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Die Regierungskrise der AmpelSchnelle Neuwahlen sind besser für alle

Sabine am Orde
Kommentar von Sabine am Orde

Der Plan, den Wahltermin hinauszuzögern, ist parteitaktisch motiviert. Er würde den Eindruck schaffen, Grüne und SPD klebten an ihren Sesseln.

Wie lange kann er noch auf der Regierungsbank platz nehmen? Noch-Kanzler Olaf Scholz im Bundestag Foto: Annegret Hilse/reuters

N atürlich kann man sagen, dass es ziemlich egal ist, ob dieses Land nun im Januar oder im März einen neuen Bundestag wählt. Dass sieben oder acht Wochen früher oder später für die politische Praxis im Bund und ihre Auswirkungen auf die Welt keinen fulminanten Unterschied machten. Aber wer so argumentiert, verkennt die symbolische Bedeutung der Frage, ob Olaf Scholz nach dem Crash der Ampel sofort die Vertrauensfrage stellt und damit den Weg für Neuwahlen freimacht – oder damit bis Mitte Januar wartet.

Das Argument, der spätere Termin ermögliche noch ein paar Verbesserungen für die Bür­ge­r*in­nen oder die Dinge im Sinne der Stabilität besser zu ordnen, trägt nicht. Die Bundesregierung hat seit dem Ausscheiden der Ampel im Bundestag keine Mehrheit mehr. Und FDP und Union werden ihr wohl kaum dabei helfen, etwa das Rentenpaket noch durch den Bundestag zu bringen. Womit wir beim Eigentlichen sind: Das Gezerre um den Termin hat einen parteitaktischen Hintergrund. Denn stimmt die Union beispielsweise dem Rentenpaket nicht zu, kann die SPD ihr das im Wahlkampf vorwerfen.

Bekommt Scholz’ Regierung im Bundestag noch etwas durch, könnte sich das Bild eines Kanzlers abschwächen, der mit der Ampel gescheitert ist. Und vielleicht erhofft man sich bei der SPD auch noch einen Schubs von der Hamburger Bürgerschaftswahl Anfang März, bei der die Sozialdemokraten auf einen Sieg hoffen können. Das alles ist aus SPD-Perspektive durchaus nachvollziehbar, nur überzeugend für die Bürger*in­nen ist es nicht. Nach einer Blitzumfrage vom Donnerstag sind zwei Drittel der Befragten dafür, möglichst schnell zu wählen.

Unverständlich bleibt auch, warum die Grünen dem Kanzler bei dieser vorläufigen Entscheidung – er will nun doch, Stand Freitagnachmittag, über den Termin „unaufgeregt diskutieren“ – zur Seite stehen. Sie wollen sich als die Staatstragenden darstellen, die Stabilität garantieren, klar. Außerdem können sie in ihrer desolaten Situation wohl noch etwas Zeit bis zum Wahltag gebrauchen. Nur: Der spätere Wahltermin könnte auch gegen sie gewendet werden.

Richtig nach hinten losgehen könnte der späte Wahltermin für SPD und Grüne

Die Union wird Rot-Grün treiben und versuchen, den Druck zu erhöhen. In der Debatte nach der Regierungserklärung des Kanzlers am Mittwoch wird etwa nicht nur Unionsfraktionschef Friedrich Merz sprechen, sondern auch CSU-Chef Markus Söder, der dazu eigens aus München anreisen wird.

Allerdings hat der Kurs der Union – also: wenn Scholz bei seinem Datum bleibt, stimmen wir im Bundestag gar nichts mehr zu – auch Fallstricke für sie selbst. Lassen CDU und CSU etwa den Ausgleich der kalten Progression oder Asylrechtsverschärfungen der GEAS-Reform durchfallen, kann man auch das als Parteitaktik kritisieren. Die Union stünde plötzlich als Fundamentalopposition da.

Richtig nach hinten losgehen aber könnte das Ganze für SPD und Grüne. Hängt Scholz, Habeck und Co. das Bild einmal an, nicht von der Macht lassen können und an ihren Sesseln zu kleben, werden sie es so schnell nicht wieder los. Schnelle Neuwahlen wären wirklich das Beste.

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Sabine am Orde
Innenpolitik
Jahrgang 1966, Politikwissenschaftlerin und Journalistin. Seit 1998 bei der taz - in der Berlin-Redaktion, im Inland, in der Chefredaktion, jetzt als innenpolitische Korrespondentin. Inhaltliche Schwerpunkte: Union und Kanzleramt, Rechtspopulismus und die AfD, Islamismus, Terrorismus und Innere Sicherheit, Migration und Flüchtlingspolitik.
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5 Kommentare

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  • Ich erwarte, das es nach der Neuwahl keine eindeutigen Mehrheiten geben wird, da viele Parteien voraussichtlich um die 15-20 Prozent bekommen werden

    Wie stehen also mit großer Wahrscheinlich vor einer Neuauflage einer Dreierkoalition, die durch Kompromisse von Anfang an geschwächt sein wird.

    Es stellt sich die Frage, ob die politischen Parteien überhaupt noch ein geeignetes Mittel der Meinungsbildung sind? Ich habe da meine Zweifel.

    Ich sehe die Demokratie in einer tiefen Krise, auch weil sie sich durch den Wohlstand, die Individualisierung und soziale Medien zu Tode gesiegt hat.

    Die Frage ist, ob nicht die Bürger direkt über den künftigen Kurs der Politik abstimmen sollten, wie beim Wahl-o-mat in 30 Fragen mit mehreren Antworten ?

    Wie wird die Rente gesichert, wie in die Infrastruktur investiert, wie werden Arbeitsplätze gesichert, wie bereit sind wir für Klimaschutz zu verzichten, wie soll Deutschland aussenpolitisch in Kriegen und Krisen reagieren?

    Aus dem Ergebnis wird dann ein Programm das von fähigen Spezialisten und Fachleuten umgesetzt wird.

  • Bütikhofer auf X

    "In der Bündnisgrünen Partei staut sich gerade, so weit ich beobachte, erheblicher Unmut darüber auf, dass der



    @Bundeskanzler



    bei der Vertrauensfrage auf Zeit zu spielen scheint, obwohl Merz sogar anbietet, im Gegenzug noch einige wichtige Gesetze mitzutragen. Kann die SPD mal die taktischen Spielchen lassen und einfach dem folgen, was zunehmend das ganze Land von ihr sehen will? Es interessiert jetzt nicht, welche Vorteile Scholz herbeitaktieren will. Das reicht!“

    Es scheint als haben die Grünen begriffen, dass Scholz Idee spät zu wählen, ihnen auf die Füße fallen wird.

  • Die Grünen haben früher begriffen als Scholz, dass ein später Wahltermin ihnen auf die Füße fallen dürfte. Und der Wahlkampf ist auch gegenüber der SPD eröffnet:

  • Wer handelt denn hier nicht parteitaktisch? CDU mit Merz? CSU mit Söder? Die sind doch mindestens schon seit der letzten Wahl in der Fundamentalopposition, weil die Grünen als ihr erklärter Hauptfeind in der Regierung sind. FDP mit Lindner? Handelte ja selbst als Regierungsmitglied, als säße die FDP in der Opposotion. SPD mit Scholz? Vermied weitestgehend klare Worte, um ja nicht angreifbar zu sein. Grüne mit Habeck? Fast das gleiche wie SPD, und knickten auch oft genug zu schnell ein. AfD und BSW? Werfen allen anderen permanentes Fehlversagen vor, haben aber selber keine tragbaren Konzepte. Die Linke mit ihrer neuen Spitze? Kann ich noch nicht wirklich einschätzen.



    Und nu? Bleibt wieder nur das kleinere Übel. Und wenn ich mir's recht überlege, macht das keinen Unterschied, ob im Januar oder März gewählt wird. Aber wenn zwei Drittel für schnelle Wahlen sind, dann sollten wir das so nachen.

  • Es kommt mir so vor, als hinkte die Autorin der Zeit gerade auch hinterher...