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1.-Mai-Protest im Berliner GrunewaldSatirisch verpackte Ansagen

Bei der Demo durchs Villenviertel bindet das Bündnis erstmals Klimagerechtigkeits­bewegungen ein. Die Polizei ist mit einem Großaufgebot vor Ort.

Nur Geld im schwarzen Koffer – da kann die Polizei drüber wegsehen Foto: Florian Boillot

Berlin taz | Die Umverteilung von Reichtum ist keine leichte Aufgabe. Die Or­ga­ni­sa­to­r:in­nen der diesjährigen Grunewald-Demo haben dafür extra einen auf einem Anhänger montierten Schaufelradbagger in das Villenviertel gebracht. „Lasst uns die Oberschicht im großen Stil abbaggern!“, kündigt der in einem pinken Overall gekleidete Dadaist Pastor Leumund auf der Auftaktkundgebung auf dem Johannaplatz am Montagmittag an.

Die zum fünften Mal stattfindende Grunewald-Demo hat sich für dieses Jahr neu aufgestellt: Aus dem Quartiersmanagement MyGruni ist dieses Jahr RWE geworden – Reichtum Wird Enteignet. Und aus einem satirisch verpackten Hilfsangebot an die gesellschaftlich isolierten Reichen ist eine satirisch verpackte Ansage geworden, die zugleich auf die Verantwortung der Wohlhabenden für die Klimakrise hinweist.

Die rhetorische Volte zieht: Die Beteiligung ist deutlich höher als in den Vorjahren. Schon vor Beginn der Demo ist der Platz fast komplett gefüllt, die Ver­an­stal­te­r:in­nen sprechen wenig später von 7.000 Teilnehmer:innen, die mit Techno-Bässen, Sekt und glitzernden Outfits durch das Villenviertel ziehen. An der Zubringer-Fahrraddemo, die um 11 Uhr vom Brandenburger Tor startete und über den Kurfürstendamm in den Grunewald führte, nahmen mehr als 1.000 Menschen teil.

Privatjets und Yachten im Visier

Die riesigen Villen und Pools müssten auch beheizt werden, sagt ein Redner während der Auftaktkundgebung, der sich als „Andi Schippe“ vorstellt. Mit ihren Privatjets, Luxusyachten und Sportwägen würde das reichste 1 Prozent der Weltbevölkerung so viel CO2 ausstoßen wie die ärmste Hälfte. „Wir können uns die Reichen nicht mehr leisten“, ruft Schippe.

Mit ihrer Forderung „Reichtum abbaggern“ bewerben die Or­ga­ni­sa­to­r:in­nen aus dem Umfeld der „Hedonistischen Internationale“ Umverteilung als Lösung für die Klimakrise. „Wärmepumpen zu finanzieren ist kein Problem, wenn man die Kohle der Reichen abbaggert“, sagt Schippe, der wie viele andere in einem Blaumann und Bergarbeiterhelm gekleidet ist.

Das Motto ist dabei nicht nur ein Titel auf Papier, sondern zieht sich ganz praktisch durch die Demo. Die Or­ga­ni­sa­to­r:in­nen der Hedonistischen Internationale haben neben einem Bagger, den sie nach dem Vergesellschaftungsparagrafen „Umverteiler 129a“ nennen, weiteres Bergbaugerät und in Blaumänner gekleidete Ar­bei­te­r:in­nen mit Spaten und Spitzhacken mitgebracht. Auch das Umverteilungsbündnis „Wer hat, der gibt“ ist mit einem selbst gebauten goldenen, auf ein Lastenrad montierten Bagger unterwegs.

Pastor Leumund erzählt zur Weihung des Baggers, wie ihn Po­li­zis­t:in­nen bei der Vorkontrolle fragten: „Wollen Sie zur Spaßdemo?“ Er fragt das Publikum: „Sind wir zum Spaß hier?“ Die Reaktionen sind uneinheitlich: „Ja“ und „Nein“ schallt es ihm entgegen, womit der Charakter der Demo umfassend geklärt ist.

Nachdem Pyrorauch den Johannaplatz einnebelt, singen die De­mons­tran­t:in­nen das Lied der Autonomen Bergarbeiter:innen: „Glück auf! Kohle raus!“ im Anschluss setzt sich der Zug in Bewegung.

Dem Grunewald die Kohle abgraben – das war das Ziel des Protests Foto: dpa

Während die meisten An­woh­ne­r:in­nen die Demo aus ihren Villen skeptisch beäugen, sorgt eine Gruppe chic gekleideter vermeintlicher Ge­gen­de­mons­tran­t:in­nen für Stimmung. Immer wieder unterbrechen sie die Veranstaltung und rufen: „Gruni bleibt“ oder „Wir trinken Schampus, ihr trinkt Bier. Unsere Kohle, die bleibt hier.“

Polizei macht Jagd auf Sticker

Die Polizei begleitet die Demo mit einem Großaufgebot und positioniert sich schützend vor den Hauseingängen, obwohl der Demo-Charakter eher spaßbetont als aggressiv ist und es in den vergangen Jahren kaum zu Zwischenfällen gekommen ist. Im Vorfeld der Demo sorgte die Ankündigung der Polizei, Vorkontrollen durchführen zu wollen, um dabei Sticker zu beschlagnahmen, bei den Ver­an­stal­te­r:in­nen für Unmut.

Mehr als in den Vorjahren sind Klimagerechtigkeitsgruppen eingebunden, von Debt for Climate über Extinction Rebellion und der Letzten Generation bis zu Initiativen gegen die A100 oder für das Tempelhofer Feld.

„Die Bewegungen müssen sich zusammenschließen“, fordert der Klimaaktivist Tadzio Müller in einem Redebeitrag. Angesichts der Schwarz-Rot-Koalition sei gesellschaftlicher Fortschritt in Berlin von der Politik nicht mehr erwartbar. Mieten-, Umverteilungs, Verkehrswende- und Migrationsbewegung müssten nun zusammenstehen, um Projekte wie den Weiterbau der A100 oder die Randbebauung des Tempelhofer Felds zu verhindern. Traditionstermine wie der 1. Mai seien als Auftakt zu verstehen, für das, was die Bewegungen im Rest des Jahres leisten müssen.

Mit einem Verkehrswendeblock ist auch der 9-Euro-Fonds auf der Demo vertreten – das Motto: „Grunewalder Porsches zu Straßenbahnen einschmelzen“. Die Initiative, die eine Versicherung für Menschen ohne Ticket ist, will am Tag, an dem auch das bundesweite Deutschland-Ticket startet, darauf hinweisen, dass „das Geld für den sozialökologischen Umbau der Mobilität schon längst da ist“, wie Sprecher Leo Maurer der taz sagt.

„Volker Wissing möchte sein schlechtes Image aufpolieren und sich als Verkehrswendeminister darstellen“, so Maurer. Er kritisiert, dass „das Ticket durch das Fehlen eines bundesweiten Sozialtarifs arme Menschen ausschließt“, und bezweifelt zudem dessen Klimawirkung“, weil bei dem Preis kaum jemand vom Auto auf den ÖPNV umsteigt“.

Aktionstag des 9-Euro-Fonds

Der im September vergangenen Jahres nach Auslaufen des 9-Euro-Tickets gestartete 9-Euro-Fonds, der inzwischen unter Obhut der Satire-Partei Die Partei läuft, begeht den 1. Mai daher als Aktionstag. In ganz Berlin habe man Plakate mit der Kritik am Deutschland-Ticket geklebt, dazu einen Spot im U-Bahn-Fernsehen geschaltet, so Maurer. Mehr als 9.000 Menschen hätten sich bislang über die Initiative gegen das Schwarzfahren versichert; 1.600 erhöhte Beförderungsentgelte seien übernommen worden.

Knapp zwei Stunden nach ihrem Start trifft die Demospitze nach einer Rundtour durch das Villenviertel ohne weitere Zwischenfälle wieder auf dem Johannaplatz ein. Kohle zum Abbaggern wird es auch noch nach diesem Tag im Villenviertel geben. Für viele De­mo­teil­neh­me­r:in­nen geht es an diesem Tag erst mal weiter nach Neukölln – zur revolutionären Abenddemo.

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6 Kommentare

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  • 6G
    658767 (Profil gelöscht)

    Beobachtung: man hatte den Eindruck dass die reichen Bewohner des Viertels wie auch die Polizei inzwischen diverser aufgestellt sind als die doch sehr biodeutsch aufgestellten Demonstranten....Gedankenspiel: bei allem ungerechtfertigte Reichtum, wo stünde die Republik, wenn die Teilnehmerinnen der Demo die Jobs der Grunewald übernehmen würden. Wäre dann noch genug Geld für die Bezahlung der sicher zu zahlreichen Polizei da:)))

    • @658767 (Profil gelöscht):

      Ich verstehe den Witz an Ihrem Kommentar nicht. Und welche Jobs sollten sie überhaupt übernehmen? Immobilienmakler? Unternehmenserbe?



      Da stünde die Republik eventuell etwas besser dar, würde das mal jemand anderes übernehmen.



      Ansonsten sind Sie scheinbar der Meinung, dass Diversität etwas grundsätzlich besser macht. Auch abgehobenen Reichtum und Egoismus. Und die Anwesenheit einer Mehrheit "Biodeutscher" (fraglich, wie gut das zu beobachten ist) diskreditiert eine Veranstaltung grundsätzlich.

  • War nice. Sind zu einer Konfirmation von Stuttgart aus nach Berlin geflogen, und konnten unseren jüngeren Kindern auch im Vorort, das verrückte Berlin zeigen. Waren ganz begeistert. Der sonst geschmähte Veggie-Grill war gleich gut besucht. Würstchen waren aber nicht mehr zu bekommen.

  • Reiche haben Langeweile



    haben Stress und haben Eile



    könn' wohl deshalb nachts nicht pennen



    fahrn mit Ferraris und Cayennen



    vor meiner Haustür Autorennen

    doch latsch ich mal am 1. Mai



    zu Fuß an ihrem Haus vorbei



    stehn an jeder Villa am Tor



    fünfsechs Starwarskämpfer davor

  • Vielen Dank und Glückwunsch für diese gelungene kreative Aktion.

    Hoffentlich finden sich regelmäßig Aktionen auch in anderen Städten in den Armenviertel der Nächstenliebe, damit deren Bewohner endlich aufwachen und ihre Verantwortung für den aktuellen Zustand endlich begreifen.



    Zumindest beschämt die Vorhänge und Rollos schließen.

  • Die armen Reichen.