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Gedenkveranstaltung für André GorzRaus aus dem Eitelkeitstheater

Das Frankfurter Institut für Sozialforschung erinnerte an den Philosophen André Gorz. Gorz gilt als Pionier der sozialökologischen Ökonomie.

André Gorz 1990 Foto: Bridgeman Images

In Frankfurt gelten Karl Marx und André Gorz noch nicht als sprichwörtlich tote Hunde. Aus Anlass des 100. Geburtstags von Gorz am 9. Februar fand im Frankfurter Institut für Sozialforschung eine Gedenkveranstaltung statt, an der Claus Leggewie, Ronald Blaschke und Mascha Schädlich teilnahmen.

Leggewie eröffnete den Abend mit einem klugen Abriss von Leben und Werk des Philosophen und Intellektuellen Gorz, der in eine jüdische Unternehmerfamilie in Wien hineingeboren wurde, eigentlich Gerhard Hirsch hieß, sich aber Gérard Gorz nannte, um dem grassierenden Antisemitismus in Österreich zu entkommen.

Der Vater schickte seinen Sohn 1939 in die Schweiz zur Ausbildung. Nach dem Abitur studierte Gorz in Lausanne Chemie. Er hatte gerade sein Diplom gemacht, als er 1946 einen Vortrag von Jean-Paul Sartre hörte, der sein Leben fortan prägte wie sonst nur die Schauspielerin Doreen (französisch Dorine) Keir. Dorine Keir und Gorz heirateten 1947, lebten zusammen und gingen 60 Jahre später – nachdem Gorz seine kranke Frau jahrelang gepflegt hatte – in den gemeinsamen Freitod.

Gorz war 1951 Mitarbeiter beim Express und 1964 Mitbegründer und Mitarbeiter (bis 1984) des Nouvel Observateur, wo er unter dem Pseudonym Michel Bosquet 1977 grundlegende Essays veröffentlichte, die unter dem Titel „Ökologie und Freiheit“ als Buch herauskamen. Mit „Écologie et politique“ (1978) legte Gorz schon Ende der 70er Jahre ein Pionierwerk der sozialökologischen Ökonomie vor, das in Debatten bis heute einen wichtige Rolle spielt. Obendrein gehörte Gorz zum Redaktionskomitee von Sartres Zeitschrift Les Temps Modernes.

Kritik an Marx und Marxismus, blieb dem aber treu

Er erlebte seine politische Sozialisation in linken Pariser Intellektuellenkreisen, zu denen er jedoch immer Distanz wahrte. Das gilt insbesondere für sein Verhältnis zu Jean-Paul Sartre, dem er nicht in die politische Sackgasse der zeitweiligen Sympathie und gar Begeisterung für den autoritären Sowjetkommunismus folgte. Dieselbe Distanz hielt er zum studentischen Bistro-Maoismus in den späten 60er und frühen 70er Jahren.

In zahlreichen Büchern und Aufsätzen kritisierte Gorz Marx und den Marxismus, blieb jedoch der nicht leninistisch kontaminierten Marx’schen Theorie treu. Mit dem Buchtitel von 1980: „Adieu au prolétariat“ („Abschied vom Proletariat“ und dem Untertitel „Au delà du socialisme“ („Jenseits des Sozialismus“) setzte sich Gorz dem Missverständnis aus, er distanziere sich mit der Schrift pauschal von der Linken. Dem Missverständnis verfiel auch der Berichterstatter zunächst, was ihm eine Einladung Gorz’ zu sich nach Vosnon eintrug, um das Missverständnis auszuräumen.

Vosnon ist ein kleines Nest in der Champagne, wohin sich Gorz und seine Frau aus dem Pariser Intellektuellen-Eitelkeitstheater zurückgezogen hatten, um ein geruhsames und von sozialen Zwängen und Moden unabhängiges Leben zu führen. Für Gorz war das kein Rückzug aus der Gesellschaft in die Isolation, sondern ein Weg zu Selbstbestimmung und Freiheit, die das Gravitationszentrum seines Denkens, Schreibens und Lebens bildeten.

Kritik am kapitalistischen Wachstum

In seiner ökologisch fundierten Kritik an kapitalistischem Wachstum und Produktivismus blieb der Marx’sche Gedanke zentral, dass Freiheit nicht in unbeschränktem Konsum, sondern nur in frei „verfügbarer und selbstbestimmter Zeit“ liege, denn „disposable time ist der wirkliche Reichtum“, der sich jenseits des Diktats der Kapital- und Fabriklogik realisiere. Wenn Gorz’ Denken eine plakative Etikette verdient, dann die des Denkens und Handels in radikal gedachter Freiheit und Selbstbestimmung.

Wie wollen wir leben? und „Was ist ein gutes Leben?“, sind die Grundfragen von Gorz

Zwei weitere Einführungsstatements lieferte Ronald Blaschke als einer der Veteranen der Debatte über das bedingungslose Grundeinkommen, für das sich auch Gorz sehr früh schon engagierte. Blaschke legte dar, wie intensiv sich Gorz mit der Philosophie Hannah Arendts beschäftigte und in deren Begriff des politischen Handelns einen Vorgriff sah zur Überwindung sozialer Beziehungen als bloße Geldverhältnisse.

Mascha Schädlich vom Konzeptwerk Neue Ökonomie – das sich unter anderem mit Gorz’ Grundfragen auseinandersetzte: „Wie wollen wir leben?“ und „Was ist ein gutes Leben?“ – skizzierte die Grundzüge der gedruckt vorliegenden Publikation des Autorenteams des Konzeptwerks zum Thema „Zukunft für alle. Eine Vision für 2048“.

In ihr werden in 13 Kapiteln alle für Leben, Arbeit und Zusammenleben in Demokratie und Rechtsstaat relevanten Bereiche behandelt. Insgesamt war es eine würdige Veranstaltung, um eines wichtigen Vordenkers der längst überfälligen sozialökologischen Transformation zu gedenken.

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3 Kommentare

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  • Danke. Fein auffrischend zu lesen & in der Februarsonne heute wieder nicht umsonst gelebt.

  • Wenn Marxist Gorz ein Buch betitelte „Adieu au prolétariat“, dann steht in seiner Nachfolge gewiss auch Guy Standing, wie Gorz und Blaschke auch ein Verfechter Bedingungslosen Grundeinkommens. Standing erkannte, dass das heutige "Prekariat" eine "gefährliche Klasse" sein kann, und dass es mehr vom Leben hat, wenn es sich organisiert. Und aus Marx'scher Sicht hat er damit Recht, denn die prekären Verhältnisse, in denen die PrekarierInnen leben, hat ja auch was mit Ausbeutung zu tun!

    "Proletarier, vereinigt euch", das war ein weltweiter Aufruf, Prekarier aller Regionen, organisiert euch, das ist ein pragmatischerer Ansatz, denn die Vereinigung aller von Ausbeutung betroffener zur "prekarisierten Internationale" ist bei einer Achtplusmilliardenweltbevölkerung schlicht unmöglich.

    Empirisch sozialexperimentell ermittelte Guy Standing im indischen Grundeinkommensgroßversuch auch, dass das Prekariat auch dann besser lebt, wenn es sich organisiert, selbst und auch gerade dann, wenn es bedingungslos einen Grundeinkommensbaustein pro Kopf bezahlt bekommt. Denn der Geldbetrag allein bringt garnicht soviel zum besseren Leben.

    Und da passt auch der Artikel-Titel „Raus aus dem Eitelkeitstheater“: Die Eitelkeit der BIEN-Miglieder, alle ein zu hohes Grundeinkommen zu verfechten, steht dem Projekt im Weg. Denn eines ist gewiss: mit "Sondervermögen" lässt sich bedingungsloses Grundeinkommen nicht finanzieren und darf auch die Staatshaushalte nicht überstrapazieren. IMHO ist eine Staatsquote über 50% einfach nicht drin. Aber nur aus Staatsquote kann BGE nachhaltig finanziert werden, also aus Einnahmen-Steuern-Kreislauf, und dahin kommt man durch eine stärker von oben nach unten umfairteilende Einnahmen-Besteuerung von natürlichen und juristischen Personen.

    Im Experiment gab es de facto kein Volleinkommen als Grundeinkommen, sondern einen gerade noch respektablen Grundeinkommensgrundbaustein. Dieser reichte zur Verbesserung der Lebensverhältnisse und der soziokulturellen Teilhabe!

    • @Uwe Kulick:

      "Die Eitelkeit der BIEN-Miglieder, alle ein zu hohes Grundeinkommen zu verfechten, steht dem Projekt im Weg."

      Naja, die BIEN-Defintion des Grundeinkommens lässt die Höhe offen. Es sind eher die deutschen BGE-Leute, die ein hohes Grundeinkommen fordern, ohne freilich konkret zu werden.

      Ich denke allerdings, dass es richtig ist, ein BGE in existenz- und teilhabesichernder Höhe zu fordern. Es muss allerdings auch noch einige andere Kriterien erfüllen, siehe: bge-rheinmain.org/...en-grundeinkommens