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Todesschüsse auf Lorenz A. in OldenburgDas Rätsel um das Messer

Dass Lorenz A. von der Polizei von hinten erschossen wurde, ist sicher. Der genaue Ablauf ist jedoch unklar – auch, welche Rolle ein Messer spielte.

Wurde von der Polizei von hinten erschossen: Lorenz A Foto: Hauke-Christian Dittrich/dpa

Oldenburg taz | Der provisorische Gedenkort für Lorenz A. in der Oldenburger Innenstadt wächst immer weiter. Neben Blumen und Kerzen erinnern Fotos, Briefe und persönliche Gegenstände an den in der Nacht auf Ostersonntag von einem Polizisten erschossenen Schwarzen. Er wurde 21 Jahre alt. Der genaue Ablauf der Ereignisse ist noch unklar. Einzig das Obduktionsergebnis ist gesichert: mindestens drei Schüsse von hinten. In Kopf, Oberkörper und Hüfte. Ein vierter soll ihn am Oberschenkel gestreift haben.

„Für uns ist es schwer nachzuvollziehen, drei Schüsse von hinten zu rechtfertigen. Gleichzeitig müssen wir natürlich die Ermittlungen abwarten und gucken, was genau abgelaufen ist“, sagt Suraj Mailitafi, Sprecher der Initiative „Gerechtigkeit für Lorenz“. Die Initiative verweist auf ähnliche Fälle tödlicher Polizeigewalt gegen Schwarze: „Wir fordern lückenlose Aufklärung.“

Laut Darstellung der Polizei wurde Lorenz A. in der Nacht auf Ostersonntag der Eintritt in eine Diskothek verwehrt. Mehrere Au­gen­zeu­g*in­nen berichten, wegen seiner Jogginghose sei ein Konflikt vor dem Pablo’s in der Mottenstraße entbrannt. Laut Polizei habe er schließlich einen Reizstoff in Richtung der Security-Mitarbeiter gesprüht, was mehrere Menschen leicht verletzt haben soll.

Anschließend sei er geflohen und von einer Gruppe verfolgt worden. Der Getötete soll seinen Verfolgern laut Polizei mit einem Messer gedroht haben, woraufhin sie die Verfolgung abgebrochen hätten. Donnerstagnachmittag veröffentlichte die Staatsanwaltschaft eine Pressemitteilung, wonach bei dem Getöteten das Messer sichergestellt wurde.

Fünfmal geschossen

Danach sei A. laut Polizei in einer benachbarten Straße auf die erste Polizeistreife getroffen und weiter davongerannt. Wenig später sei er in der Achternstraße auf eine zweite Streife getroffen. „Dort ging er bedrohlich auf die Polizisten zu und sprühte dabei Reizstoff in ihre Richtung“, so stellte es die Polizei zunächst dar.

Nun erklärt die Staatsanwaltschaft, er sei an mehreren Beamten vorbeigelaufen. Daraufhin habe ein 27-jähriger Beamter fünfmal geschossen. Der Getötete sei mehrfach getroffen worden und im Krankenhaus den Verletzungen erlegen. Die Bodycams der Beamten seien während des Vorfalls nicht eingeschaltet gewesen.

Unter anderem die Bild-Zeitung schrieb von einem „Messer-Angreifer“, auch der NDR verbreitete am Dienstag kurzzeitig die Falschmeldung, dass Lorenz die Beamten mit einem Messer angegriffen haben soll. Auf Nachfrage bestätigt die Staatsanwaltschaft der taz den ursprünglichen Polizeibericht, wonach er lediglich Reizgas versprüht haben soll. Die Richtigstellung seiner eigenen Falschmeldung verkaufte der NDR am Mittwoch als neue Informationen.

Daraufhin verbreiteten Medien wie Radio Bremen, die Staatsanwaltschaft habe bestätigt, dass zu keinem Zeitpunkt ein Messer im Spiel war und auch, dass sie von einem „möglichen ‚Augenblicksversagen‘“ spreche. Beides dementiert die Staatsanwaltschaft auf Nachfrage. In Chat-Gruppen kursieren Name und Bild eines Polizeibeamten. Die Staatsanwaltschaft betont, dass es sich dabei nicht um den Schützen handelt. Dieser wurde vorläufig vom Dienst freigestellt.

Die Ermittlungen führt nun die benachbarte Polizei aus Delmenhorst. Das sei gängige Praxis, erklärt der Jurist Thomas Feltes, der die Mutter von Lorenz vertritt. Eine größere Distanz wäre jedoch wünschenswert. In Delmenhorst hat der bis heute unaufgeklärte Tod von Qosay Khalaf in Polizeigewahrsam 2021 Kritik ausgelöst. ­Feltes betont: „Letztendlich kommt es im Moment darauf an, dass alle objektiven und subjektiven Beweismittel gesichert werden.“ Besonders entscheidend sei nun, wie der Polizeibeamte vernommen wird: „Wenn er jetzt als Zeuge vernommen wird und später zum Beschuldigten wird, kann die Aussage unter Umständen vor Gericht nicht mehr verwendet werden.“

Positiv hebt Feltes den transparenten Umgang der Staatsanwaltschaft mit den Obduktionsergebnissen hervor: „Das ist bei Weitem nicht selbstverständlich, wie wir bei anderen Fällen in der Vergangenheit leider gesehen haben. Das lässt mich hoffen, dass die Staatsanwaltschaft sich intensiv mit dem Fall beschäftigt.“ Die Gewerkschaft der Polizei in Niedersachsen warnte unterdessen vor einer Vorverurteilung der Polizei.

Für Freitag hat die Initiative „Gerechtigkeit für Lorenz“ eine Demo um 18 Uhr auf dem Pferdemarkt organisiert. „Wir wollen solidarisch mit Lorenz, seinen Angehörigen und anderen Opfern von Polizeigewalt sein. Wir wollen damit zeigen, dass Lorenz kein Einzelfall ist und die Strukturen aufdecken“, sagt Sprecher Mailitafi. Die Initiative geht inzwischen von deutlich mehr Teilnehmenden aus, als sie ursprünglich angemeldet hatte: „Das war eine Reaktion auf die Solidarität, die wir spüren.“ Der Fall erregt bundesweit Aufmerksamkeit. Besonders aus Rücksicht auf die Familie betont Mailitafi: „Wir wollen eine friedliche Demonstration.“ Lorenz’ Mutter bitte eindringlich um eine gewaltfreie Veranstaltung, die vom Gedenken an ihn getragen wird.

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