Abtritt von Carola Rackete: Ende eines Missverständnisses
Die Aktivistin Carola Rackete zieht sich nach nur einem Jahr aus dem Europaparlament zurück. Das zeigt: Politikmachen ist ein Handwerk, das gelernt sein will.
D er Unternehmer Jost Stollmann, der Jurist Paul Kirchhof, die Journalistin Susanne Gaschke und die Aktivistin Carola Rackete haben etwas gemeinsam. Sie sollten als Quereinsteiger eine Art Sauerstoffzufuhr für stagnierende Parteien sein – und scheiterten. Die Seiteneinsteiger wirken attraktiv, weil sie ein Defizit auszugleichen versprechen. Parteien sind oft nach außen abgedichtet und sozial homogen. Die Quereinsteiger sollen frischen Wind bringen. Das geht allerdings oft schief, weil Politik auch ein Handwerk ist, das man können muss.
Dass Rackete nach einem Jahr ihr Mandat im Europaparlament niederlegt, ist keine große Überraschung. Die kriselnde Linkspartei erhoffte sich 2023 von der Kandidatur der früheren Seawatch-Kapitänin für die Europawahl Anschluss an soziale Bewegungen. Das war ein ziemlich durchsichtiger Tausch – Mandat gegen Image.
Dass Rackete eine Fehlbesetzung war, dämmerte schnell auch manchen ihrer Unterstützern in der Linkspartei. In einem Interview empfahl die Aktivistin der Linkspartei in einer Mischung aus Ahnungslosigkeit und Arroganz, sich mal mit ihrer SED-Geschichte zu beschäftigen und einen neuen Namen zuzulegen.

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Für ihren Rückzug aus dem Europaparlament führte sie nun bemerkenswerte Gründe an. Die Erneuerung der Linkspartei sei gelungen. Jetzt wolle sie sich nicht mehr um „Mietendeckel oder ein paar Prozent mehr“ für die Linkspartei kümmern, sondern um die Rettung von Klima und Menschheit.
Nun, bedeutende Beiträge von Rackete zur Erneuerung der Linkspartei oder zur Mietenpolitik sind nicht recht erinnerlich. Für „ein paar Prozent“ für die Linkspartei ist sie allerdings mitverantwortlich. Mit ihr als Spitzenkandidatin halbierte die Linkspartei bei der Europawahl 2024 ihr Ergebnis und landete bei 2,7 Prozent.
Dieser Rückzug ist das Ende eines Missverständnisses. Der Fall Rackete zeigt deutlich, dass Bewegungs- und Parteilogiken nicht deckungsgleich sind. Zu lernen wäre, dass Parteien, die Prominenz einkaufen wollen, solche Tauschgeschäfte vorsichtiger und skeptischer angehen.
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