Mutmaßlicher IS-Anschlag in Solingen: Das Kalkül dürfte aufgehen

Der Terror des IS zielt darauf, Gräben aufzumachen und westliche Gesellschaften zu zersetzen. Die brutale Tat von Solingen dürfte genau das erreichen.

Nach dem Tod: Menschen drücken in Solingen ihre Anteilnahme und Trauer aus Foto: Henning Kaiser/dpa

Es ist perfide: Ein Messerangriff, verübt auf ein Festival für Vielfalt. Wo sich Menschen trafen, um unbeschwert zu feiern – auch Weltoffenheit zu feiern. Genau hier schlug der Täter in Solingen zu und nahm drei Menschen das Leben, verletzte weitere schwer. Und der nun festgenommene Tatverdächtige ist selbst jemand, der von dieser Weltoffenheit profitierte, ein geflüchteter Syrer. Die Terrortruppe „Islamischer Staat“ reklamiert seine Tat für sich.

Noch laufen die Ermittlungen, noch werden der Tatverdacht und das Bekennerschreiben geprüft. Aber wenn sich beides erhärtet, würde Deutschland den nächsten islamistischen Anschlag erleben, nach Taten zuletzt in Duisburg, in einem ICE in Bayern, in Dresden und womöglich in Mannheim. Und wir dürften eine Debatte erleben, die kurz vor den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen nur bei einer Partei einzahlen dürfte: der AfD.

Vor einer gestiegenen islamistischen Terrorgefahr warnten Sicherheitsbehörden schon zuletzt, angeheizt durch den Nahostkrieg. Dass wohl der IS die israelische Offensive im Gazastreifen als Grund für die Tat anführt, passt zu den Warnungen – und ist dennoch nur vorgeschoben. Der IS interessierte sich nie sonderlich für Gaza, lehnt die Kooperation der Hamas mit dem schiitischen Iran ab. Das Ziel des islamistischen Terrors ist ein anderes: Er will die westlichen Gesellschaften zersetzen, verachtet Demokratie und Vielfalt.

War der Täter von Solingen wirklich ein Islamist, dann dürfte er sein Ziel erreicht haben. Die gesellschaftlichen Gräben werden sich hierzulande weiter vertiefen. Denn die Tat wird diejenigen bestärken, die noch härter abschieben oder Geflüchtete erst gar nicht ins Land lassen wollen – und ihre Gegenseite als Gewaltverharmloser schmähen. Was beides abwegig ist.

Schlüsse aus der Tat ziehen

Denn das Recht auf Asyl gilt weiter, genauso wie das Verbot, in Länder wie Syrien abzuschieben, in denen Folter und Tod drohen. Und niemand wird die Tat von Solingen oder den Terror des IS verharmlosen. Der Angriff ist durch nichts zu rechtfertigen, drei Menschenleben wurden sinnlos ausgelöscht, Angehörige und Verletzte für immer gezeichnet.

Und dennoch begann die AfD sofort, den Angriff von Solingen für ihren Wahlkampf zu instrumentalisieren – und den Islamisten in die Karten zu spielen. Dabei sollte man durchaus Schlüsse aus der Tat ziehen. Aber andere. Ja, man kann ein Verbot großer Messer auf öffentlichen Plätzen diskutieren. Aber klar ist: Es bleibt Symbolpolitik und die Frage, wer das wie kontrolliert. Zur Wahrheit gehört, dass sich Taten wie in Solingen kaum verhindern lassen – eine absolute Sicherheit gibt es nirgends.

Aber es gibt keine Gründe, warum der Staat nicht hart gegen einen fanatisierten Islamismus vorgehen sollte. Social-Media-Kanäle, auf denen der IS seine Propaganda verbreitet, müssen verschwinden. Die hiesige Sympathisantenszene sollte intensiv in den Blick genommen werden, allen voran ihre Anheizer. Und jungen Radikalisierten muss mit beharrlichen Präventionsprojekten, aber auch deutlichen Stoppzeichen vor Gericht, klargemacht werden, dass ihre Form der Menschenverachtung in dieser Gesellschaft keinen Platz hat.

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Seit 2010 bei der taz, erst im Berlin Ressort, ab 2014 Redakteur für Themen der "Inneren Sicherheit" im taz-Inlandsressort. Von 2022 bis 2024 stellvertretender Ressortleiter Inland. Studium der Publizistik und Soziologie. Mitautor der Bücher "Staatsgewalt" (2023), "Fehlender Mindestabstand" (2021), "Extreme Sicherheit" (2019) und „Bürgerland Brandenburg" (2009).

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