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Aiwangers EntschuldigungReumütig geht anders

Dominik Baur
Kommentar von Dominik Baur

Hubert Aiwanger hatte viel Zeit für eine Entschuldigung – und ließ sie verstreichen. Das Schauspiel, das er nun bietet, ist erbärmlich.

Geht in die Gegenoffensive – Hubert Aiwanger positioniert sich zu den Antisemitismus-Vorwürfen Foto: Uwe Lein/dpa

D iesen Auftritt hätte er sich sparen können – und uns ersparen. Zutiefst bereue er sein Verhalten, aufrichtig entschuldige er sich, sagt Hubert Aiwanger in einem nicht einmal zwei Minuten langen, abgelesenen Statement, für das er die Presse der Landeshauptstadt in sein Ministerium gebeten hatte.

Mit Verlaub, aber das ist peinlich und lächerlich. Und vor allem: reichlich spät. Für eine glaubwürdige Entschuldigung hätte Aiwanger zehn Tage Zeit gehabt.

Gleich nachdem die Süddeutsche Zeitung ihn mit den ersten Vorwürfen konfrontiert hat, hätte er reinen Tisch machen können, sagen, was Sache ist. Er hätte glaubhaft machen können, dass ihm seine jugendlichen Verirrungen leid tun und die Pamphlete, Hitlergrüße und Judenwitze von damals nichts, aber auch gar nichts mit seiner heutigen Einstellung zu tun haben. Hat er aber nicht. Stattdessen drohte er der Zeitung mit dem Anwalt und beklagte sich über eine vermeintliche Schmutzkampagne.

Auch nach der ersten Veröffentlichung der Vorwürfe hätte es am Wochenende noch die Gelegenheit gegeben, sich zu entschuldigen. Oder nach dem Koalitionsausschuss am Dienstag, als Aiwanger Markus Söder allein vor die Presse treten ließ. Jetzt – unter größtmöglichem Druck – mit ein paar weichgespülten Entschuldigungsfloskeln um die Ecke zu kommen, ist fast schon dreist. Zu glauben, damit durchzukommen, ist im besten Fall naiv.

Nicht nur, dass Aiwanger noch nicht mal zu wissen scheint, wofür er um Verzeihung bittet, entlarvt seine Entschuldigung als leere Worthülse. Auch dass er umgehend wieder in die Gegenoffensive übergeht, dementiert, was noch irgendwie zu dementieren ist, und erneut eine politische Kampagne gegen ihn wittern will, zeigt, wie windig und berechnend Aiwangers angebliche Reue ist.

Was bei den Vorwürfen allerdings etwas aus dem Blickfeld gerät, und was auch Aiwanger und Söder bisher nicht begriffen haben: Es geht hier nur am Rande um den 16-jährigen Hubsi am Burkhart-Gymnasium, der allem Anschein nach etwas durchgeknallt war. Oder vielleicht auch etwas mehr. Schlimm wäre es, wenn einem Jugendlichen, der Mist baut, der Weg zurück in die Gesellschaft auf Dauer versperrt bliebe.

Nein, es geht um Hubert Aiwanger, 53, stellvertretender Ministerpräsident und Wirtschaftsminister des Freistaats Bayern. Es geht um den Mann, der zuletzt immer ungenierter in sehr seichten, rechten Gewässern fischte. Und um den Politiker, der jetzt – wenn überhaupt – nur scheibchenweise mit der Wahrheit herausrückt, herumlaviert, nach dem nächsten Schlupfloch Ausschau hält und sich, was just in dieser Angelegenheit besonders geschmacklos ist, als Opfer darstellt.

Die Chance, klarzumachen, dass der Hubert von heute wirklich nichts mehr mit dem Hubsi von damals zu tun hat, hat Aiwanger allerspätestens am Donnerstagnachmittag endgültig verspielt.

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Dominik Baur
Bayernkorrespondent
Jahrgang 1971. Seit 2015 Bayernkorrespondent der taz. Davor unter anderem zehn Jahre Redakteur und Ressortleiter bei "Spiegel Online", seit 2009 frei. Mitglied des Journalistennetzwerks beschreiber.de.
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16 Kommentare

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  • Wer mit Dreck nach der Regierung wirft und die Legitimität demokratischer Institutionen anzweifelt darf sich nicht so anstellen, wie Aiwanger es jetzt tut. - mimimi.



    Seine Reaktion ist im gleichen Stil, wie seine Rede gegen das Heizungs­gesetz Mitte Juni im bayerischen Erding: Wen interessieren noch die Fakten, wenn ich dagegen Stimmung machen kann ...

  • Was ich nicht verstehe, dass Herr Aiwanger sich nicht direkt nach Bekanntwerden der ersten Vorwürfe vollumfänglich von seinen „jugendlichen Verfehlungen“ distanziert hat. Das scheibchenweise Zugeben nicht mehr abzuweisender Fakten, das Relativieren, das Ausflüchte Suchen und die erst nach 5 Tagen auf Druck der Öffentlichkeit (entgegen seiner sonstigen Gepflogenheiten nicht frei gesprochene, sondern abgelesene) Erklärung, sich für eventuelle Verfehlungen zu entschuldigen, verbunden mit vielen zumindest am rechten Ufer fischenden Aussagen als Erwachsener lassen eben Zweifel aufkommen, ob er sich wirklich von seinem Verhalten als 17jähriger distanziert.

    Eine Bemerkung unabhängig davon: Ich sehe Kommentare wie „es war doch nur ein „Dummer-Jungen-Streich“ als sehr problematisch an. Er war ein 17jähriger Gymnasiast, der im Geschichtsunterricht von der grausamen Nazizeit mit dem Holocaust wissen musste, und kein Kind mehr.

    • @FairLady:

      Und wieder kapiert die versammelte Linke den Sinn von politischen Entschuldigungen nicht.



      Warum soll sich A. oder sonst jemand entschuldigen? Doch nur wenn er selbst Anstand genug hat, eine Verfehlung einzugestehen, oder es politisch opportun ist - also seine potenziellen Wähler oder Koalitionspartner es verlangen. Nichts davon trifft hier zu.



      Es sind sonst immer Linke und grüne Politiker die meinen sich beim politischen Gegner für eigene, fremde, echte oder nur vorgeworfene Verfehlungen entschuldigen zu müssen. Kein Krawall, kein Antifa- oder Klimaretterradau, ohne dass ganze Braunkohlekraftwerksjahresproduktionen von Asche auf progressiven Häuptern verteilt werden.



      Aber warum? Steht jemand darauf außer Journalisten? Will jemand wirklich eine unglaubwürdige Aiwangerentschuldigung, die von seiner sonstigen gegenwärtigen Rhetorik und Politik Lügen gestraft wird? Weder er noch seine Anhänger wollen einen Anschauungs- oder Richtungswechsel, mit dem eine echte Entschuldigung verbunden wäre. Statt ein Klassenschläger-pseudo-Sorry! zu verlangen könnten die Progressiven endlich mal aufhören, sich für Lina und LG, Veggiday und Genderstern beim geBILDeten WELT-Publikum zu entschuldigen. Bringt nämlich nichts.

  • 3G
    31841 (Profil gelöscht)

    "Nicht nur, dass Aiwanger noch nicht mal zu wissen scheint, wofür er um Verzeihung bittet, entlarvt seine Entschuldigung als leere Worthülse."

    Die Liste der Preise bei seinem "Wettbewerb" zeugt hingegen von ziemlichem "Fachwissen" bez. der Nazimethoden. Würde das in seiner Schule so genau behandelt? Hielt er sie deswegen für "links-..."? Oder hatte er ein eigenes Interesse an einer "Vertiefung" des Themas? Die "Verwertung" spricht so oder so gegen ihn. "Bildung" kann auch schief gehen. Geschichtslehrer usw...

    Was sagt der Bundespräsident zur Verhöhnung und Beschädigung des Wettbewerbs?

  • Auf dem WELT-Forum geht die Post ab. Roundabout 95% der Kommentare zu Aiwanger gehen in die Richtung: das ist alles nur eine Kampagne der grünen Verschwörung und ihres U-Boots Söder; wer CSU wählt, wählt die grüne Klimalüge-und-Genderterror-Agenda.

    Noch unterhaltsamer: der Bericht über Maaßens Reaktion auf die Weltwoche-Pary-Fotos. Da muss die Redaktion offenbar haufenweise antisemitische Hetze löschen, weil sie die Geister, die sie rief, nicht wieder in die Flasche zurückgestopft bekommt. Zumindest in Deutschland kriegt man Rechtsaußen-Schlachtplatte halt nicht ohne ein Sträußlein Hass auf echte und vermeintliche Juden als Dekoration.

    Nur um das klarzustellen: diese Aiwanger-Fans und Shoaverharmloser verstehen sich als die "Mitte der Gesellschaft", ganz so wie die NSDAP-Nazis es taten.

    Egal wo sich Springer positioniert; Springers LeserInnenschaft steht mittlerweile solide dort, wo noch vor 20 Jahren die "junge Freiheit" stand.

    Konservative Hegemonie ohne Amtszeitbegrenzung macht Faschisten salonfähig. Das war in der BRD schon immer so, ob unter Adenauer, unter Kohl, oder unter Merkel: nach 3 Legislaturperioden kamen die Braunen wieder aus denm Löchern gekrochen und begannen, sich aufzuführen, als ob ihnen das Land gehöre.



    Das ist an sich nicht bemerkenswert. Bemerkenswert ist, dass SPD und Grüne so lange regieren konnten wie sie wollten, und es es zogen *nicht* Horden von Stalinisten prügelnd und brandschatzend durch die Straßen.

    Faschismus ist ein Epiphänomen. Sein Nährboden ist der Konservativismus, und zwar namentlich die Version, die ihre Ideologie aus religiösen[*] Märchen stützt: säkularere Konservative wie zB Altmaier und Tusk sind Leute, mit denen man demokratisch arbeiten kann.

    [*] Und quasi-religiösen, wie der "Umvolkung", der "kleinen harmlosen Grippe", der "Klimalüge" und anderen metaphysischen Dogmen, die vielen geistig Pauperisierten in der post-theodizeeischen Post-Auschwitz-Welt als Religionsersatz dienen.

    • @Ajuga:

      Die Welt gehört doch schon seit Jahren zu den Wegbereitern eines neuen deutschen Faschismus, getarnt in biederer Bürgerlichkeit. Kein Tag ohne Lügen und Hetze. Und die Bild macht das für die Einfachgestrickten.

  • 3G
    31841 (Profil gelöscht)

    "Geschmcklos"?, dass er sich als Opfer inszeniert.



    Nein, das ist zu wenig. Vollkommen inakzeptabel, hart zurückzuweisen.

    Die Geschichte gehört nicht der Person. Ohne die Gesellschaft hätte keine Person eine Geschichte.



    Die Betrachtung der Geschichte weist darauf, wer einmal wie gehandelt hat.



    Die Betrachtung der Gegenwart zeigt, was von dem, was die Geschichte zeigt, heute noch wirksam ist. Das ist nicht nur sein Problem, wir haben eines damit, dass er da nicht nur keines erkennen will, sondern die gesellschaftliche Betrachtung der Geschichte in Bezug auf seine Beteiligung nicht nur nicht hinnehmen will, sondern eine Gegenbezichtigung auffährt. Er lädt damit die rechten Geschütze, die gegen die Demokrtie in Stellung gebracht werden.



    Unnachgiebig bleiben!!!

    • 9G
      95820 (Profil gelöscht)
      @31841 (Profil gelöscht):

      "Unnachgiebig bleiben."



      Ein Flugblatt, ein Trugblatt im ranzigen Ranzen.



      Geschrieben im Wahn?



      Eins oder mehr?



      Erinnern ist schwer. So ist der Plan…



      Und war es nur eins – auf keinen Fall seins.



      Beim Deeskalieren kann er sich leicht irren.



      Schmutzkampagne, Schutzkampagne



      Opfer der Shoa, die sind so wie er



      Auch er ist ein Opfer, der Herr Aiwanger.



      Das sollen wir glauben, doch wolln wir das nicht.



      Der schämt sich für gar nichts. Ein Schlag ins Gesicht.

  • Natürlich kommt er damit durch. So wie alle anderen auch heutzutage. Da moralische Maßstäbe keine Rolle mehr spielen, zählt nur was rechtlich angreifbar ist. Wenn da nix ist, dann spielt der Rest keine Rolle und man macht weiter wie bisher und stilisiert sich selbst zum Opfer.

  • Den Aiwanger Brüdern und zwar beiden fehlt als Eigenschaft Anstand. Dem älteren, weil er zugelassen hat, daß für seine Verfehlung - wenn es denn so war - sein jüngerer Bruder 'bestraft' wurde.



    Dem jüngeren, weil er bis heute nicht erklären konnte, ob er die Hetzschriften verteilen oder einsammlen wollte.

  • “Zu glauben, damit durchzukommen, ist im besten Fall naiv” – Das, glaub und fürcht ich, ist leider gar nicht naiv. Die Welt ist längst wieder in einer Epoche angekommen, wo Nazigrölerei salonfähig und stimmenbringend geworden ist, und es auch schon in höchste Regierungsämter (wie bei uns in Brasilien) schafft.

  • Wo kann man e'lich die Verfehlungen des Herrn Aiwanger einsehen oder selbst in Augenschein nehmen ?

    Außer den genannten Behauptungen konnte ich da jetzt nichts finden.

    Vllt geht das ja im Mainstream der Kritik schlicht unter aber ich würde mir ganz gerne ein eigenes Bild machen ...

    • 3G
      31841 (Profil gelöscht)
      @Bolzkopf:

      Die Hetzschrift kursiert im Netz.

  • Ja, so sehe ich das auch. Jugendsünde und -verwirrung aufrichtig als solche anerkennen und maximal transparent davon distanzieren, wäre der einzige Weg gewesen. Im Idealfall proaktiv vor Jahren.



    Dann hätte die Gesellschaft auch zeigen können, was sie von geläuterten Aussteigern hält und welchen Umgang mit ihnen sie anbietet.

  • Das Traurige: Aiwanger gibt einmal mehr dem Rechtspopulisten-Affen Zucker. Er unterscheidet sich höchstens noch in der pausbackigen Uffta-Uffta-Blaskapellen-Folklore von der AfD. So richtig große Unterscheide zu den blau-braunen Rechtsextremen sieht man nicht mehr. Linskversiffter Mainstream, Lügenpresse, die große Verschwörung gegen das Unschuldslamm Hubsi, passt doch mal wieder alles. Und natürlich stört einmal mehr die noch nicht gleichgeschaltete Presse ungemein. Das alles haut bei einem Großteil der eigenen Anhänger genau in die richtige Kerbe, Demut war noch nie eine große Stärke des Aiwanger-Hubert, das bleibt auch so.

  • Ein treffender Kommentar, denn Aiwanger hat nicht eine seiner Taten als Jugendlicher konkret beschrieben und konkret bedauert. Aiwanger erinnert sich ja nicht.



    Die Mehrheit der Land-Bevölkerung in Bayern würde Aiwanger laut Umfrage Gnade gewehren.



    Söder muß sich also entscheiden, regiert er in Zukunft ohne die Freien Wähler (die Aiwanger unterstützen) und stattdessen mit Grünen oder SPD, FDP. Will Söder weiterhin Bundeskanzler werden, kann er sich einen Fehlkalkulation aus reinem bequemen Machtkalkühl nicht erlauben.