+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++: Berlin folgt Washington

Die Bundesregierung erlaubt der Ukraine den Einsatz westlicher Waffen für Angriffe auf russisches Staatsgebiet. Nato-Chef Stoltenberg sieht keine Eskalationsgefahr.

scharfe Munition aufgereiht

Panzermunition in einem Depot der Firma Rheinmetall Foto: Fabian Bimmer/reuters

Berlin erlaubt Einsatz deutscher Waffen gegen Russland

Die Bundesregierung erlaubt der Ukraine den Einsatz deutscher Waffen über die Grenze hinweg in das an die Region Charkiw angrenzende russische Gebiet. Die Ukraine sei in den vergangenen Wochen „insbesondere im Raum Charkiw von Stellungen aus dem unmittelbar angrenzenden russischen Grenzgebiet“ angegriffen worden, teilte Regierungssprecher Steffen Hebestreit am Freitag mit. „Gemeinsam sind wir der Überzeugung, dass die Ukraine das völkerrechtlich verbriefte Recht hat, sich gegen diese Angriffe zu wehren.“

Auf dem Katholikentag in Erfurt warnte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) vor einer Ausweitung des Ukraine-Krieges. „Wir müssen den großen Krieg vermeiden“, sagte Scholz mit Blick auf eine mögliche militärische Auseinandersetzung zwischen Russland und der Nato. Zugleich mahnte er zu einer weiterhin engen Abstimmung der Verbündeten bei der Unterstützung der Ukraine zur Verteidigung gegen Russland. Auf die aktuelle Debatte, inwieweit aus Deutschland gelieferte Waffen künftig von der Ukraine auch auf russischem Gebiet eingesetzt werden dürfen, ging Scholz nicht ein.

Die US-Regierung hatte zuvor der Ukraine die Erlaubnis erteilt, amerikanische Waffen in begrenztem Umfang gegen Ziele auf russischem Gebiet einzusetzen. Dies gelte ausschließlich für Gegenschläge zur Verteidigung der ostukrainischen Großstadt Charkiw, teilte ein US-Regierungsvertreter in Washington mit. Das ukrainische Militär solle in die Lage versetzt werden, gegen russische Streitkräfte vorzugehen, „die sie angreifen oder sich vorbereiten, sie anzugreifen“.

Ob die Ukraine sämtliche vom Westen gelieferten Waffen auch für Angriffe auf militärische Ziele in Russland nutzen können sollte, wird unter Nato-Staaten kontrovers diskutiert. Die Ukraine fordert dies seit längerem, um russische Stellungen in dem seit mehr als zwei Jahren andauernden Krieg effektiver bekämpfen zu können. Bisher setzt das Land dafür vor allem eigene Raketen und Drohnen ein. Die westlichen Waffen zielen bislang in erster Linie auf russische Stellungen in den von Moskau besetzten Gebieten der Ukraine.

Länder wie die USA und Deutschland haben die Abgabe von bestimmten Waffensystemen nach Angaben aus Bündniskreisen zum Teil an strenge Auflagen für deren Nutzung gekoppelt. Hintergrund ist die Befürchtung, dass der Konflikt mit Russland weiter eskalieren und die Nato zur Kriegspartei werden könnte. (dpa/afp/epd)

Stoltenberg fordert von Nato-Staaten Milliardenversprechen

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg hat die Alliierten dazu aufgefordert, der Ukraine Militärhilfen im Wert von jährlich mindestens 40 Milliarden Euro zu garantieren. Es gehe dabei auch darum, dem russischen Präsidenten Wladimir Putin zu zeigen, dass er seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine nicht gewinnen werde, erklärte Stoltenberg am Freitag nach einem Treffen mit den Außenministern der 32 Nato-Staaten in Prag. Der Betrag von 40 Milliarden Euro würde in etwa der bisherigen jährlichen Unterstützung der Alliierten seit dem Beginn der russischen Invasion entsprechen.

Zur Frage, wie eine faire Lastenteilung gewährleistet werden könnte, sagte Stoltenberg, eine Option sei es, den Beitrag der einzelnen Mitgliedsstaaten auf Grundlage von deren Bruttoinlandsprodukt zu berechnen. Demnach müssten die USA, Deutschland, Großbritannien, Frankreich und Italien den mit Abstand größten Teil der jährlich 40 Milliarden Euro zahlen.

Stoltenbergs Wunsch ist es, dass sich die 32 Nato-Staaten bis zum Gipfeltreffen im Juli in Washington auf eine gemeinsame Position einigen. Ob dies gelingen kann, ist allerdings ungewiss. Länder wie Frankreich und Italien geben bislang nur einen vergleichsweise geringen Anteil ihr Bruttoinlandsprodukts für die militärische Unterstützung der Ukraine aus. Zudem gilt es als ungewiss, ob US-Präsident Joe Biden wenige Monate vor der Präsidentenwahl langfristige Finanzierungszusagen machen will. (afp)

Russland will asymmetrisch reagieren

Russland werde auf ukrainische Angriffe auf sein Territorium mit von den USA gelieferten Waffen asymmetrisch reagieren, meldet die Nachrichtenagentur RIA. Sie beruft sich auf dabei auf den Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses des Parlaments, Andrei Kartapolow. Demnach erklärt er weiter, die US-Entscheidung Raketenangriffe auf begrenzte Ziele in Russland mit US-Waffen zu erlauben, werde die Einsätze in der Ukraine nicht beeinflussen. Bei asymmetrischen Angriffen handelt es sich im Attacken, bei denen andere Mittel eingesetzt und andere Ziele ausgesucht werden, als es die Gegenseite macht.

Bei einem russischen Raketenangriff auf die ukrainische Hauptstadt Kiew sind mehrere Energieanlagen getroffen worden. Ein Kraftwerk sei zerstört und das Stromnetz im Bezirk Holosijiwskyj sei beschädigt worden, teilt das Energieunternehmen DTEK mit. Einige Privathäuser seien noch ohne Strom. Die russischen Streitkräfte hätten mit Drohnen und ballistischen Kurzstreckenraketen vom Typ Iskander angegriffen, teilt die ukrainische Luftwaffe mit. (rtr)

Stoltenberg sieht kein Eskalationsrisiko

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg sieht kein Eskalationsrisiko durch die Entscheidung der USA, der Ukraine begrenzte Angriffe auf Ziele in Russland zu erlauben. „Russland selbst eskaliert, indem es ein anderes Land angegriffen hat“, und das gleiche gelte für die Angriffe auf die Region Charkiw, sagte Stoltenberg am Freitag am Rande des Nato-Außenministertreffens in Prag.

Zugleich erhöhte Stoltenberg den Druck auf Deutschland und andere Länder, solche Angriffe mit von ihnen gelieferten Waffen ebenfalls zu erlauben. „Die Ukraine hat das Recht auf Selbstverteidigung, und das schließt auch das Recht ein, legitime militärische Ziele in Russland anzugreifen“, bekräftigte der Generalsekretär. Dies sei angesichts der Kämpfe in der Region Charkiw an der russischen Grenze „umso dringlicher“.

Der tschechische Außenminister Jan Lipavsky unterstützte Stoltenbergs Forderung: „Die Ukraine wurde angegriffen und hat das Recht, sich zu verteidigen. Es ergibt nur Sinn, diese Angriffe zu stoppen, bevor sie auf ukrainischem Gebiet stattfinden“, sagte er.Ähnlich äußerten sich die Vertreter der Baltenstaaten. Der estnische Außenminister Markus Tsahkna nannte die Beschränkungen für den Waffeneinsatz „nicht rechtmäßig“ und rief Deutschland auf, diese ebenfalls aufzuheben. Der litauische Außenminister Gabrielius Landsbergis äußerte die Hoffnung auf ein Einlenken der Bundesregierung. (afp)

Baerbock kritisiert Waffendebatte scharf

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hat die Debatte über den Einsatz westlicher Waffen gegen Ziele in Russland scharf kritisiert. „Aus meiner Sicht ist es wirklich nicht die richtige Diskussion, dass man jedes Detail, wie die Ukraine sich verteidigt, in der Öffentlichkeit ausbreitet“, sagte Baerbock am Freitag in Prag.

Es gehe „überhaupt nicht“ darum, ob deutsche oder andere westliche Waffen gegen russisches Gebiet eingesetzt würden, sagte Baerbock weiter. „Es geht darum, die völkerrechtswidrigen Angriffe Russlands auf die Ukraine so zu unterbinden, dass Menschen in der Ukraine nicht sterben müssen.“ „Das Völkerrecht war von Anfang an klar: Es macht deutlich, dass man Angriffe abwehren kann“, sagte Baerbock weiter. „Jedes Land hat die Pflicht, seine Bevölkerung zu schützen.“ Sie ließ offen, ob dies den Abschuss russischer Raketen mit deutschen Patriot-Systemen über russischem Staatsgebiet einschließt. (afp)

Pistorius kündigt neues Hilfspaket an

„Wir werden euch in diesem Abwehrkampf weiterhin unterstützen“, sagte Pistorius am Donnerstagabend bei einem Treffen mit seinem ukrainischen Kollegen Rustem Umjerow in Odessa. Einiges an Material stehe unmittelbar vor der Auslieferung. In dem Waffenpaket sei eine hohe Zahl von Flugkörpern für Flugabwehrsysteme vom Typ Iris-T SLM mit mittlerer Reichweite und eine kleinere Zahl von SLS-Flugkörpern mit kürzeren Reichweiten enthalten, sagte der SPD-Politiker.

Zudem gehe es um Drohnen zur Aufklärung und zum Kampf im Schwarzen Meer, um dringend benötigte Ersatzteile wie etwa Ersatzrohre für die von Deutschland gelieferten Artilleriesysteme sowie um Austauschmotoren für Kampfpanzer vom Typ Leopard. Zur Verfügung gestellt werde auch eine Million Schuss Munition für Handwaffen. Vom Jahr 2025 an solle die Auslieferung von 18 neuen Radhaubitzen der neuesten Bauart folgen, ergänzte Pistorius. (dpa)

Zwei Verletzte bei Angriff auf Krasnodar

Bei einem ukrainischen Luftangriff auf Ölanlagen in der südrussischen Schwarzmeer-Region Krasnodar sind nach Angaben örtlicher Behörden zwei Menschen verletzt worden. Im Bezirk Temrjuk sei die Infrastruktur eines Öldepots beschädigt worden, teilt der Gouverneur der Region Krasnodar, Weniamin Kondratjew, über den Kurznachrichtendienst Telegram mit. Herabfallende Trümmer abgeschossener Drohnen hätten ein Feuer ausgelöst, das wieder gelöscht worden sei.

Insgesamt habe die Luftabwehr fünf Raketen und 29 Drohnen zerstört, die die Ukraine am frühen Morgen auf die Region Krasnodar abgefeuert habe, teilt das russische Verteidigungsministerium mit. Auch über den Regionen Woronesch, Belgorod und Tambow seien Drohnen abgeschossen worden. (rtr)

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir alle wollen angesichts dessen, was mit der Ukraine derzeit geschieht, nicht tatenlos zusehen. Doch wie soll mensch von Deutschland aus helfen? Unsere Ukraine-Soli-Liste bietet Ihnen einige Ansätze fürs eigene Aktivwerden.

▶ Die Liste finden Sie unter taz.de/ukrainesoli

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.