählige Zeitarbeitsfirmen zu "verdanken", die sich an der hohen Arbeitslosigkeit frech bereichern.

    Man kann eigentlich nur noch fragen: "Kann diese unsoziale SPD endlich weg oder braucht die noch jemand?"

    Wer noch sozial denken kann und auch sozial ist, der wählt ohnehin 'Die Linke'.

    • @Ricky-13:

      // Die SPD hat aus Deutschland das Niedriglohnland Nummer 1 gemacht



      .



      Die Grünen waren aber auch dabei.

  • Die SPD sollte sich mal lieber Gedanken darüber machen, wie der Druck auf die Steuerhinterzieher und Steuervermeider erhöht werden kann, statt den Druck auf die Ärmsten der Armen zu erhöhen. Pfui deibel! Die paar Millionen, die eingespart werden sollen stehen in keinem Verhältnis zu den Millionen, die durch eine fehlgeleitete Steuerpolitik im Staatssäckel fehlen.

  • "Nun müssen Bas und Klingbeil erklären, warum die Entrechtung von Arbeitslosen der richtige Weg ist."

    Na ist doch ganz logisch! Weil die Bärbel es ja auch aus eigener Kraft von ganz unten nach hoch geschafft hat, das ist ja der Beweis dafür, dass man es nur will. Mit dem Rauchen oder Heroin aufzuhören ist ja auch ganz einfach, hat angeblich ja schonmal jemand geschafft!

    Und wenn man einfach kein asozialer Arbeitsloser ist/sein will, dann ist das vermutlich grundgesetzwidrige Sanktionsregime schließlich auch kein Problem, oder?

    Und beim Lars... ja... der Lars halt...

    • @Kawabunga:

      Den Vergleich finde ich blöd. Mit dem Rauchen aufhören haben schon ziemlich viele geschafft. Und es haben auch schon mehr Leute den Aufstieg von ganz unten geschafft. Dennoch, die Durchlässigkeit nicht gut - aber von nahezu hermetisch kann wohl kaum die Rede sein.

  • Entrechtung von Arbeitslosen? Wenn der Minimalkonsens für das Verhalten bei Bezug von Mitteln, die von der Sozialgemeinschaft getragen werden eine "Entrechtung" sind, dann sollte diese vielleicht komplett eingestellt werden. Dann wird niemand mehr entrechted.

  • "Wenn eine Person ein konkretes Arbeitsangebot ablehnt, kann in Zukunft auch direkt der komplette Regelsatz wegfallen. " Korrekt. Wer ein konkretes Arbeitsangebot ablehnt, hat offensichtlich andere (schwarze?) Einkommensquellen.

  • "„Eine Gelegenheit zur persönlichen Anhörung soll erfolgen, wenn ein drittes aufeinander folgendes Meldeversäumnis geprüft wird“, heißt es im Gesetzentwurf. " Solch gnädiges Vorgehen würde ich mir vom Finanzamt auch mal wünschen, wenn ich eine Frist versäumt habe. Aber wer arbeitet und seinen Lebensunterhalt selbst erwirtschaftet, muss natürlich härter angefasst werden. Man fasst es nicht.

    • @PeterArt:

      Das Ding mit dem Finanzamt: es stimmt leider. Die Pfänden einen dann einfach weg.

  • Ich möchte doch gern verstehen, wieso die Begehrenden es so gut finden, dass man auf Kosten der Gesellschaft leben kann, selbst wenn man auch selbst für sich sorgen könnte.