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Philosoph über Wege aus der Klimakrise„Wir können kein weiteres Wachstum dulden“

Kohei Saito sieht die Welt am Abgrund des Klimakollapses. Nur ein auf Degrowth ausgerichteter Kriegskommunismus könne wieder in bessere Zeiten führen.

Vordenker der Degrowth-Bewegung: Kohei Saito Foto: Basso Cannarsa/opale.photo/laif
Interview von Lennart Laberenz

Am Hamburger Kolleg der Deutschen Forschungsgesellschaft „Zukünfte der Nachhaltigkeit“ tagen Mitte März Wis­sen­schaft­le­r*in­nen zu staatlicher Planung und Postwachstum. Während der japanische Philosoph Kohei Saito seinen Vortrag hält, senkt sich eine gewisse Düsternis über den Austausch. Saito fragt, wie sich unter einem Klimakollaps Ökonomie und Emanzipationen denken ließen. Er schließt damit an die Gedanken aus seinem recht erfolgreichen Band „Systemsturz. Der Sieg der Natur über den Kapitalismus“ (DTV, 2023) an.

taz: Herr Saito, vor fünf Jahren sahen Sie den Degrowth-Marxismus am Horizont: einen Wandel hin zu einer Gesellschaft, die im Einklang mit den knappen natürlichen Ressourcen auf der Erde wirtschaftet – und in der dennoch alle genug haben. Eben haben Sie in einem Vortrag darüber sinniert, dass die Zukunft bestenfalls auf Kriegswirtschaft zulaufen wird. Was hat sich verändert?

Saito: Mein Buch „Systemsturz“ erschien 2020 in Japan. Damals gab es eine globale Klimagerechtigkeitsbewegung. Ich war begeistert, dass wir Menschen vielleicht lernen und gemeinsam eine neue Welt aufbauen könnten. Mit der Pandemie verschärften sich dann die Konflikte.

Die Welt ist viel gespaltener, reiche Länder monopolisierten Impfstoffe, bauen weiter natürliche Ressourcen ab. Wir haben heute eine tiefere Kluft zwischen dem globalen Norden und dem globalen Süden und müssen konstatieren, dass wir im Grunde unsere letzte Chance vertan haben. Wir steuern auf eine sich immer weiter verstärkende, weltumspannende Krise zu.

Im Interview: Kohei Saito

Jahrgang 1987, arbeitet als Associate Professor für Philosophie an der Universität von Tokio zu den Themen Ökologie, Wachstumskritik und politische Ökonomie. Sein Buch Systemsturz verkaufte sich in Japan mehr als 500.000 Mal. Er promovierte 2016 an der Humboldt-Universität zu Berlin.

taz: Und nun?

Saito: Ich halte den Degrowth nach wie vor für notwendig. Es ist eine biophysikalische Tatsache, dass unsere Ressourcen endlich sind, unsere Welt begrenzt ist. Der kapitalistische Weg von kontinuierlichem Wachstum und Akkumulation ist nicht damit vereinbar. Wir können kein weiteres Wachstum dulden.

Aus den Rückmeldungen zu „Systemsturz“ wurde mir jedoch klar, dass ich die Rolle des Staates zu wenig beachtet habe. Daran arbeite ich nun. Es ist notwendig, das Konzept des Kriegskommunismus wiederzubeleben, das auch der schwedische Marxist Andreas Malm weiterdenkt.

Es geht dabei nicht um sowjetische Dimensionen, sondern darum, zu betonen, wie wichtig der Staat als planender Mechanismus für eine Transformation ist. Der Begriff Kriegswirtschaft klingt martialisch, im Kern geht es aber um eine Organisationsform.

taz: Der Staat soll auf eine Kriegswirtschaft umstellen?

Saito: Der Klimakollaps zwingt uns, das aufzugeben, was als „business as usual“ gilt. Wenn wir einfach so weitermachen, bedeutet das weniger Freiheit und mehr Chaos. Wachstum ist kein tragfähiges Szenario.

taz: Wie sähe die Rolle des Staates denn etwa aus?

Saito: Sie ist komplementär zu den Graswurzelbewegungen, die ich in „Systemsturz“ beschrieben habe. Eine Top-down-Transformation: Planung, Organisation, Zusammenarbeit mit Wirtschaftsunternehmen, Kontingentierung und Konzentration auf die essenziellen Güter. Es wird weiter privatwirtschaftliche Unternehmen geben, der Staat muss lebenswichtige Güter und Dienstleistungen bereitstellen.

Wir sprechen von universeller Grundversorgung und Infrastruktur. Um bestimmte Güter und Dienstleistungen zu ergänzen, kann der Staat eine indikative Planung durchführen: Unternehmen fördern oder sie anweisen, mehr Elektrofahrzeuge und Solarmodule zu produzieren.

taz: Das klingt nach weniger Freiheit.

Saito: Es geht eher um eine Neudefinition von Freiheit. Wir müssen vom Klimakollaps ausgehen. Dann werden wir die Art von Freiheit, die wir heute im Kapitalismus als selbstverständlich erachten, verlieren. Eines der zentralen Konzepte von Degrowth zeigt auf eine andere Freiheit: Es geht nicht darum, mehr zu konsumieren und mehr zu produzieren. Das ist kein Freiheitsmodell und keines der Emanzipation.

Mir scheint, eine radikale Neukonzeption von Freiheit ist die erste Voraussetzung für eine Transformation. Und die brauchen wir, weg von der Maximierung der Kapitalakkumulation und hin zu einem System, das sich für etwas entscheidet, das sonst im Kapitalismus marginalisiert wird. Es könnte Freizeit sein, Fürsorge, Natur, oder Gemeinschaft.

Wir müssen uns auf eine Form der Selbstversorgung zubewegen, die mehr Handlungsspielraum innerhalb der planetaren Grenzen schafft. Und das bedeutet nicht, unsere Entscheidungsfähigkeit zu negieren. Ich sehe den Moment der Freiheit in der Wahl zwischen dem Notwendigen und dem Unnötigen.

taz: Im Sinne Friedrich Engels’ „Freiheit als Einsicht in die Notwendigkeit“?

Saito: Nur subjektiven Neigungen zu folgen, bedeutet heute, einfach mehr Konsum zu legitimieren. Wir können neue Dinge kaufen. Es macht Spaß. Das ist natürlich eine Form von Freiheit. Nur hat die keine Zukunft. Oder vielleicht eine, die in Barbarei endet. Wenn wir also planen, einschränken und regulieren müssen, klingt das alles sehr nach autoritärer Verneinung von Freiheit.

Aber in der Geschichte gibt es genügend Beispiele für Epochen, aus denen wir lernen, dass Regulieren und Begrenzen als Freiheit galten. Und nicht das Befolgen seines animalischen Instinkts. Wenn man diese eher philosophische Definition von Freiheit in der Tradition der Aufklärung erkennt, muss man eigentlich nicht so viel Angst vor Begrenzung und Regulierung haben.

Unter dem zunehmenden Klimanotstand wird es auf eine ganz andere Form des Wirtschaftens hinauslaufen müssen

taz: In der Gegenwart fürchten viele Menschen um ihren Lebensstandard, haben Angst, ihre Arbeit, ihre Wohnungen zu verlieren. Das bringt viele von ihnen dazu, rechte, autoritäre Parteien zu wählen.

Saito: Für die Mehrheit der Menschen bedeutet der Fortbestand des heutigen Kapitalismus den Verlust von Wohnraum und Arbeitsplätzen – es wird weniger von all den guten Dingen geben, die die Menschen genießen. Nun verkennen viele Menschen Problem und Ursache. Sie glauben, dass wir aufgrund des geringeren Wachstums mehr Unsicherheit und Armut haben.

Doch tatsächlich erleben wir aufgrund des heutigen Kapitalismus mehr Unsicherheit, mehr Verluste und mehr Instabilität. Weil er Wohnraum der Finanzspekulation zugänglich macht, Arbeitsplätze bedroht, Engpässe schafft.

taz: Wie soll sich das ändern?

Saito: Die nächste Pandemie könnte dauerhafter sein. Wir werden mehr Naturkatastrophen erleben und weniger Wasser haben. Preise für Lebensmittel und Energie werden steigen, ebenso die Inflation. Das heißt, wir werden weniger konsumieren können. Daraus ergeben sich Chancen. Die Menschen werden erkennen, dass wir den Konsumismus aufgeben müssen. Das könnte unser Leben verändern und sich positiv auf unsere Gesundheit auswirken. Zum Beispiel, weil wir momentan einfach zu viel Fleisch und Fast Food essen.

Allerdings werden ohne Regulation insbesondere Superreiche einfach weitermachen. Das würde Gefühle von Ungerechtigkeit und einem Missverhältnis bei der Lastenverteilung der Verheerungen des Klimawandels auslösen und mehr Frustration schüren. Ultrarechte Parteien würden profitieren. Eine heikle Perspektive.

taz: Das Szenario einer Kriegswirtschaft lässt nicht so richtig befreit aufatmen …

Saito: Die Terminologie ist problematisch, das ist mir bewusst. Ich forsche gerade zu den systematischen Grundlagen. Mir geht es im Wesentlichen darum, zu erkennen, dass Kapitalismus Knappheit schafft, und Entschleunigung mehr Sicherheit schafft. Und nur mit Kollektiven und Graswurzelgruppen wird Transformation nicht funktionieren. Es wäre wichtig, dass der Staat Wohnraum, Nahrung oder Mobilität als essenzielles, entkommerzialisiertes Gemeingut reguliert.

Das kann er nur, wenn er mit politischem Druck dazu gedrängt wird. Wir müssen erkennen, dass die Interessen des Kapitals nicht unbedingt mit den Interessen der Mehrheit der Menschen übereinstimmen. Was ich als ersten Schritt klarmachen möchte, ist etwas ganz Einfaches: Der Kapitalismus ist ein grundlegendes Problem, nicht Degrowth.

taz: Warum setzte sich Degrowth bislang nicht durch?

Saito: In einer Gesellschaft, die ständiges Wachstum systemisch erfordert, ist es beinahe unmöglich, Degrowth-Ideen erfolgreich zu verbreiten. Ich schätze, zehn Prozent der Menschen sehen, dass ständiges Wachstum nicht mehr funktionieren kann. Viel mehr aber würden sagen: Wachstum ist nicht das Problem, sondern Verteilung. Sie glauben also, wenn es Wachstum und bessere Verteilung gäbe, ginge es uns gut.

taz: Verteilungsfragen blicken auf konkrete soziale Probleme, die man scheinbar direkt angehen kann …

Saito: Wenn man die Ökologie berücksichtigt, wird die Sache erheblich komplizierter. Ich habe früher den Green New Deal unterstützt, weil ich dachte, es sei möglich, dass eine Art Wohlfahrtsstaat bessere grüne Politik umsetzen und damit mehr Arbeitsplätze, mehr Sicherheit und eine Dekarbonisierung insgesamt ermöglichen könnte.

Ökologische Fragen sind viel komplizierter. Wir wissen, dass ein grüner Kapitalismus die Entkopplung der Emissionen vom Wachstum des Bruttoinlandsprodukts nicht schnell genug schafft. Und jeder muss sehen, dass der exzessive Konsum im globalen Norden das Problem ist. Die Schwierigkeit von grünem Kapitalismus liegt offensichtlich darin, dass es einfach nicht attraktiv ist, den Leuten zu sagen: „Essen Sie nicht zu viel Fleisch, fliegen Sie nicht zu viel.“

taz: Wie soll nun ein neues Verhalten, eine Hinwendung zu Natur, Freizeit und Gemeinschaft entstehen?

Saito: Es geht nur im Zusammenspiel: Zunächst müssen wir Gemeinschaften aufbauen, eine Zivilgesellschaft, uns auf lokaler Ebene vernetzen. Dort kann man spüren und erleben, dass Waren und Geld nicht alles sind. Dort kann man Wege finden, um anders zu leben, indem man ein Gefühl von Stabilität und Solidarität mit Menschen aufbaut, die man mag, die dieselben Werte teilen. Und neue Werte entwickeln.

Ohne diese Bottom-up-Bewegung ist eine Top-down-Bewegung schlicht unmöglich. Doch die braucht es auch. Es wird unter dem zunehmenden Klimanotstand rasch auf eine ganz andere Form des Wirtschaftens hinauslaufen müssen. Da kommt der Staat ins Spiel.

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31 Kommentare

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  • Paula , Moderatorin

    Vielen Dank für Eure Beiträge, wir haben die Kommentarfunktion vorübergehend geschlossen.

  • Zu "Degrowth": Was nützt es, weniger zu produzieren, aber das Falsche auf falsche Weise? Warum nicht mehr produzieren vom Richtigen auf richtige Weise? Wir sollten auf die Qualität der Produktion schauen, nicht auf die Quantität.

    Zu "Kriegskommunismus": Heißt wohl "Konzentration" auf das Notwendig(st)e" aus der Not durch den Staat, also von oben. Das beißt sich mit einer ruhigen, alle Menschen und die Wissenschaft einbeziehenden Planung von unten, aber durchaus gesamtgesellschaftlich. "Kriegskommunismus" klingt nach Administration und "schnell schnell".

    Zum "Staat" und dessen Rolle: Hier muss man fragen: Wem gehört eigentlich der Staat? Ist das ein Instrument in den Händen der Bevölkerung, um vernünftige Dinge zu produzieren oder ist das ein Instrument in den Händen von Kapitalherren, Militärs und anderen Konkurrenzfetischisten, die hier und da mal ein offenes Ohr für die Bedürfnisse von Mensch, Tier und Natur simulieren (wenn sie mal Zeit haben)? Dann besteht sogar die Gefahr, dass von denen ein Notstand dazu benutzt wird, um Gehorsam ohne Kritik von der Bevölkerung zu verlangen:

    --> Carl Schmitt: de.wikipedia.org/wiki/Ausnahmezustand

    All das sollte bedacht werden.

  • Meines Erachtens nach werden die Begriffe Kapitalismus und Kommunismus häufig unklar oder gar nicht definiert. Das macht Texte und Diskussionen darüber häufig uneindeutig. Für mich ist Kapitalismus ganz einfach eine Wirtschaftsform, bei der man dem Markt möglichst freie Hand lässt – wohingegen in kommunistischen Wirtschaftsformen der Markt vom Staat oder einer übergeordneten Organisation gesteuert wird.

    Der Kapitalismus ist besser darin Wohlstand zu erzeugen, der Kommunismus/Sozialismus brilliert darin denselben gerecht zu verteilen. Kapitalismus reüssiert, wenn es um Innovationen und Produktivität geht, während der Kommunismus eher darin punktet, diesen Innovationen eine gezielte Richtung zu geben.

    Unter diesen Gesichtspunkten betrachtet liegt doch die sinnvolle Lösung auf der Hand. Wir müssen als Gesellschaft (also sozusagen "kommunistisch") die Richtung vorgeben (nämlich Klimaschutz!!) und dann den Kapitalismus machen lassen. Die CO₂-Bepreisung ist ein exzellentes Beispiel dafür – sie müsste nur deutlich höher sein, global gelten und durch ein Klimageld ergänzt werden ("kommunistisch" organisiert natürlich😉).

  • Die Grenzen des Wachstums sind seit 1960 (Club of Rome) bekannt. Seitdem haben wir konsumiert, was nur irgend geht. Milliardäre wollen lieber im Weltraum spazierenfliegen, eine Kriegswirtschaft würde mit Sicherheit wieder nur die Normalos treffen.

  • Unter uns Philosophen, Herr Saito, einfach den Begriffsumfang von "Freiheit" zu ändern und zu bestimmen, ab jetzt gilt dies (ggf. das was wir heute als Unfreiheit verstehen) als Freiheit, läßt mich an meiner Profession zweifeln. Und das selbst unter den Voraussetzungen des Schönredens, man werde neue Freiheit erleben, bei radikaler Beschneidung dessen, was aktuell Freiheit ist. Selbst als Anhänger des Degrowth (was ich nicht bin) sollte man auf Entwürfe setzen, die weniger dem Stalinismus und allen gescheiterten Dirignismen ähneln. Allen konkreten obigen Vorschlägen (etwa, der Staat würde Unternehmen anweisen Solarmodule zu produzieren) wohnt ein zutiefst autoritärer Zug. Ich bin kein Staatsskeptiker, aber wie geht diese Story weiter? Der Staat zwingt Bürger diese Solarmodule zu kaufen anzubringen usw.? Der Staat verbietet den Besitz on mehr als drei Unterhosen und ahndet Verstöße? Der Staat zwingt zum Wohnen auf dem Land, weil Städte unökologisch sind und organisiert Deportationen? Was macht der Staat als Lenkungsinstanz mit all denen, die sich sträuben? Ich kenne (auch aus eigener Erfahrung) die Überfrachtung des Staates mit verordnender Moral. Das Ende ist stets gleich: Gulag.

  • Solange unser Bewußtsein im Ich-ich-ich-Modus verharrt sind alle Bemühungen um eine "Rettung" des Planeten und der Schöpfung vergeblich, sollten wir dann vielleicht doch noch in den Wir-Modus kommen und Verzicht üben und Verteilung organisieren, so ist noch nicht gewiss ob das in ein menschliches oder unmenschliches Zusammenleben führen wird. Das Konzept "Kriegskommunismus" kann auch zum "Kriegsfaschismus" mutieren. Werden wir wirklich teilen wenn es eng wird? Oder werden wir die Alten, Schwachen, Kranken und Behinderten "opfern"? Verstehen wir überhaupt was unser eigentliches Problem ist? Erkennen wir überhaupt was unser Egokonstrukt ist, wie es funktioniert und wie es uns beherrscht? Es sieht nicht danach aus.

  • Alles, was erfunden werden kann, ist erfunden worden!", meinte 1899 Charles H. Duell, Hauptbevollmächtigter des U.S. Patentamtes.

    Daran muss ich immer denken, wenn ich von irgendwelchen Denker*innen höre, dass nur der Stillstand uns retten kann.



    Ich blicke optimistisch in die Zukunft, und sehe auch keinen Grund für den ständigen Pessimismus.

  • Obwohl die Grundidee richtig ist, wird sie sich in der real existierenden Menschheit nicht durchsetzen.



    In der Geschichte gibt es zwar Beispiele wo Gesellschaften zu groß geworden sind, zu ausbeuterisch und dann zusammengebrochen sind, aber es gibt keine Beispiele wo freiwillige Beschränkung erfolgreich war. Indigene Völker am Amazonas oder in der Arktis setzen zwar nicht auf Wachstum, aber auch nicht auf Beschränkung. Und nicht unbedingt auf friedliche Koexistenz.



    Bei dem Konzept werden ja auch Superreiche als Problem ausgemacht, wobei man wohl das „super“ streichen kann. Keine trennt sich freiwillig vom Besitz, kein Staat. Es wird also so oder so in einer Katastrophe enden. Aber vielleicht gelingt eine. Anpassung an die Klimaänderungen, wenn auch mit Millionen Toten.

  • Also, wenn wir so weitermachen, bedeutet das nach seiner Aussage weniger Freiheit. Im Kriegskommunismus wird die Freiheit lediglich anders definiert.



    ...mehr Orwellscher Sprech geht nicht.

  • Ohne Steuerung kommen wir nicht voran, dafür sind die heutigen Gesellschaften zu sehr ausdifferenziert. Das kann aber nur ein demokratisch legitimierter Staat von seinen Bürger*innen einfordern.



    Wobei weniger, das kommt in dem Beitrag zu kurz, sich auch auf die Verfügbarkeit von Energie beziehen wird, denn die Systeme, die regenerative Energien zur Verfügung stellen, basieren auf Naturzerstörung (Extraktion seltener Metalle etc.), womit auch ein "alternatives" Mobilitätskonzept, das auf der individuellen Verfübarkeit von E-Autos ausgerichtet ist, obsolat ist.



    weniger Energie, weniger Mobilität, auch das gehört zur Wahrheit eines Degrowth-Konzepts.

  • Tja, sehe ich auch so. Das Wort Kriegswirtschaft hat auch Ulrike Herrmann leider schon benutzt, sie aber wenigstens in einem "positiven" Sinn. Nämlich: seht her, Churchill hat im Krieg mit seinem System dies und das bewirken können. Aber der Begriff ist (zum Glück noch) zu negativ geframt, als dass man ihn hier benutzen sollte, wenn man das Konzept salonfähig machen will.

    In der Analyse finde ich aber natürlich richtig, was er sagt. Und es ist erfrischend, so etwas mal aus Japan zu hören, wo man in unseren Medien sonst eher unkritischen Kapitalismusglauben von Japan hört.

  • Danke. Gut, doch einige Annahmen sind einfach falsch.

    "Der Kapitalismus ist ein grundlegendes Problem"

    Genauer wäre es zu sagen: "Das real existiernde Fiskal- und Geldsystem ist ein Problem"

    Der Kapitalismus an sich ist kein Problem. Ganz im Gegenteil. Wir werden sehr viel Kapital brauchen, um auf eine ökozentrierte, heilungorientierte, gemeinwohlbasierende Gesellschaft umzustellen.

    Wie soll es gehen?

    Ganz einfach. Mit einem positivem Geldsystem:

    - Monetative (gemeinwohlorientierte, demokratisch legitimierte Geldmacht als vierte Macht im Staate (zusätzlich zu Judikative, Legislative und Exekutive))



    - Vollgeldsystem (mit Regionalgeld, Bargeld, Geldschöpfung nur durch Nationalbanken)



    - Bedingungsfreiem Grundeinkommen (oder/und Grunderbe, Garantiesicherung)



    - einer stark eingeschränkten Möglichkeit mit Finanzprodukten Geld zu verdienen (kein Hochfrequenzhandel (Finanztransaktionssteuer), keine Leerverkäufe, keine



    Lebensmittelspekulation, Verbot von Schattenbanken, Schuldenerlass)



    - gemeinwohlorientierten Handlungsmaximen (Bruttosozialglück, zukunftsfähig (enkeltauglich) entscheiden, Kooperation statt Konkurrenz, ethischer Verhaltenskodex)

    Kapitalismus positiv denken! :-)

  • Interessant, dass er es schafft bei einem solchen Thema das Wort Kreislaufwirtschaft zu vermeiden. Oder habe ich es überlesen?

  • Das Thema wurde im Klassiker " Die Grenzen des Wachstums" bereits vor Jahrzehnten beschrieben, Die SPD hat vor Jahrzehnten über den ökologischen Umbau der Industriegesellschaft gesprochen. Wir müssen klar machen, dass Umweltschäden mehr Ökodiktatur sind, als es die Grünen je werden können.

  • "Ich schätze, zehn Prozent der Menschen sehen, dass ständiges Wachstum nicht mehr funktionieren kann. Viel mehr aber würden sagen: Wachstum ist nicht das Problem, sondern Verteilung. Sie glauben also, wenn es Wachstum und bessere Verteilung gäbe, ginge es uns gut."

    Dem letzten Satz kann ich nur zustimmen. Gerade wenn man die Stimmen hier in den Kommentaren liest, geht es meist um Verteilung. Nicht um anders organisiertes Wachstum zu mehr Nachhaltigkeit.

    Woran ich beim besten Willen nicht glabue, ist staatlich organisierte Wirtschaft. Wir können gerne bestimmte Produkte verbieten, die einfach den Erdball belasten, zB Rindfleisch, das um den ganzen Globus geschippert wird (Fällt eh flach wg. der Zölle ;-) ) oder Rohstoffe verbieten > Kunststoffe nur dort, wo nachhaltig nicht anderweitig lösbar.



    Knappheit kann ebenso ein Problemlöser sein. Die meisten guten Lösungen sind aus Knappheit und Not entstanden!

    Gestern in der taz:



    taz.de/Solarenergi...nentiell/!6080466/



    Also, Wachstum müssen wir zulassen, aber halt in den richtigen Branchen, Produkten und Energien.

    "Kriegskommunismus" streichen, sehr unkluge Formulierung in diesen Zeiten von einem klugen Denker!

    • @Ansu:

      Der Trick ist: mit besserer (gerechter) Verteilung könnten alle auch ohne endloses Wachstum gut leben. Dass sie mit dem jetzigen System nicht gut leben können trotz Wachstum, merken die meisten ja nicht. Das Trickle-Down-System ist eine Illusion, geschaffen um die Leute bei Laune zu halten. Wie die "jeder ist seines Glückes Schmied"-Mär.

  • Eigentlich kann ich hundertprozentig zustimmen; eine entschleunigte Gesellschaft, die auf lokalen Austausch und mehr Gemeinschaft setzt, böte natürlich viel mehr Lebensqualität als unser entfremdeter Komsumismus.

    Das Problem wird sein, dass die wahrhaft Mächtigen, und das heißt die globalen Besitzenden und Oligarchen, alles tun werden, um solche Szenarien zu verhindern: Manipulation, Kriege anzetteln usw.

    Degrowth muss also, wie immer, auch die Machtfrage stellen.

    Trotzdem bietet das Konzept viele Möglichkeiten:

    Kapital ist auf Konsumenten angewiesen. Wenn wir für die Vergemeinschaftung von Wohnungen und Versorgungsnetzen auf lokaler Ebene streiten und gleichzeitig aufklären, kann dem Kapital ein Teil der Konsumenten, die es braucht, damit seine Investitionen Früchte tragen, entzogen werden.

    Skeptisch bin ich jedoch bisher beim "ökologischen Kriegskommunismus". Dazu bräuchte es Regierungen, die ihn durchsetzen. Da die wahrhaft Mächtigen gar nicht am Wohlergehen der Massen interessiert sind, ist dieser Weg zumindest heute zweifelhaft.

    Der Weg "von unten" über lokale Netzwerke und Überzeugungsarbeit scheint aussichtsreicher.

    • @Stavros:

      Können Sie bitte mal näher erläutern wie dieses mehr an Lebensqualität für mich genau aussieht? Lokale Produkte und Austausch bedeutet ja eine eklatante Preissteigerung für eigentlich alle Produkte des täglichen Bedarfs wie wir es gerade in den USA mit den neuen Zöllen erleben dürfen. Wir wären also massiv ärmer in so einem Szenario. Außerhalb des Elfenbeinturms wird so eine Veränderung normalerweise eher nicht als Verbesserung gesehen.

    • @Stavros:

      "Lokaler Austausch" heißt den aktuellen Lebensstandard massiv senken, auch und vor allem was Nahrungsmittelversorgung oder Gesundheit angeht. Sind sie da wirklich zu bereit?

  • Ohne "Verzicht", ohne darüber nachzudenken was man, auch frau, zum Leben überhaupt wirklich braucht, wird es NIE gelingen, das Klima, die Umwelt, uns zu retten. Wer eAutos als Fortschritt predigt, hat nichts verstanden. Es braucht nicht mehr Autos, sondern ganz einfach weniger Autos. Es darf auch nicht belohnt werden, sich diesen Schrott auch noch zu kaufen.

    • @Pico :

      "Verzicht" hat ein Marketingproblem, ist aber im engeren Sinne gar nicht so groß - wir haben nur gelernt, unsere Bedürfnisse mit Industrieprodukten und Geld zuzuschütten. Das Bedürfnis in ihrem Beispiel ist Mobilität, die kapitalistische Lösung ist motorisierter Individualverkehr, aber es gibt ja schon Ansätze - klassischer ÖPNV + Sharing-Lösungen etc. Was dabei halt komplett wegfällt ist die Angeberei mit der Protzkarre - folglich braucht man zusätzlich etwas um das Bedürfnis "Gesellschaftliche Anerkennung" zu bedienen - zum Beispiel über ein Ehrenamt -> "Nachdenken, was mensch zum leben wirklich braucht" ist richtig, das als Verzicht zu framen aber eine psychologische Sackgasse.

  • Auch wenn es traurig ist....aber ich habe bereits in einer solchen Gesellschaftsform gelebt, nur ohne Nachhaltigkeitsdogma....nannte sich Deutsche Demokratische Republik! Und glaubt mir, es funktioniert mit diesem Menschen leider nicht! Also: Umerziehung, was staatlich legitimierter Terror gegen die eigene Bevölkerung bedeutet, ja ich hab auch keine Idee, aber bis der Marxismus mit Nachhaltigkeitsfaktor Einzug halten kann, muss sich Mensch wohl noch ordentlich evolutionieren um diese an sich sehr gute Idee zu leben....leider.

  • Also was er meint scheint mir nicht "Kriegskommunismus", sondern die Roddenberry'sche post-scarcity Gesellschaft - nur eben ohne Replikator, aber mit konsequenter Abschaffung aller Konsum-Anheiz-tricks wie Mode, Firlefanzverpackung, Collectibles und Werbung, und die Verschiebung von Status weg von Besitz hin zu Wissen, Engagement, Erfahrung, Kreativität, Verantwortung. Finde ich nachvollziehbar, ist das krasse Gegenteil dessen was passiert.

    Die reale Kriegswirtschaft zwingt uns dazu, Ressourcen die wir als Planet sicher nicht übrig haben in Stahl, Explosivstoffe und Mikroelektronik zu stecken, weil gekränkte Eitelkeiten alter Männer die Welt dominieren - bevor wir das nicht überwinden brauchen wir an wirklich revolutionäre Utopien gar nicht denken.

    • @Garak:

      Vielen Dank für deinen Kommentar.

      der Begriff Kriegswirtschaft ist sehr provozierend, aber ich finde Ihn für einen philosophischen Diskurs passend, für einen politischen nicht so sehr.

      Kriegswirtschaft bedeutet für mich, dass die ökonomischen Interessen Einzelner, den Bedürfnissen aller untergeordnet sind. Das ist motiviert durch eine äußere Bedrohung (hier die Klimakatastrophe), die ansonsten zu einem gesellschaftlichen Kollaps führen würde.

      Es ist nicht die Kriegswirtschaft, die uns zwingt Ressourcen zu verbrauchen, sondern



      der Kapitalismus. Der Kriegskurs von Deutschland, Russland und den U.S.A. ist eine Fortsetzung des Kampfes um Ressourcen zur Fortsetzung des eigenen Wirtschaftswachstums.

    • @Garak:

      Ihrem zweiten Absatz stime ich vollkommen zu!

  • Welche Rolle spielt das Bevölkerungswachstum im globalen Süden?



    Es ist auch unpopulär zu sagen, bekommt nur so viele Kinder ,wie das Land ernähren kann.



    Warum wird das Bevölkerungswachstum bei dieser Fragestellung wie erwähnt

    • @Peter Schütt:

      Der Bevölkerungskollaps kommt später als der Wirtschaftskollaps, sagen viele Modelle.

    • @Peter Schütt:

      Das ist die richtige Frage.

    • @Peter Schütt:

      www.br.de/nachrich...limawandel,TPWXLMU



      Sehr umfassende Darstellung...

      "Während die Bevölkerung weltweit um etwa ein Prozent wächst, beträgt das Wachstum in Afrika 2,5 Prozent. In Asien steigt die Bevölkerungszahl dagegen mit 0,9 Prozent unterdurchschnittlich, in Nordamerika mit 0,1 Prozent kaum noch, während sie in Europa bei -0,3 Prozent liegt und damit sogar rückläufig ist. "

      Wir sind schon auf dem "richtigen Weg".

    • @Peter Schütt:

      Das Problem ist nicht das Wachstum im Süden, sondern dass der Norden mit viel weniger Bevölkerung viel viel mehr Ressourcen verbraucht.



      Es geht nicht (primär) darum, gleiche Lebensbedingungen für alle herzustellen, sondern das Überleben aller zu sichern. Der ökologische Kollaps wird, egal ob mit oder ohne Bevölkerungswachstum im Süden, vom Norden verursacht.

    • @Peter Schütt:

      Einfach. das BevölkerungsWACHSTUM ist längst im freien Fall. Die Bevölkerung wächst noch, weil sich die Lebenserwartung dramatisch steigert. Praktisch alle Projektionen sehen einen Peak vorher, dann geht es bergab. Um das sicherzustellen braucht es nur eines: Bildung und Selbstbestimmung für Frauen.