Letzte Generation blockiert in Berlin: „Die Klimakrise macht keine Pause“
Nach der Sommerpause ist die Letzte Generation zurück in Berlin. Hier will sie unbegrenzt blockieren und stören, womöglich über viele Monate.
Mair nimmt das Einschreiten des Polizisten gelassen hin. Ihre „große Angst, dass ein Auto nicht stehen bleibt“, muss sie zu diesem Zeitpunkt morgens halb 8 auf der Prenzlauer Allee schon nicht mehr haben. Die Blockade sitzt, die vier Aktivist:innen sind unbeschadet, mit Ankunft der Polizei geht die Gewissheit einher, dass von nun an alles in geordneten Bahnen verläuft.
Kurz zuvor hatten zwei Autofahrer noch überlegt, ob sie sich den Weg selbst freiräumen, waren aber zurückgeschreckt, als eine weitere Fahrerin ihre Annäherung an die Blockierer:innen resolut zurückwies: „Denkt gar nicht erst daran.“ Bei einer Blockade in Prenzlauer Berg besprühte ein Mann laut Polizei Demonstranten mit Reizgas und versuchte, sie zu treten.
Nur gut zwei Wochen ist es her, dass sich die Physikstudentin Mair in München während einer Blockade erst gegen ein anfahrendes Auto stemmte und dann von diesem 200 Meter auf der Motorhaube mitgeschleift wurde, wie sie sagt. Im Netz gibt es ein Video, das zeigt, wie Mair und eine weiterer Aktivist mit ihren Oberkörpern auf dem fahrenden Auto liegen, während links und rechts andere Autos vorbei brausen. „Wenn schon Blockaden solche Reaktionen auslösen, was wird dann erst mit der Gesellschaft passieren, wenn das Ökosystem zusammenbricht und es nicht mehr genug Essen gibt?“, fragt sie.
Aktionsgruppe zurück in Berlin
Nach mehreren Aktionswochen in Bayern und davor auf Sylt ist die Letzte Generation zurück in Berlin, wo sie zuletzt im Juni den „Stadtstillstand“ ausrief. Hier will die Gruppe nun unbegrenzt bleiben und stören, womöglich über viele Monate. Die kleinteiligen Forderungen nach einem 9-Euro-Ticket oder einem Tempolimit, auch jene nach einem Gesellschaftsrat stellt sie nicht mehr; wäre die Bundesregierung darauf eingegangen, hätte das der Bewegung großen Auftrieb gegeben, glaubt man.
Doch die Taktik ging nicht auf; viele Politiker:innen arbeiteten sich lieber an den Aktivist:innen als an der Klimakrise ab. Also geht es jetzt ums große Ganze: das Ende der fossilen Rohstoffnutzung bis 2030. Die Letzte Generation spricht von einer „Wende“, die die neue Aktionsphase einläuten soll.
Als unverkennbares Zeichen dafür und für ihre Rückkehr ins politische Herz des Landes diente am Sonntag das Brandenburger Tor, dessen Säulen die Aktivist:innen mit Feuerlöschern orange einfärbten und damit mal wieder eine allgemeine Hysterie auslösten. Raphael Thelen, Sprecher der Letzten Generation, dagegen lächelt einfach, als er Stunden nach der Aktion zusammen mit weiteren führenden Entscheider:innen der Protestgruppe das Werk am Pariser Platz noch einmal betrachtet. Das sei eine „sinnvolle Aktion“, das Tor stehe „wie kein anderes Denkmal für einen politischen Wendepunkt“, so Thelen.
Warum sollten sie diesmal erfolgreich sein?
Die Letzte Generation hat die Aufmerksamkeit zurück. Zuletzt drang sie mit ihren Aktionen in Bayern, selbst mit der wochenlangen Präventivhaft gegen mehr als 20 ihrer Mitglieder, nur noch schwer durch.
Warum aber sollte ihr Protest diesmal erfolgreich sein? Vor dem Brandenburger Tor sagt Carla Rochel, die die Proteste mitorganisiert: „Es ist vielleicht naiv, aber ich habe immer noch Hoffnung.“ Hoffnung, dass die Menschen die Notwendigkeit für radikalen Klimaschutz erkennen. „Über den Sommer haben viele verstanden, was die Klimakrise ist“, sagt sie. Kaum ein Tag vergehe ohne neue Naturkatastrophen. Vielleicht helfe auch die neue Studie, wonach sechs von neun planetaren Grenzen der Erde bereits überschritten sind: Durch zu viel Abholzung, Süßwasserverbrauch oder der Belastung durch Chemikalien ist die Stabilität des Ökosystems gefährdet.
Im Stadtteil Prenzlauer Berg macht ein Polizist eine halbe Stunde nach Blockadebeginn eine erste Ansage und droht mit Auflösung der Versammlung. Berlins Innensenatorin Iris Spranger (SPD) und Polizeipräsidentin Barbara Slowik hatten angekündigt, Blockaden schneller zu räumen. Stattdessen läuft es gründlicher: Ein Polizist dokumentiert stehend auf einem Mannschaftswagen den Rückstau, andere laufen die Autos ab und verteilen Zeugenfragebögen.
Voraussetzung für beschleunigte Verfahren liegt nicht vor
Offensichtlich geht es vor allem um die gerichtsfeste Aufnahme von Beweismitteln. Immer wieder hatten Richter:innen bemängelt, dass es keine ausreichenden Informationen gebe, die den Tatvorwurf der Nötigung beweisen. Blamiert hatte sich Berlins Justiz während des Sommers zudem mit dem Versuch, Aktivist:innen im Schnellverfahren abzuurteilen.
Mal für Mal mussten die extra eingesetzten Richter:innen feststellen, dass die Voraussetzungen für ein beschleunigtes Verfahren nicht vorliegen, zu komplex sind die Tatvorwürfe. Kommt es schließlich zu Verurteilungen im ordentlichen Verfahren, dann fast immer nur zu Geldstrafen. 300.000 Euro, verdoppelt durch einen anonymen Spender, hat die Gruppe allein vergangene Woche eingeworben.
Während Mair noch auf der Straße klebt, fahren nach anderthalb Stunden wieder Autos an ihr vorbei. Zwei Polizist:innen brauchen etwas länger, um schließlich auch ihre Hand vom Asphalt abzulösen. Zum Wegtragen aber haben sie keine Lust, stattdessen zwingen sie Mair und davor schon ihre Mitblockierer:innen durch einen Schmerzgriff, das Verbiegen der Handgelenke, von der Straße. Gefragt nach der Notwendigkeit einer Protestpause sagt sie: „Die Klimakrise macht auch keine Pause.“
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