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Autor über seine Kritik der Bedürfnisse„Konsum ist eine Kompensation“

Wie würde eine Gesellschaft mit menschenfreundlichem Arbeitsleben aussehen? Thomas Ebermann trägt in Hamburg seine „Kritik der Bedürfnisse“ vor.

Für Ebermann „Rituale der Zerstreuung“: das ewige Einkaufen, hier in der Hamburger Innenstadt Foto: dpa | Daniel Bockwoldt
Interview von Nina Nevermann

taz: Herr Ebermann, was gibt es an unseren Bedürfnissen zu kritisieren?

Thomas Ebermann: Wirklich alles! In unseren Bedürfnissen spiegelt sich die ganze Gesellschaft wider. Das Furchtbare ist, dass unter den Bedingungen des Kapitalismus eine fast unauflösbare Verschränkung von falschen und legitimen Bedürfnissen existiert. Das hängt damit zusammen, dass dieses System sowohl mein Leben rettet, als auch meinen Tod kalkuliert.

Können wir denn beeinflussen, was wir wollen, was unsere Bedürfnisse sind?

Ja, schließlich können wir reflektieren. Sonst müsste ich der reaktionären Strömung der Gehirnforschung ja Recht geben, dass alles vorherbestimmt ist.

Unsere Bedürfnisse sind nicht natürlich?

Sie sind weder fix, noch dem Menschen innewohnend. Das ist eine Grundannahme. Sie sind geschichtlich gemacht und würden sich mit einer anderen Form der Gesellschaft ändern. Wenn wir uns eine Gesellschaft ohne Privateigentum vorstellen, dann würden in dieser bestimmte Besitzbedürfnisse verschwinden. Vielleicht gäbe es dann auch so etwas wie Eifersucht nicht mehr, die letztlich nur eine Sehnsucht nach Besitz ausdrückt. Eine Gesellschaft, die nicht der Produktivität verpflichtet ist, die nicht als Erstes immer nach Nützlichkeit und Leistung fragt, würde das Arbeitsleben selber umgestalten, es menschenfreundlich machen.

Bild: RLS
Im Interview: Thomas Ebermann

71, ist Publizist, Kritiker und Satiriker. Zuletzt erschien von ihm 2021 der Essay „Störung im Betriebsablauf. System­irrelevante Betrachtungen zur Pandemie“ (KVV konkret texte, 136 S., 19,50 Euro).

Warum messen Sie dem Arbeitsleben so viel Bedeutung bei?

Nehmen wir was Krasses: Leute, die viele Jahre durch die Art ihres Arbeitens gedemütigt werden, als Frau an der Supermarktkasse, als Wanderarbeiter beim Spargelstechen, als Pflegekraft mit überlangen Arbeitstagen – ihnen abzuverlangen, sie sollten doch einmal Proust lesen, um ganz ruhig über viele hundert Seiten das Schöne an literarischen Möglichkeiten zu spüren. Diese Menschen würde man verspotten.

Inwiefern?

Ihr materielles Sein zwingt sie in Rituale der Zerstreuung und in Rituale der Entschädigung durch Konsum. Um es ganz drastisch und verkürzt zu sagen – es zwingt sie nach Feierabend auf das Sofa vor den Fernseher. Wenn wir also über andere Bedürfnisse sprechen, zum Beispiel über so etwas wirklich Schönes und Kompliziertes wie Naturgenuss, dann bedarf es eines anderen Arbeitslebens und einer anderen Art des Produzierens, damit Menschen überhaupt dazu befähigt sind.

Kann Konsum Menschen glücklich machen?

In der jetzigen Gesellschaftsform ist der Konsum eine Kompensation. Doch meistens kommt man dabei sowieso nicht auf seine Kosten, da bleibt immer dieser schale Nachgeschmack. Ich möchte die konsumtiven Bedürfnisse als etwas kritisieren, das nicht zum Glück beiträgt, sondern schal schmeckt.

Plädieren Sie für Verzicht?

Ich plädiere für lustvollen Verzicht – das ist das Gegenteil von Verzicht. Lustvoller Verzicht ist intellektuell basierend auf einer den Menschen nicht demütigenden Arbeitswelt oder Produktionsweise. Brauchen wir den vielen Schrott, der produziert wird? Versicherungswirtschaft – weg, die brauchen nicht mehr arbeiten! Militär – weg, das muss nicht mehr arbeiten. Konsumgüterindus­trie – da machen wir eine Einzelfallprüfung. Lustvoller Verzicht ist für mich beinahe ein ähnliches Wort wie Luxus.

Der Vortrag

Vortrag und Diskussion „Kritik der Bedürfnisse“ mit Thomas Ebermann: heute, 19 Uhr, Hamburg, Rote Flora

Wie steht es aktuell darum?

Es gibt Zeiten, in denen der Ekel vor dem Bestehenden ausgeprägter ist. Und es gibt Zeiten, wo dieser Ekel vor der Brutalität der Gesellschaft, vor der Tyrannei der Mehrheit sehr schwach ist. Im Moment leben wir in Zeiten, in denen er schwach ist. Ich habe jedoch Zeiten erlebt, in denen er zwar auch die Minderheit betraf, aber verbreiteter war als heute. So ein Vortrag, wie ich ihn nun halte, hat immer auch die etwas lächerliche Ambition, den Kreis jener zu vergrößern, die sich vor der Gesellschaft ekeln und sich ihr verweigern.

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9 Kommentare

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  • Was für ein Quatsch. Auch in einer Gesellschaft ohne Privateigentum hätten wir Besitz (Kleidung, Wohnung, usw.). Lediglich die Frage über die Verteilung des Besitzes müsste neu geklärt werden und es wird immer Menschen geben, die schöner Wohnen als andere. Damit wird es dann auch immer Eifersucht und Verteilungskämpfe geben.

  • 9G
    90118 (Profil gelöscht)

    Der Kompensation wird viel Aufwand zuteil.

    Von der Pauschalreise bis zur Postschiffkreuzfahrt, vom Mittelklasse-PKW bis zum High End SUV - jeder kompensiert seine Unfreiheit im Alltag entsprechend seinen Möglichkeiten.

    Nur wer nicht konsumiert gehört sich selbst, der Luxus für nicht materiell Reiche.

  • Der Mann hat vollkommen Recht. Leute, die sich mit Konsum regelmäßig belohnen, werden allerdings Schwierigkeiten haben beim Verständnis. Leuten, die diesen lustvollen Verzicht praktizieren, leuchtet der Beitrag absolut ein. Lustig, die spontane Abwehr hier in den Kommentaren ... sagt leider viel aus. Denn in der Tat ist Verzicht die Lösung - zumindest in hiesigen Breiten.

    • @Zebulon:

      "Denn in der Tat ist Verzicht die Lösung - zumindest in hiesigen Breiten."



      Jein.



      Der Mann spricht von "lustvollem Verzicht", das ist schon wichtig. Und er betont mehrfach, dass die Art wie wir heute arbeiten, die Ursache des Problems ist.



      Wir müssen wohl auch darauf verzichten, Leute zur Arbeit zu zwingen.

  • Ach, Ebermann. Während der Zeiten der Corona-Maßnahmen, die ihm nicht weit genug gingen, hat er sich gegen die Aufrechterhaltung des kapitalistischen Betriebs ausgesprochen, aber selber weiter publiziert, z. B. den unter seinem Foto im Interview genannten Essay verfasst, also seine eigene Arbeit schlicht fortgesetzt (wogegen ich nichts habe, aber dann hätte er nicht verlangen sollen, dass Leute, die in andere Branchen tätig sind, die Arbeit einstellen, von der sie leben). Und die gedruckten Exemplare seines 136-Seiten-Essays, die man beim Verlag bestellen konnte, sind industriell produziert worden, und zwar mit Sicherheit nicht im Home-Office.

  • Hoffentlich spendet Herr Ebermann sein Einkommen an Bedürftige. In dem Fall bräuchte er sich nicht mehr vor seinem eigenen Konsum ekeln.

  • Lebt der Mensch in seiner ökologischen Nische - nein ?



    Dann ist er ein lebendes Fossil.

  • Ach du liebe Güte! Und für solche Veröffentlichungen und Schriften nimmt er Geld für das andere an der Kasse oder in der Pflege arbeiten müssen?