Wegen Angriffen in Budapest: Bundesanwaltschaft klagt sechs weitere Antifas an
Sie sollen Nazis in Budapest verprügelt haben, sind abgetaucht und haben sich gestellt: Nun sind sechs Linke angeklagt – auch für versuchten Mord.

Das Oberlandesgericht und die Bundesanwaltschaft bestätigten der taz die Anklagen. Es gehe um die Vorwürfe der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, der gefährlichen Körperverletzung und des versuchten Mordes. Weiter wollten sie sich nicht äußern. Auch mehrere Verteidiger*innen der Beschuldigten bestätigten die Anklage – und kritisierten die Vorwürfe als überzogen.
Die sechs nun angeklagten Linken – Clara W., Luca S., Moritz S., Nele A., Paula P. und Emilie D. – lebten zuletzt in Thüringen und Sachsen und waren nach den Angriffen in Budapest fast zwei Jahre abgetaucht. Zu Jahresbeginn hatten sie sich dann freiwillig der Polizei gestellt. Sie sitzen seitdem in Gefängnissen in Sachsen und Hamburg in Untersuchungshaft. Die Bundesanwaltschaft wählte Düsseldorf als Prozessort offenbar, weil sich in Nordrhein-Westfalen zwei der Beschuldigten stellten, in Köln und Hamm – und weil vor dem ebenfalls diskutierten Oberlandesgericht Dresden demnächst bereits ein anderer Großprozess gegen Linksradikale startet.
Laut Anklage sollen die nun Beschuldigten mit anderen Autonomen rund um den „Tag der Ehre“, zu dem sich alljährlich Neonazis aus ganz Europa treffen, fünf Angriffe auf Rechtsextreme verübt haben. Die Opfer seien zunächst ausgespäht und dann aus einer Gruppe Vermummter heraus auch mit Schlagstöcken attackiert worden. Sie hätten Knochenbrüche und Kopfverletzungen erlitten. Zwei der Angriffe waren laut Anklage so schwer, dass sie als versuchter Mord eingestuft werden. Einzelnen der nun Angeklagten werden nach taz-Informationen auch Vorbereitungshandlungen für die Angriffe vorgeworfen und eine Attacke auf Neonazis auch in Deutschland.
War es versuchter Mord?
Die Verteidiger*innen der Beschuldigten halten den Vorwurf des versuchten Mordes für überzogen. „Selbst die drakonische, politisch agierende ungarische Justiz hat bei diesen Taten gerade keinen Tötungsvorsatz gesehen“, heißt es in einer Erklärung. Zudem habe auch der Bundesgerichtshof zuletzt beim Erlass von Haftbefehlen gegen die Beschuldigten den Vorwurf des versuchten Mordes abgelehnt. „Dass der Generalbundesanwalt dennoch von einem Tötungsvorsatz ausgeht, ist bedenklich und lässt befürchten, dass dem eine politische Motivation zu Grunde liegt“, so die Anwält*innen. Sie forderten das Oberlandesgericht Düsseldorf auf, in diesem Punkt die Anklage nicht zuzulassen.
Auch dass der Prozess in Düsseldorf verhandelt wird, kritisieren die Verteidiger*innen. Die meisten Beschuldigten hätten ihre sozialen Bindungen nach Thüringen, betonen sie. Offenbar aber wolle die Bundesanwaltschaft die dort bestehende Solidarität mit den Inhaftierten vermeiden. Zuletzt hatten auf einer Demonstration in Jena mehrere tausend Linke für die inhaftierten Antifaschist*innen demonstriert.
Zudem, so die Anwält*innen, wolle die Bundesanwaltschaft wohl der Thematisierung aus dem Weg gehen, dass rechte Übergriffe in Thüringen Alltag seien. „In Anbetracht dieser Verhältnisse würde sich die Frage der Legitimität einer derart überzogenen Anklage ganz konkret stellen“, heißt es in der Erklärung.
Einem Linken droht weiter die Auslieferung nach Ungarn
Den nun Angeklagten drohte anfangs auch eine Auslieferung nach Ungarn. Die Bundesanwaltschaft hatte dann aber betont, dass sie es für vorrangig hält, dass die Verfahren in Deutschland geführt werden. Einzig im Fall des 21-jährigen Nürnbergers Zaid A., der sich ebenfalls im Januar stellte, erfolgte diese Ansage nicht – weil dieser syrischer Staatsbürger ist und die Bundesanwaltschaft sich für seinen Fall nicht zuständig sieht. Ihm droht daher weiterhin eine Auslieferung nach Ungarn, eine Gerichtsentscheidung dazu steht noch aus. Weil sich das Verfahren so lange zieht, ist Zaid A. derzeit haftverschont.
Die Anwält*innen der nun Angeklagten forderten, auch die Untersuchungshaft für ihre Mandant*innen aufzuheben. Eine erneute Fluchtgefahr sei abwegig, da sich die Beschuldigten zu Jahresbeginn ja „in Kenntnis der Vorwürfe freiwillig gestellt“ hätten.
Bereits zuletzt hatte die Bundesanwaltschaft Anklage gegen sieben weitere Autonome erhoben, denen Angriffe auf Rechtsextreme in Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Nordrhein-Westfalen vorgeworfen werden. Sie sollen Teil der Gruppe um die Leipzigerin Lina E. gewesen sein, die bereits mit drei Mitbeschuldigten im Mai 2023 vor dem Oberlandesgericht Dresden zu einer gut fünfjährigen Haftstrafe verurteilt wurde und diese momentan absitzt. Unter den Angeklagten ist auch ihr früherer Lebenspartner Johann G. Ihm und zwei weiteren dieser Beschuldigten wird ebenfalls vorgeworfen, bei den Budapest-Angriffen dabei gewesen zu sein. Dieser Prozess soll erneut in Dresden stattfinden.
Ebenfalls der Budapest-Angriffe beschuldigt ist Maja T. Die nonbinäre Thüringer*in wurde von Zielfahndern bereits im Dezember 2023 in Berlin gefasst und ein halbes Jahr später nach Ungarn ausgeliefert – rechtswidrig, wie das Bundesverfassungsgericht später feststellte. Seit Februar läuft gegen Maja T. ein Prozess in Budapest, es drohen bis zu 24 Jahre Haft. Vor einem Monat begann T. einen Hungerstreik, um bessere Haftbedingungen und eine Rücküberstellung nach Deutschland zu erreichen. Am Dienstag wurde T. wegen des Gesundheitszustands in ein Haftkrankenhaus verlegt.
Der Vater von Maja T., Wolfram Jarosch, befindet sich momentan auf einem Protestfußmarsch von Jena, der Heimatstadt der Familie, nach Berlin, wo er Bundesaußenminister Johann Wadephul (CDU) treffen und um Unterstützung für sein Kind bitten will. Das Außenministerium ließ auf taz-Anfrage bisher offen, ob Wadephul zu einem Treffen mit Jarosch bereit ist.
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