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Big Tech will bei EU-Regeln mitredenMehr Mitsprache für die Mächtigen

Kommentar von Svenja Bergt

US-Tech-Konzerne könnten Mitspracherechte bekommen bei der Umsetzung der Regeln, die ihre Marktmacht begrenzen sollen. Das ist verrückt – und extrem gefährlich.

Bla bla bla Musk Foto: Susan Walsh/ap

W as für ein Krimi: Der Mann im Weißen Haus entscheidet im Alleingang über exorbitante Zollerhöhungen. Panik bricht aus, auch bei der deutschen Autoindustrie. Verhandlungen, Aufschübe, mehr Verhandlungen. Und weil Voldemort mal erwähnt hatte, dass er die – in der Realität sehr sinnvollen – europäischen Regeln zur Begrenzung der Marktmacht von Tech-Konzernen für das Böse hält, steht auf einmal folgender Vorschlag im Raum: den Konzernen Mitsprachemöglichkeiten ­geben bei der Umsetzung dieser Regeln. Im Gegenzug würde dann von US-Seite ein Entgegenkommen in der Zollfrage zu erwarten sein.

Ganz abgesehen davon, dass die Konzerne durch ihre Armada an Lob­by­is­t:in­nen in Brüssel nun wahrlich keinen Mangel an Mitsprachemöglichkeiten haben: Ein derartiges Arrangement wäre ein guter Deal für die USA – und ein desaströser für Europa.

Allerdings tritt an dieser Stelle ein überraschender Akteur auf die Bühne: die deutsche Wirtschaft. Aus ihren Reihen, das muss man dazu sagen, kam in den vergangenen Wochen meist so etwas wie ein versonnenes Grinsen, wenn es um die neue Bundesregierung ging. Endlich Habeck weg, endlich ein konsequent unternehmensfreundlicher Wind, endlich wieder kurze Drähte, um die eigenen Anliegen einzubringen.

Aber nun ist es zumindest bei der deutschen und europäischen Digitalbranche aus mit dem Grinsen: Das Handelsblatt zitiert exklusiv aus einem Brandbrief der Unternehmenschefs von hiesigen Firmen, darunter der Modeplattform Zalando, des Software-Entwicklers Personio und des Suchmaschinen-Anbieters Ecosia an Kanzler Friedrich Merz. Die Bundesregierung scheint nämlich Mitsprachemöglichkeiten für Big Tech gegenüber offen zu sein.

Ernstzunehmenden Wettbewerb gibt es nicht

Der Tenor des Schreibens: Bloß nicht! Die EU-Regeln seien womöglich die „letzte Chance“, die Macht von Big Tech zu begrenzen. Und die Start­-up-Verbände aus mehreren europäischen Ländern schicken einen offenen Brief an die EU-Kommission. „Wenn die EU europäische Technologiechampions fördern will, kann sie nicht gleichzeitig die wichtigsten regulatorischen Grundlagen für faire digitale Märkte ­untergraben“, heißt es darin.

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Damit ist ein zentrales Argument genannt. Einen ernstzunehmenden Wettbewerb gibt es im Digitalmarkt in weiten Bereichen nicht. Cloud-Anbieter, Hersteller von Smartphone-Betriebssystemen, Werbenetzwerke – da dominieren jeweils nur wenige große Namen. Und diese marktbeherrschenden Unternehmen im Digitalsektor kommen nun mal aus den USA.

Wer das noch weiß? Der neue deutsche Digitalminister. Der sagte kürzlich auf einer Veranstaltung: „Über 75 Prozent der europäischen Cloud-Daten landen derzeit in den Händen von US-amerikanischen Hyperscalern.“ Hyperscaler, das sind die großen Cloud-Anbieter wie Amazon und Microsoft. Der Minister stellte seinem Satz eine rhetorische Frage nach: „Warum?“

Sie kuschen jetzt schon vor Trump

Nun, die Antwort kennt auch Digitalminister Karsten Wildberger – und damit sollte das Wissen auch beim Rest der Bundesregierung vorhanden sein: Weil wenige große Konzerne den Markt beherrschen. Und weil sich das ohne konsequente Regulierung auch nur in eine Richtung ändern wird: hin zu einer noch stärkeren Dominanz der jetzt schon großen Anbieter.

Denn dass sich so ein Appeasement-Mitspracherecht in einer hoffentlich zu erwartenden Nach-Trump-Ära wieder zurückdrehen lässt, das glaubt doch niemand ernsthaft. Da wären Nachverhandlungen bei den Zollhöhen schon vielversprechender, nämlich spätestens dann, wenn in der US-Regierung angekommen ist, dass die Zollinflation für die eigene Wirtschaft auch merkbare Nachteile bringt.

Dazu kommt: US-Konzerne – ob Tech oder nicht – kuschen ja jetzt schon vor Trump. Zum Beispiel bei Diversity-Programmen oder den öffentlich verlautbarten politischen Positionen. Wie verlässlich sind eigentlich angesichts dessen die Vertragsverhältnisse von deutschen und europäischen Firmen und Behörden mit den großen US-Anbietern?

Nein: Wer auch nur darüber nachdenkt, US-Konzernen mehr Mitsprachemöglichkeiten zu geben bei der Umsetzung von europäischen Regeln, braucht am nächsten Tag überhaupt nicht von digitaler Souveränität in Europa zu sprechen. Den Wunsch nach einem deutschen oder europäischen Google/Amazon/ChatGPT sollte man aber dann konsequenterweise gleich mit begraben.

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Redakteurin für Wirtschaft und Umwelt
schreibt über vernetzte Welten, digitale Wirtschaft und lange Wörter (Datenschutz-Grundverordnung, Plattformökonomie, Nutzungsbedingungen). Manchmal und wenn es die Saison zulässt, auch über alte Apfelsorten. Bevor sie zur taz kam, hat sie unter anderem für den MDR als Multimedia-Redakteurin gearbeitet. Autorin der Kolumne Digitalozän.
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2 Kommentare

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  • Ich dachte wir wollten uns von den USA emanzipieren, jetzt passiert gerade das Gegenteil.



    Oder verstehe ich das was falsch? Es müsste doch wohl eher so laufen das wir mit Nachdruck an eigenen Lösungen arbeiten.



    Idiocracy lässt grüßen.

  • Das klingt ja absurd.



    Wollen die EU-Vertreter die Position Europas absichtlich schwächen?



    Anders kann man so eine Verhandlungsstrategie kaum erklären.



    Man weiss doch, dass es gerecht wäre, die Tech-Konzerne mehr und konsequenter zu besteueren, und die Einhaltung von Gesetzen durch diese strenger durchzusetzen.



    Aber gut, schon die Wirtschaftpolitik der EU gegenüber China war extrem kurzsichtig. Offenbar hat man nichts gelernt.