Rechte Gemeinschaftsdiskurse: Die Attraktivität von Zugehörigkeit
Gemeinschaften sind überholte historische Formen. Wenn Rechte oder Konservative diese beschwören, docken sie an einen Phantomschmerz an.
W enn man die deutschen Debatten über die AfD aus österreichischer Sicht betrachtet, so ist nicht klar, wo man „avancierter“ ist. Nicht im Sinne von fortschrittlicher, sondern von fortgeschrittener. Während in Österreich schon das Wort von der „Kickl-Republik“ die Runde macht (nach dem FPÖ-Vorsitzenden), diskutiert man in Deutschland noch, wie der weitere Aufstieg der Rechten zu verhindern sei.
So schrieb der Politologe Thomas Biebricher kürzlich in der taz, die Entwicklung rechter Parteien hinge wesentlich von der Haltung der konservativen, bürgerlichen Kräften ab. Denn diesen käme die hauptsächliche Aufgabe der Abwehr zu. An ihnen sei es, die „Brandmauer“ gegen rechts zu halten oder eben abzubauen.
Jan-Werner Müller, auch er Politologe, ging einen Schritt weiter. Für ihn ist der Rechtsruck, den man vielerorts konstatieren könne, von diesen nicht nur nicht aufgehalten worden – er sei vielmehr die Schuld der Konservativen. Denn konservative Eliten seien seit einigen Jahren zunehmend bereit, mit Rechtspopulisten zu koalieren – wie etwa in Österreich. Oder sie zu kopieren – auch das wurde in Österreich vorexerziert.
Warum sie das tun, scheint dem Politologen klar: Der rechten Mitte fehlen eigene Ideen. Deshalb setzen sie auf Kulturkampf. Genau solche Auseinandersetzungen um unverhandelbare Werte und Identitäten aber würden der Kollaboration mit den Rechten die Türe öffnen. Denn Kulturkampf bedeute, so Müller, Politik auf Zugehörigkeit zu reduzieren. Eine Frage bleibt dabei offen: Warum funktioniert das? Warum ist Zugehörigkeit so attraktiv? Attraktiver etwa als eigene Interessen?
Die Kitschvariante von Solidarität
Solche Zugehörigkeit verspricht Zusammenhalt. Ein Zusammenhalt, der alle Gegensätze verdecken soll – die Kitschvariante von Solidarität, so Müller. So verstanden sind Zugehörigkeit und Zusammenhalt aber Merkmale von Gemeinschaften. Nicht von Gesellschaften.
Nicht nur Rechte auch Konservative reaktivieren heute diesen historischen Gegensatz. Gegen die kalte Ordnung der Gesellschaft, wo Menschen einander nur Mittel zum Zweck sind, werden Gemeinschaften aufgeboten. Ob das nun die Gemeinschaft der „Normalen“ ist oder jene der „autochthonen“ Bevölkerung.
Der Gemeinschaft gehört man ganz an. Da ist man vollwertig. Da steht man mit den anderen in einem persönlichen Verhältnis – durch eine gemeinsame, verbindende Gesinnung. Gemeinschaft bedeutet also Nähe. Eine Nähe, die über die rein formalen, äußerlichen Verhältnisse der Gesellschaft hinausgeht. Man ist sich nahe, weil man sich ähnlich ist – egal worin die Ähnlichkeit besteht.
All dies gibt es nicht mehr. Gemeinschaften sind überholte historische Formen. Selbst im Dorf existiert sie nur mehr in Restbeständen. Eben deshalb greift das Beschwören von Gemeinschaft. Gerade weil es keine wirklichen Gemeinschaften mehr gibt. Weil sie fehlen.
Sehnsucht nach einem illusionären Sein
Die Gemeinschaftsdiskurse – ob von Rechten oder von Konservativen – docken an einen Phantomschmerz an. An den Schmerz, wo es nichts mehr gibt. Politik auf Zugehörigkeit zu reduzieren ist ein rein imaginäres Angebot. Denn solche Politik handelt mit einer Sehnsucht: Sie bietet der Sehnsucht eine Illusion an – und sie befördert die Sehnsucht nach einem illusionären Sein – einem Sein ohne Einschränkung.
Denn Gesellschaft bedeutet für den Einzelnen immer: reduziertes Vorkommen, reduzierter Wert, reduzierte Geltung. Während die Gemeinschaft dem Einzelnen zu versprechen scheint: Hier gehörst du ganz dazu. Hier kommst du wirklich vor. Hier hast du als Einzelner einen garantierten Wert. Einen gesicherten Schutz. Das ist zumindest die Vorstellung von Gemeinschaft, die nach deren Ende zirkuliert. Und die Konservativen im Fahrwasser der Rechten bieten solche Fake Gemeinschaften an.
Fake Gemeinschaften aber sind nicht einfach der Ersatz für richtige. Es ist vielmehr umgekehrt: Der Fake, die Illusion ist das Richtige, das, worum es geht. Denn wer sehnt sich schon nach einer realen Gemeinschaft mit ihren Hierarchien, Kontrollen und Unterordnungen?
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