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EU-Ägypten-AbkommenEuropas neuer Lieblings-Diktator Sisi

Die EU und Ägypten unterschreiben ein neues Abkommen: Eine gut gefüllte Finanzspritze für Herrscher al-Sisi und vielleicht weniger Migranten für die EU.

Die Laune ist prächtig: von der Leyen und al-Sisi im Gespräch im Kairo Foto: reuters

Tunis taz | Ägypten bekommt eine ordentliche Finanzspritze, Europa weniger Migranten – so lässt sich der Deal ganz knapp zusammenfassen, zu dessen Abschluss europäische Staats- und Regierungschefs sowie EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Wochenende in die ägyptische Hauptstadt Kairo reisten. Die Größe der Delegation – zu der der österreichische Regierungschef Karl Nehammer, seine italienische Kollegin Giorgia Meloni sowie deren Amtskollegen Kyriakos Mitsotakis aus Griechenland und Alexander De Croo aus Belgien gehörten – verdeutlicht die besondere Bedeutung, die dem Abkommen beigemessen wird. Am Sonntagnachmittag erfolgte dann die Unterschrift und damit die Offizialisierung des Abkommens.

Staatspräsident Abdel Fatah al-Sisi möchte mit dem so vereinbarten Finanzierungspaket in Höhe von 7,4 Milliarden Euro die strauchelnde Wirtschaft seines 106-Millionen-Einwohnerlands vor dem Absturz retten. Der Krieg in Gaza, schwindende Einnahmen auch aus dem Tourismus und der Absturz des ägyptischen Pfunds haben die sozialen Spannungen im Land in den vergangenen Wochen ansteigen lassen. Im Gegenzug für das EU-Geld verpflichtet sich al-Sisi, die Migration über das Mittelmeer nach Europa einzudämmen. Konkret geht es um Kredite in Höhe von 5 Mil­liar­den Euro, Investitionen im Umfang von 1,8 Milliarden Euro, 400 Millionen Euro für bilaterale Projekte sowie 200 Millionen Euro für Programme im Bereich Migration.

Kooperationen im Bereich der Terrorismusbekämpfung und des Grenzschutzes könnten – ähnlich wie mit Tunesien vereinbart – außerdem zu gemeinsamem Training mit europäischen Spezialeinheiten führen. Das im letzten Sommer mit dem tunesischen Präsidenten Kais Saied unterzeichnete Migrationsabkommen dient als Blaupause für den Deal mit Ägypten. Die EU hofft auf Ägypten als strategischen Partner, der die Grenze zu Libyen dichtmacht. Immer mehr der Millionen Kriegsfliehenden aus dem Sudan durchqueren Ägypten und werden dann von Schmugglern über die libysch-ägyptische Grenze gebracht.

„In Bussen transportieren die Schmuggler die Mi­gran­t:in­nen und Flüchtlinge innerhalb von zwei Tagen vom Grenzübergang Sallum zwischen Libyen und Ägypten nach Westlibyen oder nach Sfax in Tunesien“, sagt der liby­sche Migrationsexperte Muftah Lawhel. Dort legen dann die Boote nach Europa ab. Mit dem nun auf dem Mittelmeer erwarteten Frühlingswetter rechnen Menschenrechtsaktivisten mit neuen Rekordzahlen von nach Italien ablegenden Schmugglerbooten.

Kritik von NGOs: „Migranten stoppen, Missstände ignorieren“

Die bis 2027 festgelegten Überweisungen aus Brüssel sind daher wohl an die tatsächliche Umsetzung der Versprechen al-Sisis geknüpft. Eine Milliarde Euro Makrofinanzhilfe soll sofort fließen, die restlichen 4 Milliarden Euro der Kredite müssen noch vom Europäischen Parlament genehmigt werden. Der Großteil der Gelder sei in enger Zusammenarbeit mit dem Inter­na­tio­na­len Währungsfonds ausgearbeitet worden, so ein Beamter der EU-Kommission gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters.

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch sieht in dem EU-Abkommen mit Kairo die Fortsetzung von Unrecht: „Der Plan ist derselbe wie bei den fehlerhaften EU-Abkommen mit Tunesien und Mauretanien: „Migranten stoppen, Missstände ignorieren.“

Die Lage nahe der tunesischen Küstenstadt Sfax zeigt außerdem, wie schwer es ist, den im Geheimen operierenden Migrationsnetzwerken beizukommen. Bei Sfax hausen derzeit Tausende Migranten und Geflüchtete auf Feldern und warten auf ihre Abfahrt nach Europa. 105 Millionen Euro hatte Brüssel nach Tunis überwiesen, um die Kooperation im Bereich Migration zu verbessern. Die tunesischen Behörden wählten eine einfachere Lösung und vertrieben die aus Subsahara-Afrika stammenden Menschen aus Sfax, und damit aus der Öffentlichkeit, in nahe Dörfer.

„Migrant:innen und Flüchtlinge bleiben für Autokraten ein Faustpfand für die Gespräche mit Europa“, sagt der tunesische Migrationsexperte Zied Meluli. „Egal, wie viel überwiesen wird.“

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17 Kommentare

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  • All die Saieds, al-Sisis kassieren gern.



    Doch wer gehen will/muss, geht.

  • Ist doch immer wieder schön wie unsere Moral sehr flexible wird wenn es um Migranten und fossile Energien geht. Den einen Diktator vertäufeln und mit zig anderen neue Geschäfte machen. Das man die Milliarden auch im Sudan einsetzen könnte um die Flucht von dort zu verhindern, nö wieso denn. Übertragen wir die Aufgabe doch lieber Autokraten, damit die sich daran bereichern, das sie die Menschenrechte anderer mit Füßen treten und das mit netter Unterstützung von europäischen Steuergeldern. Komplette moralische Bankrotterklärung mal wieder.



    Abir al Sahlani (schwedische EU- Abgeordnete): “Human rights have a skin colour, and the darker you are, the less human rights you have." Traurig, aber wenn man die Taten unserer Politiker anschaut, in der Praxis leider wahr.

    • @Momo Bar:

      Einer der Großkotze in meiner Firma hat auf die Frage, wie es sein kann, dass wir z.B. mit Saudi-Arabien Geschäfte machen, gesagt "well, they have a different attitude". SO entspannt und flexibel kann man das sehen. Und man muss die anderen Verbrecher wie z.B. China nicht erwähnen. Da verdienen viele Geld dran. Da werden Menschenrechte in Arial 1 Punkt geschrieben.

      • @Jalella:

        Die "different attitude" sieht man ja auch im: "Megacity-Projekt Neom -Auf saudischem Blut aufgebaut" (ARD Artikel). Für das Projetkt wurden bereits Menschen vertrieben, inhaftiert und zum Tode verurteilt. 28.000 Menschen sollen "umgesiedelt" werden". Und profitieren von dem Projekt tut auch die Thyssen Krupp Tochterfirma Nucera.



        "Wir haben mindestens 50 Verhaftungen dokumentiert, darunter fünf Menschen, die zum Tode verurteilt wurden, weil sie sich weigerten, ihre Häuser zu verlassen", sagt Menschenrechtsaktivistin Al-Hathloul.



        Deutsche Antwort auf die Vorwürfe: "Wenn wir uns davon verabschieden würden, diese Diplomatie zu führen, dann würden wir irgendwann nur noch mit ein paar wenigen demokratischen Staaten auf dieser Welt sprechen. Und das wäre, ehrlich gesagt, auch nicht zu unserem Nutzen." Saudi-Arabien und anderen Staaten sei aber klar, dass die Menschenrechte nicht verhandelbar seien. Nicht verhandelbar aber sehr sehr flexible wenn man eigene Interessen verfolgt.



        "Wir müssen den Dialog mit schwierigen Partnern, egal wo auf der Welt suchen, wenn wir das gemeinsame Ziel verfolgen, tatsächlich das Klima zu schützen", sagt Lamya Kaddor. Verstehe Klimaschutz auf Kosten von anderen Menschen.

  • Was wäre alles möglich, wenn man das Geld statt in die Flüchtlingsvermeidung in ein System der humanitären Aufnahme oder vor Ort zur Hilfe steckte.

    • @Grauton:

      Was bitte würden Sie denn im Sudan zur Flüchtlingsvermeidung finanzieren wollen, was dann auch garantiert nicht den beiden Kriegsherren im Sudan zukommt?

      Wer führt denn noch humanitäre Hilfe im Sudan durch?

      Das Geld für Ägypten fließt doch in ein System der humanitären Aufnahme.

      Ägypten geht relativ großzügig mit den Flüchtlingen aus dem Sudan um.

      Sie dürfen bleiben und sich ihren Lebensunterhalt selbst verdienen.

      Eine ausreichende soziale Absicherung gibt es auch nicht für Ägypter.

      Von den Milliarden der EU haben sowohl die Flüchtlinge aus dem Sudan wie auch die aufnehmende Gesellschaft etwas.

      Wenn außerdem niemand mehr in Lybien versklavt wird, ist das nicht wenig.

      • @rero:

        Das Problem im Sudan ist doch eher, dass man zuvor den beiden Kriegsparteien Geld hat zukommen lassen, damit sie verhindern, dass Flüchtlinge aus Äthiopien, Somalia, Eritrea, Jemen, Süd-Sudan nach Europa kommen.

  • 2011 wurde Mubarak nach 30-jähriger Herrschaft gestürzt. In den ersten freien Wahlen wurde Morsi von der Muslimbruderschaft zum Präsidenten gewählt. Kurz darauf gab es einen Militärputsch. Daraufhin wurde el Sisi zum Präsidenten gewählt. Er wurde wiedergewählt und ist seid 10 Jahren im Amt.

    Vom "Arabischen Frühling" ist nichts mehr übrig. Es gab keine demokratische Transformation und Ägypten wird wieder autoritär regiert.

    Man kann darauf mit Symbol-Politik oder mit Real-Politik begegnen.

    Wir Europäer werden Ägypten nicht ändern.

    • @Benzo:

      Das klingt, als hätte der Westen nichts damit zu tun. Aber tatsächlich war der Putsch Al-Sissis gegen die Muslimbruderschaft vom Westen gewollt und unterstützt.

  • Was genau passiert denn mit den sudanesischen Flüchtlingen, wenn sie nicht mehr über die Grenze nach Lybien können, Ursula? Landen sie in einem der grausamen ägyptischen Gefängnissen oder verdursten sie in der Wüste?



    Wie schafft die es, noch so zu grinsen? Bei dieser Frau kann man einfach nur noch den Kopf schütteln.

    • @Micha.Khn:

      Nun, wenn von der Leyen es schafft, dass Ägypten Flüchtlinge nicht mehr nach Lybien lässt, ist das definitiv für die Flüchtlinge wie für die Menschenrechte ein Gewinn.

      Wenn es klappt, hätte sie Grund zum "Grinsen".

      Bislang scheint es doch so, dass die meisten Flüchtlinge in Ägypten in den Armenviertel der Großstädte durchschlagen müssen. Manche versorgt das UNHCR. Wer dagegen Geld hat, wie viele Syrer, kann sich ein besseres Leben leisten.

      Wie kommen Sie auf die Idee mit der Wüste und den Gefängnissen?

      • @rero:

        Libyen, nicht Lybien.

      • @rero:

        Sollte natürlich "Libyen" heißen. :-)

      • @rero:

        Was bitte soll den ein Gewinn für die Flüchtlilnge oder für die Menschenrechte sein, wenn die Sudani in Ägypten festsitzen? Wie Sie selber schreiben, ist es für die sehr schwierig in Ägypten. Es gibt da keine Hoffnung auf eine Zukunft, einzig der Weg nach Europa, der jetzt verperrt werden soll. Was daran gut sein soll, erschliesst sich mir nicht.

        • @Micha.Khn:

          Warum soll es in Ägypten keine Hoffnung auf Zukunft geben?

          Warum soll es nur Hoffnung in Europa geben?

          Sorry, bornierter geht es kaum.

          Für sudanesische Flüchtlinge ist hier nichts leicht.

          • @rero:

            Das hat doch nichts mit Boniertheit zu tun. Das Leben in Ägypten ist nicht mehr das selbe, wie noch vor 10 oder 20 Jahren. Immer mehr Menschen in diesem Land leben in absoluter Armut. Für die Flüchtlinge bleibt absolut nichts, mit Glück finden sie einen sklavenartien Job, mit dem sie über kurze Zeit knapp überleben können. Diese Menschen werden also weiterhin versuchen, über die Grenze zu gehen. Dann landen sie ohne eine Anklage in irgendeinem Polizeigefängnis, was da abgeht, muss ich Ihnen nicht erklären. Oder man lässt die eben in der Wüste sich selbst überlassen.

            Ich weiss nicht, wie sie darauf kommen, dass Geld aus der EU an dieser Situation irgend etwas ändern soll. Die 200 Mio, die von der EU für die Flüchtlinge (bzw. das Zurückhalten der Flüchtlinge) bezahlt werden, sind an keinerlei Bedingungen geknüpft. Das Geld wird einfach so dem Regime übergeben. Kein Cent davon wird die Situation der Sudänis verbessern. Warum man dieses Geld nicht einer NGO anstatt der Regierung übergibt, ist mir schleierhaft. Dazu würde ich gerne mal eine Begründung von Uschi hören.

            • @Micha.Khn:

              Wie ich darauf komme?

              Im Artikel steht:



              "Staatspräsident Abdel Fatah al-Sisi möchte mit dem so vereinbarten Finanzierungspaket in Höhe von 7,4 Milliarden Euro die strauchelnde Wirtschaft seines 106-Millionen-Einwohnerlands vor dem Absturz retten."

              Es ist doch nun seit längerem bekannt, dass Flüchtlingshilfe am effektivsten ist, wenn sie auch den Einheimischen zu Gute kommt.

              Was die ägyptische Regierung mit dem Geld anfängt, wird man sehen.

              Eine floriende Wirtschaft bringt auch für Flüchtlinge mehr als eine weitere helfende NGO.

              Wir sollten uns von der Idee lösen, nur Europa könne die Flüchtlinge der Welt glücklich machen.