Jörn Kabisch
Der Wirt
: Vom Duzen am Berg und an der Rezeption

Foto: privat

Es ist derzeit viel von Zeitenwenden die Rede. Wo tatsächlich eine stattfindet, das ist bei Sie und Du. Gerade bekomme ich ein Schreiben von meinem Energieversorger und werde auf einmal geduzt. Mir fällt das aber nur durch den höflichen Hinweis auf, man habe noch nicht alle Servicetexte zu hundert Prozent umstellen können, daher werde ich möglicherweise an einigen Stellen noch mit Sie angeredet. Tatsächlich finde ich drei Stellen mit Sie in der langen Mail. Und frage mich, wird mich bald auch der Fiskus freundlich mit Vornamen ansprechen und an die Abgabe der Steuererklärung für 2022 erinnern?

Auch in der Beziehung von Gast und Gastgeber wird das Du wenigstens in unserem Gasthaus häufig. Ursprünglich dachte ich, das habe geografische Gründe. Denn ist es nicht so? Je weiter man im deutschsprachigen Raum nach Süden kommt, umso mehr wird der Dialekt gepflegt und da regiert das Du – bis man von den Grias-Dis in Tirol ausschließlich geduzt wird.

Inzwischen habe ich einen sehr klugen Text gelesen, der häufiges Duzen mit der Höhenlage verbindet. Danach ist das Tiroler Du sozusagen ein Berg-Du. Wenn Menschen in gefährlichen Lagen wie in den Alpen zusammenleben, symbolisierten sie Solidarität und Hilfsbereitschaft untereinander mit dem einfachen Personalpronomen. Interessante These. Für sie spricht auch, dass oft auch dort das Du verbreiterter ist, wo man unter viel Leid und Schmerz über Jahrhunderte lernen musste, mit dem Meer zu leben, wie etwa in den Niederlanden oder Skandinavien. Was zu der großen Frage führt, ob wir uns alle bald wegen des fortschreitenden Klimawandels mehr duzen werden?

Was das vermehrte Du in unserem Gasthaus angeht, da kommt es auch auf den Ton an. Neulich duzte mich ein älterer Herr aus Vorarlberg in einer Art, als hätte er mir einst das Fläschchen gegeben. Da siezt man dann erst mal zurück. Aber wenn eine Gruppe von taz-Leser:innen bei uns zu Gast ist wie im Juni, dann bildet sich in kürzester Zeit eine Atmosphäre wie in einem Freundeskreis, in der ein „Sie“ einfach fehl am Platz ist. Denn wenn einem als Gastgeber die Herzlichkeit auf einmal noch mehr Freude macht und die andere Seite spiegelt, dass ihr der Aufenthalt doch einigermaßen gut tut, dann ploppt auf einmal das Du auf, ohne ein förmliches Angebot. Ein Gast aus den Niederlanden erzählte mir neulich, so mache man das bei ihm zu Hause immer, nachdem er sich als Frans vorgestellt hatte.

Jörn Kabisch hat einen Gasthof in Franken gepachtet. Über seine Erfahrungen schreibt er alle vier Wochen an dieser Stelle.

Nur ein Problem hat das ganze Sie und Du. Wenn man mit den eigenen Servicetexten durcheinanderkommt, und der Gast dann am Check-in sagt: „Herr Kabisch, wir waren doch schon beim Du.“