Journalist:innen im Nahost-Krieg: Nachrichtenblockade in Gaza
Der Krieg zwischen Israel und der Hamas ist bisher einer der tödlichsten für Journalist:innen gewesen. Ankläger in Den Haag untersuchen Vorwürfe von Reporter ohne Grenzen (RSF).
W eltweit bleiben acht von zehn Verbrechen an Medienschaffenden vollkommen straffrei. Deshalb war Karim Khans Nachricht ein erster Erfolg auf dem Weg zu mehr Gerechtigkeit. Die gute Nachricht kam am 5. Januar: Khan, der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag (IStGH), erklärte gegenüber Reporter ohne Grenzen (RSF), sein Team ermittle auch zu Verbrechen an Journalist:innen in Gaza und Israel. Nötig dafür war die unablässige Dokumentation der Gräueltaten der Hamas gegen israelische Journalist:innen, aber in weitaus größerem Umfang auch mutmaßlich gezielte Angriffe der israelischen Armee auf Medienschaffende in Gaza.
Am 31. Oktober und am 22. Dezember 2023 hatte RSF Strafanzeigen vor dem IStGH eingereicht, damit dieser mögliche Kriegsverbrechen gegen Medienschaffende im Gazastreifen und in Israel untersucht. Nach dem Völkerrecht gelten Journalist:innen als Zivilist:innen. Sie sind aber wegen der Nähe zum Geschehen – und weil manchmal ganz gezielt ihre Arbeit verhindert werden soll – besonders gefährdet.
Die Nachricht von Chefankläger Khan bedeutet deshalb einen ersten Schritt hin zu einem auch rechtlich besseren Schutz von Medienschaffenden in bewaffneten Konflikten – in Gaza und weltweit.
Seit Beginn des Gazakriegs am 7. Oktober ist der Gazastreifen nahezu vollständig abgeriegelt. Seither berichten vor allem palästinensische Reporter:innen über das Geschehen.
Israelische Luftangriffe, blockierte Telefon- und Internetverbindungen, fehlender Treibstoff, die Angst um sich selbst und Angehörige sowie gezielte Kampagnen, die sie und ihre Arbeit diskreditieren sollen, machen die Berichterstattung jedoch extrem herausfordernd.
Zudem erschweren die Terrororganisationen Hamas und Islamischer Dschihad immer wieder die Arbeit unabhängiger und kritischer Medien. Internationale Reporter:innen kommen nur „eingebettet“ mit der israelischen Armee in den Gazastreifen und müssen den Streitkräften ihr Material vorlegen, bevor sie es veröffentlichen dürfen.
Der Grenzübergang Rafah nach Ägypten ist derzeit die einzige Verbindung Gazas mit der Außenwelt. Die israelischen Streitkräfte überwachen dort alle Aktivitäten.
Reporter ohne Grenzen fordert ägyptische und israelische Behörden auf, den Grenzübergang in Rafah zu öffnen, um den palästinensischen Medienschaffenden und auch anderen Zivilist:innen bessere Möglichkeiten zu geben, sich zu schützen und Gaza zu verlassen.
Seit dem 7. Oktober sind mindestens 107 Journalist:innen gestorben. Reporter ohne Grenzen (RSF) zählt den Tod eines Journalisten oder einer Journalistin als verifiziert, wenn er oder sie im Zusammenhang mit der Arbeit als Journalist:in getötet wurde (roter Streifen in der Grafik). Zugleich erhebt RSF aber auch die Zahl der insgesamt getöteten Journalist:innen (blauer Kreis) und versucht, die Todesumstände möglichst zweifelsfrei zu belegen. Diese Dokumentation dient auch dazu, Material für spätere Gerichtsprozesse zu sammeln.
Alltag von Journalist:innen im Gazakrieg
Gemeinsam mit Reporter ohne Grenzen (Reporters sans frontières, RSF) hat die taz Panter Stiftung nach Stimmen von Journalist:innen aus der Region gesucht, die ihren Alltag beschreiben. Einige sind im Gazastreifen geblieben, andere sind geflohen.
Mohammed Abu Saif, Journalist, ARD-Mitarbeiter:
Ich habe immer gesagt: Ich verlasse Gaza erst, wenn die Waffen schweigen. Sonst würde ich mir zu viele Sorgen um meine Familie und meine Freunde machen. Aber mit der Zeit ist es immer gefährlicher und anstrengender geworden, als Journalist zu arbeiten. Ich konnte nicht anders: Ich musste gehen.
Wenn du zu einem Einsatz fährst, etwa zu einem Bombeneinschlag, weißt du nicht, ob vielleicht noch eine Rakete einschlägt. Du weißt nicht, ob es vielleicht das Auto vor dir trifft. Ich habe diese Gedanken nicht mehr aus meinem Kopf bekommen, und auch meine Familie hatte ständig Angst um mich.
Schon der Alltag ist eine enorme Herausforderung: Du musst für dich selbst sorgen, aber du stehst stundenlang für Duschen oder Toiletten an. Ich habe tagelang in denselben Klamotten gearbeitet und geschlafen, wochenlang im Auto. Zugleich musst du dich um deine Familie kümmern, aber es fehlt an allen Ecken und Enden die Zeit. Meine Frau und den Rest meiner Familie konnte ich nicht in dem Haus treffen, in dem sie untergekommen waren, weil der Besitzer Angst hatte, man könnte uns angreifen – schließlich sei ich Journalist.
Das habe ich oft gehört, zum Beispiel auf dem Markt: „Bitte geh, wir wollen nicht, dass wir bombardiert werden!“ Journalisten als Ziel? Dabei sollten gerade wir Journalist:innen geschützt sein, wie alle Zivilisten. Natürlich kenne ich auch Kolleginnen und Kollegen, die getötet wurden. Einer war ein Freund aus Kindheitstagen.
Mohammed Abu Saif, Journalist, ARD-Mitarbeiter
Ich bin Journalist, aber mir fehlen die Worte. Ich weiß nicht, wie ich meine Gefühle ausdrücken soll. Tagsüber siehst du so viel Chaos und Leid, und am Ende des Tages sehnst du dich nach einer positiven Nachricht. Irgendetwas. Und dann wird dir gesagt, dass dein Freund getötet wurde.
Das Haus meiner Familie ist zerstört worden. Sie hat in Beit Lahija gewohnt, im Norden des Gazastreifens. Ob es meine eigene Wohnung noch gibt, weiß ich nicht, und ich will es auch nicht wissen.
Nach fünf Monaten habe ich Gaza verlassen. Ich bin nun sicher, aber gleichzeitig bereue ich es, nicht mehr dort zu sein. Über das zu berichten, was passiert, ist eigentlich meine Aufgabe, meine Verantwortung. Wenn wir alle Gaza den Rücken kehren, wer erzählt dann die Geschichten? Aber ich war fünf Monate lang im Krieg. Niemand kann mir sagen, ich hätte keine Opfer gebracht.
Aus dem Arabischen: Christopher Resch
Auch im Gazakrieg müssen kritischer Journalismus und freie Berichterstattung gewährleistet sein. Denn Informationsrecht ist ein Menschenrecht, das nicht dem Narrativ der Konfliktparteien überlassen werden darf.
Seit mehr als 15 Jahren unterstützt die taz Panter Stiftung bedrohte Journalist:innen. Deswegen schauen wir jetzt nach Gaza. Gemeinsam mit Reporter ohne Grenzen (Reporters sans frontières, RSF) hat die taz Panter Stiftung nach Stimmen von Journalist:innen aus der Region gesucht, die ihren Alltag beschreiben. Einige sind dort geblieben, andere sind geflohen.
Eins der Protokolle erzählt die Geschichte einer Journalistin, die bereits in der Vergangenheit wegen ihrer Arbeit bedroht war und die mit dem Stipendium „Refugium“ von der taz Panter Stiftung und von RSF eine Auszeit in Berlin genommen hatte.
Gemma Terés Arilla, Leiterin der taz Panter Stiftung
Ola al-Zaanoun, Journalistin und RSF-Korrespondentin:
Um vier Uhr morgens am 13. Oktober, eine Woche nach dem Beginn des Gazakriegs, forderte die israelische Armee die Bürger:innen auf, alle Gebiete im nördlichen Gazatal in Richtung Süden zu verlassen.
Wir lebten in der Region um Tel al-Hawa, von nun an eine militärische Sperrzone. Ich nahm Dokumente, Pässe und ein paar persönliche Sachen mit, weil ich anfangs dachte, es ginge nur um einen kurzen Zeitraum. Ich war ziemlich verwirrt, sah aber außer der Flucht keine anderen Optionen für uns. Ich beschloss, mich mit meinen vier Kindern – Moussa, Ahmad und den Zwillingen Alma und Adam – auf den Weg zu machen.
Mein Mann arbeitet für die Nachrichtenagentur AFP. Deren Teams waren im 24-Stunden-Notfallbetrieb unterwegs. Ihre gesamte Berichterstattung bestand aus Tod, Bombardements, Zerstörung, Vertreibung, Verwirrung und Chaos.
Ich habe kein Gleichgewicht gefunden zwischen meiner Tätigkeit als Journalistin, die über die zunehmenden Angriffe auf Medienschaffende berichtet, und meiner Verantwortung als Mutter. Ich war hilflos und außerstande, mich selbst und die Kinder zu schützen.
Wir verließen Gaza-Stadt in Richtung Süden, wohin genau, wussten wir nicht. Was zählte, war, dem Tod zu entkommen. Aber wir mussten feststellen, dass sich der Tod sehr schnell überall ausbreitete. Israelische Drohungen und Bombardierungen wechselten sich ab, nirgendwo schien es sicher zu sein. Aus professioneller Sicht wie auch als Familie wurde die Lage immer komplizierter.
Viele Journalist:innen, darunter auch mein Mann, nutzten Zelte rund um das Nasser-Krankenhaus in Chan Yunis, der zweitgrößten Stadt im Gazastreifen, als Unterschlupf für ihre Arbeit. Internet- und Telefonverbindungen fielen häufig aus, journalistische Arbeit wurde nahezu unmöglich. Ich konnte dort nicht lange bleiben, weil uns die israelische Armee erneut aufforderte, den Ort zu verlassen, diesmal sollten wir nach Rafah.
Wie viele andere lebten wir dort drei Monate lang in Zelten. Es war schrecklich, weil ich zum einen Angst hatte, wegen meiner Arbeit als Berichterstatterin ins Visier genommen zu werden. Zum anderen musste ich irgendwie meine Familie versorgen. Als Journalistin zu arbeiten, wurde zu einem Ding der Unmöglichkeit.
Jedes Mal, wenn ich einen weiteren getöteten Kollegen melden musste, zitterte ich vor Angst, es könnte einer meiner Verwandten sein.
Ola al-Zaanoun, Journalistin und RSF-Korrespondentin:
Ich stamme aus einer Journalistenfamilie, mein Mann, meine Brüder und mein Sohn sind Journalisten. Es ist sehr bedrückend und schmerzhaft, jeden Tag den Tod eines Kollegen zu dokumentieren, mit dem man früher gemeinsam berichtet hat. Sich dem rund um die Uhr auszusetzen, hat großen Schmerz in mir hinterlassen. Die Angst davor, selbst zur Nachricht zu werden, war grauenvoll. In keinem Krieg gab es so viele getötete Journalist:innen. Hunderte Verletzte und die Zerstörung aller Medieneinrichtungen kommen hinzu.
Diese Realität verfolgte mich, sie ließ mich nicht los, und ich bin auch nicht von psychologischen Schäden verschont geblieben. Es grenzt für mich an ein Wunder, dass ich jeden israelischen Angriff überlebt habe – bislang.
Ich arbeite seit 15 Jahren als Journalistin und habe mich darauf spezialisiert, Angriffe auf Medienschaffende und Verstöße gegen die Pressefreiheit zu dokumentieren. Dieser Krieg ist der bislang brutalste gegenüber Journalist:innen – sie genießen keinerlei Schutz, weder durch Immunität noch durch andere internationale Konventionen.
Aus dem Arabischen: Christopher Resch
Freie Journalistin aus Gaza-Stadt, die anonym bleiben will:
Zu Beginn des Gazakriegs lebte ich mit meiner Familie in meinem Haus in Gaza-Stadt. Ich wurde Zeugin von schweren israelischen Luftangriffen auf Gebäude im Flüchtlingslager in der Nähe. Ich erinnere mich noch sehr gut daran, wie meine Familie und ich die ganze Nacht nicht schlafen konnten, weil die israelischen Bomben so schrecklich klangen. Es war sehr unheimlich in der Dunkelheit inmitten des Bombenlärms, ohne Verbindung nach außen und ohne Strom.
In der zweiten Nacht wurden wir plötzlich durch Schreie unserer Nachbarn geweckt: Sie hatten einen Anruf der israelischen Armee erhalten, der ihnen befahl, das Stadtviertel zu verlassen. Wir waren schockiert, da wir nicht wussten, wohin wir spät nachts gehen sollten. Wir entschieden uns für die Al-Schifa-Klinik, weil wir davon ausgingen, dass die israelische Armee das Krankenhaus nicht angreifen würde. Ohne darüber nachzudenken, welche Dinge wir mitnehmen mussten, verließen wir das Haus, um einer Evakuierung zuvorzukommen.
Im Al-Schifa-Krankenhaus war die Lage katastrophal. Tausende von Familien hatten Zuflucht im Hof und im Innern des Krankenhauses gesucht. Inmitten dieser fatalen Situation berichteten mir Kollegen, dass Israel alle Bewohner:innen von Gaza-Stadt aufgefordert hatte, in den Süden des Gazastreifens zu ziehen. Diese Nachricht versetzte mich in Panik, weil ich nicht wusste, wohin ich im Süden gehen sollte. Einer unserer Verwandten erklärte sich dann bereit, uns in seiner Wohnung in Chan Yunis aufzunehmen.
Im neuen Unterschlupf lebten wir in ärmlichen Verhältnissen – ohne Strom und mit begrenzten Mengen an Wasser und Lebensmitteln. Es gab kein Internet, weshalb ich journalistische Recherchen aufgeben musste. Ich war vollauf damit beschäftigt, Lebensmittel für meine Familie zu organisieren und in den Krankenhäusern eine Möglichkeit zu finden, mein Handy aufzuladen, um für internationale Medien zumindest über die humanitäre Krise im Süden des Gazastreifens zu berichten. Das setzte mich wiederum psychisch unter Druck, weil meine Familie um meine Sicherheit fürchtete, als sie feststellte, dass ich mit internationalen Medien über das Leid der Zivilbevölkerung sprach. Mehrfach bat mich meine Familie, nicht mehr zu berichten, da einige Journalisten vom israelischen Militär angegriffen worden waren.
Ich beschloss, nach Gaza-Stadt zurückzukehren. Der Weg dahin war sehr gefährlich, aber ich sah keine andere Möglichkeit. Als ich in meinem Haus in Gaza-Stadt ankam, entspannte ich mich kurzzeitig. Doch dann verschlechterte sich die Situation dramatisch, denn Israel hatte beschlossen, das benachbarte Al-Schifa-Krankenhaus anzugreifen. Es kamen israelische Panzer in mein Viertel, und in der Nähe gab es Feuergefechte zwischen bewaffneten palästinensischen Gruppen und der israelischen Armee. Ein Geschoss traf mein Haus.
Darum entschieden wir uns, zum zweiten Mal in den Süden umzusiedeln. Diesmal war das noch gefährlicher, denn wir waren gezwungen, stundenlang zu Fuß zu gehen, weil die israelische Armee den Verkehr auf der Hauptstraße Salah al-Din behinderte. Als wir die Mitte des Gazastreifens erreichten, fanden wir ein Taxi, das uns nach Chan Yunis brachte.
Freie Journalistin aus Gaza-Stadt, die anonym bleiben will
Der zweite Aufenthalt in Chan Yunis war schrecklich: Jeden Tag waren die israelischen Bomben zu hören, und ich konnte mich nicht mehr auf meine Arbeit konzentrieren. Es war kalt. Ich schlief auf dem Boden auf einer dreckigen Matratze und einem schmutzigen Kissen. Es gab nicht genug Wasser, um sie zu waschen. Dann bekam ich eine Grippe, versuchte Medikamente zu finden, fand aber keine.
Schließlich baten wir meine im Ausland lebende Schwester um Hilfe. Sie unterstützte uns bei der Evakuierung aus Chan Yunis über den Grenzübergang Rafah. Vorübergehend leben wir jetzt in einem europäischen Land bei ihr. Mein Laptop wurde unterwegs beschädigt, ich kann deshalb nicht arbeiten. Wir fühlen uns nun zwar physisch sicher, aber in Gedanken sind wir immer noch im Gazastreifen.
Aus dem Englischen: Ole Schulz
Sami O. Zyara, Produzent für ABC News in Gaza:
Ich bin ein 50-jähriger Palästinenser und Vater von neun wunderbaren Kindern. Seit 1993 arbeite ich als Produzent für ABC News. Im Laufe meiner Karriere habe ich professionell über eine Vielzahl historischer Ereignisse und Kriege berichtet, bei denen ich unzählige Risiken in Kauf genommen habe, um die neuesten Entwicklungen in der palästinensischen Welt darzustellen.
Seit dem israelischen Rückzug aus dem Gazastreifen im Jahr 2005 habe ich mehrere Kriege im Gazastreifen und Dutzende von Eskalationsstufen verfolgt. Für mich persönlich ist der aktuelle Krieg außergewöhnlich und lässt sich in Bezug auf das Ausmaß der Zerstörung, die Dauer und die Zahl der Opfer nicht mit den früheren Kriegen vergleichen.
Am 7. Oktober sprang ich morgens aus meinem Bett, um zu duschen und mich anzuziehen. In der Nacht hatte ich mich um meinen kranken Vater gekümmert. Ich bügelte meine Kleidung, trank einen Kaffee – und sah, wie Raketen auf Israel den Himmel über Gaza bedeckten. Seitdem befinde ich mich persönlich in einer Art Wachkoma, aus dem ich mich nicht befreien kann. Ich ahnte, dass wir auf einen heftigen, lang anhaltenden und beispiellosen Krieg zusteuerten, und so ist es auch eingetreten.
Ich wohne in einem Haus im nördlichen Gazastreifen, der an Israel grenzt, was mich jedes Mal, wenn wir Zeuge von Kämpfen mit Israel werden, zutiefst beunruhigt. In jedem der früheren Kriege habe ich bei meinen Kindern geschlafen, aber in diesem Krieg habe ich es nicht geschafft, die langen, schrecklichen Nächte mit ihnen zu verbringen, damit sie sich angesichts der unglaublichen Menge an Bomben, die auf unsere Nachbarschaft niederfielen, sicher fühlen konnten.
Im Laufe des Krieges erhielten wir von den Israelischen Verteidigungsstreitkräften (IDF) mehrfach den Befehl, in Gebiete zu fliehen, die als sichere Zonen ausgewiesen wurden. Wir waren gezwungen, 16 verschiedene Orte aufzusuchen, um in Sicherheit zu sein. Ich habe erschütternde Situationen erlebt und sah, wie Neugeborene, Kinder, Frauen und ältere Menschen schwer verletzt oder getötet wurden.
Jedes Mal, wenn ich miterlebe, wie Kinder getötet werden, bin ich völlig niedergeschlagen und unfähig, so zu funktionieren, wie ich sollte. Der Schmerz raubt mir jede Energie, während ich an meine Kinder denke und mich frage, was wäre, wenn ich an ihrer Stelle wäre. Dieser Krieg hat mich hilflos gemacht, weil ich die Hoffnung auf ein Überleben oft genug verloren habe.
Ich habe zusammen mit meinem Team über die neuesten Entwicklungen in Gaza berichtet. Wir zogen von einem Ort zum anderen, um ein wahrheitsgetreues Bild der Lage zu zeichnen. Dabei brachten wir uns häufig selbst in Gefahr. Jeder Tag war eine echte Herausforderung, denn ich musste meiner Familie das Nötigste zum Überleben besorgen, einschließlich Wasser, Lebensmittel, Medikamente und Hygieneartikel, und das in einer Zeit, in der es an humanitären Hilfsgütern aller Art mangelte. Wir mussten stundenlang in der Schlange stehen, um Brot, Dosenbohnen und ein paar Flaschen Wasser zu ergattern.
Meine Arbeitskolleg:innen haben ihre Häuser verloren, nachdem sie während der israelischen Landnahme zerstört worden waren. Für mich ist das Ausmaß der Zerstörung nicht mit früheren Kriegen zu vergleichen. Auch ich habe mein Haus, mein Büro und eine Fahrschule verloren, die mir gehört – und mein Ackerland wurde komplett zerstört.
Sami O. Zyara, Produzent für ABC News in Gaza
Palästinensische Journalist:innen müssen allein arbeiten, nachdem Israel ausländischen Journalist:innen im Rahmen der laufenden Militäraktion den Zugang zum belagerten Gazastreifen verwehrt hat. Seit über fünf Monaten können ausländische Journalist:innen keine Augenzeugen der Verbrechen werden, die in Gaza begangen werden.
Im fünften Monat des Krieges ist es mir gelungen, einen Teil meiner Familie mithilfe von ABC News aus Gaza zu evakuieren.
Ich bin immer noch hier und kümmere mich um meine Eltern, bin aber kaum in der Lage, die täglichen Herausforderungen zu meistern, um zu überleben. Ich keuche schwer und altere schnell. Unter diesen Umständen bleiben viele journalistische Geschichten unerzählt. Der Krieg ist für mich ein Albtraum, doch ich versuche, die Nerven zu bewahren.
Jedes Mal, wenn ich von einem Waffenstillstand fantasiere, überkommt mich ein unheimliches Gefühl der Skepsis. Soll ich mich als Überlebenden feiern oder mich schuldig fühlen? Soll ich am Friedhof derer stehen, die mir ihre Träume anvertraut haben, und für sie ein Klagelied singen?
Das Leben ist zu einer tristen Angelegenheit geworden – in unserer langen Geschichte voller Trauer und Melancholie.
Aus dem Englischen: Ole Schulz
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