Debütroman von PeterLicht: An der Zitze des Kapitalismus

PeterLicht hat als Songwriter das Ende des Kapitalismus herbeigesehnt. In „Ja okay, aber“ beschreibt er die Absurditäten des postdigitalen Zeitalters.

Glasfront eines Bürogebäudes

Existenzielle Leere im Co-Working-Space Foto: dpa/Michael Kappeler

Hätte man sich ein Setting für einen PeterLicht-Roman ausmalen können, es wäre vielleicht so ähnlich ausgefallen, wie man es nun vorfindet. Der Schauplatz ist ein Co-Working-Space in einer namenlosen Stadt, unter anderem arbeiten dort: die Allroundkünstlerin, die irgendetwas mit Sexualität macht, der Armutsforscher, ein emeritierter Professor, der sich mit seinem Institut überworfen hat, sowie ein Fotograf, der von seiner Kunst nicht leben kann.

Dann sind da noch „der, von dem man nicht weiß, was er tut“, der Programmierer und ein paar Callcenter-Agenten. Und der Ich-Erzähler. Von dem erfährt man erst mal nicht so viel, außer dass er „vorankommen“ will. Um dieses Vorankommen wird es in dem Roman „Ja okay, aber“ gehen.

Bekannt geworden ist PeterLicht als Songwriter („Sonnendeck“), seine Musik und seine obskuren Textwelten darf man als einzigartig im deutschen Pop bezeichnen. In seinen Stücken geht es oft um die Vermessung spätkapitalistischer Lebensräume, so komponierte er etwa „Das Lied vom Ende des Kapitalismus“ (2006) und den Song „Begrabt mein iPhone an der Biegung des Flusses“ (2011). Da der Autor auch ein Brand ist, schreibt sich sein Künstlername ohne Trennung „PeterLicht“.

Als solcher hat er auch schon einige Bücher veröffentlicht. Für seinen Text „Die Geschichte meiner Einschätzung am Anfang des dritten Jahrtausends“ gewann er 2007 beim Bachmannpreis den Publikumspreis und den 3Sat-Preis. „Ja okay, aber“ ist sein erster Roman.

Durch Kaffee den Kapitalismus aufrechterhalten

Der Kapitalismus bleibt sein Lebensthema: „Wir alle saugen an der Zitze des Kapitalismus. Manchmal kommt etwas heraus. Davon leben wir“, heißt es gleich auf der ersten Seite.

Der Co-Working-Space steht natürlich pars pro toto für prekär bezahlte und entfremdete Arbeit, die Kaffeemaschine auf der Büro­etage wird zu dem Ort, wo man sich trifft; der Kaffee wird zu der Substanz, durch die der Kapitalismus aufrechterhalten werden kann. Von der Anlage hätte also eine allzu durchschaubare Satire daraus werden können, nicht aber bei PeterLicht.

PeterLicht: „Ja okay, aber“. Tropen Verlag, Stuttgart 2021. 240 Seiten, 20 Euro

Im taztalk spricht er über seinen neuen Roman.

Nicht ohne Grund findet man in einer Textpassage eine Anspielung auf Samuel Beckett (der Programmierer „hat einen sehr schmalen Kopf mit büschelhaften Haaren und sieht aus wie derjenige, der Warten auf Godot geschrieben hat“), denn die Romanhandlung hat auch etwas vom absurden Thea­ter.

Auch der Surrealismus ist ein wichtiger Einfluss für den Autor; es gibt Traumpassagen, und die Handlung nimmt verrückte Wendungen – vor allem gegen Ende, als eine Party auf der Büroetage stattfindet, laufen die Dinge ziemlich aus dem Ruder.

Öffentliche Toiletten als „antiintuitive soziale Skulpturen“

PeterLicht liebt dabei die Abschweifung und Meditationen über das tägliche Leben, er sinniert schon mal mehrere Absätze über öffentliche Toiletten als „antiintuitive soziale Skulpturen“, über die Riemchen von Flip-Flops. Diese Hirndriften muss man mögen – mich hat es stellenweise zu sehr aus der Handlung rausgezogen. Allerdings ist das auch sein Stil, ein unverkennbarer PeterLicht-Sound; Fans werden das sicher goutieren.

Andererseits ist zu jedem Zeitpunkt klar, dass PeterLicht mit all den schrägen Figuren und teils sinnfreien Dialogen ernsthafte Dinge verhandelt, dass es ihm um eine Beschreibung instabiler Lebens- und Arbeitsverhältnisse und um Kritik am Neoliberalismus geht, um es mal plakativ zu sagen. Der Fotograf etwa wird als hochtalentierter Künstler vorgestellt, sein Geld aber verdient er mit Aufträgen eines Mediums, das an die Bild-Zeitung gemahnt: „Der Fotograf ist ein Zauberer.

In seinen Bildern ist es unendlich fein. Ein Schimmer durchfließt sie. Leider ist die Bezahlung für solcherart Schimmerbilder ebenfalls unendlich fein. (…) Als die Kinder des Fotografen auf die Welt kamen, heuerte er deshalb bei einem Medienunternehmen an, das nachweisbar bezahlt. Es ist nur so, dass das Medienunternehmen mitunter die Leute, über die es berichtet, auf Dornen aufspießt, wie Vögel es manchmal tun, wenn sie ihre Beute auf die Stacheln der Stacheldrahtzäune stecken.“

Der Ich-Erzähler dagegen ist sich dessen bewusst, dass er ein wandelnder Widerspruch ist und im Kapitalismus auch nur ein wandelnder Widerspruch sein kann: „Sie nennen es Leistung. Sie wollen alles von mir. Okay, das kann ich sagen, ich gebe es ihnen nicht. Ich würde hohl sein, wenn ich ihnen alles geben würde, und ich will keine Röhre sein. Aber natürlich gebe ich es ihnen.“

Man könnte natürlich sagen, auch in „Ja okay, aber“ warten wieder einfach alle auf das Ende des Kapitalismus (so wie PeterLicht schon vor 15 Jahren), aber es will einfach nicht kommen. Nur damit aber würde man dem Buch nicht gerecht, denn so wie hier existenzielle Leere, das Leben im postdigitalen Zeitalter und das Verharren in sinnfreien Arbeitswelten beschrieben werden, findet man das in der deutschsprachigen Literatur eben nur bei diesem Autor. Also kaufen Sie das neue Produkt von PeterLicht, bevor es zu spät ist!

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