Neubauer über Klima-Volksentscheid: „Wir kämpfen weiter bergauf“
Aktivistin Luisa Neubauer kritisiert, dass der Volksentscheid von der Berlin-Wahl getrennt wurde. Trotz verfehltem Quorum sei die Mehrheit ein Erfolg.
taz: Frau Neubauer, wir erwischen Sie noch auf der Wahlparty, wo die Stimmung etwas ernüchtert ist. Wenn der Klima-Volksentscheid geklappt hätte, wäre das einer der größten Erfolge der Klimabewegung geworden. Ist es nun ein riesiger Misserfolg?
Luisa Neubauer: Es heißt ja nicht umsonst Klimakampf. Wir sind es gewohnt, bergauf zu kämpfen. Die Kunst besteht nicht bloß darin, einen Sieg nach dem anderen zu organisieren, sondern die Widerstandsfähigkeit an so einem Tag zu erhalten und sich darauf zu besinnen, was wir hier geschafft haben. Und wenn ich mir hier Wahlabend hier so angucke, wird weiter bergauf gekämpft.
26, ist Mitiniatorin von Fridays for Future Deutschland und setzt sich als Aktivistin für die Einhaltung des Pariser Klimaschutzabkommens ein. Sie ist Mitglied bei den Grünen und diversen NGOs.
Sie sagten vor dem Entscheid, vom Volksentscheid könnte ein klimapolitisches Signal um die Welt gehen. Welches Signal sendet Berlin jetzt in die Welt?
Es gibt eine heterogene Mehrheit unter den Wählerinnen und Wählern in Berlin, die radikalen, schnellen und gerechten Klimaschutz in dieser Stadt möchte. Wir scheitern heute ja nicht an den Mehrheiten, sondern am Quorum und dieses Signal bleibt.
Inwiefern hat es eine Rolle gespielt, dass der Volksentscheid nicht mit der Berlin-Wahl zusammen gelegt wurde?
Demokratie sollte es den Menschen so leicht wie möglich machen, ihr Kreuz zu setzen. Die Berliner Politik hat entschieden, es den Menschen schwerer zu machen, weil sie den Termin nicht mit der Berlin-Wahl zusammengelegt hat. Es ist für niemanden überraschend, dass es extrem hart war, Stimmen zu mobilisieren. Zuerst war ja sogar ein Wahltag in den Osterferien im Gespräch. Man hat es dann gütigerweise noch auf den Termin mit der Zeitumstellung gelegt – also einen Tag mit einer Stunde weniger als sonst. Das Vorgehen des Senats ist natürlich hochproblematisch.
Von Beginn an galt das Quorum als die höchste Hürde. Aber dennoch sind es am Ende auch deutlich mehr „Nein“-Stimmen als erwartet. Ist die Mehrheit mit 50,9 Prozent nicht auch überraschend knapp?
Wir wurden lauter und lauter. Und auf einmal fingen fossile Beharrungskräfte an gegenzusteuern und haben auch mobilisiert. Und es wirkt natürlich, wenn man den Menschen erzählt: Klimaschutz in Berlin bedeutet, man nimmt den Menschen das Auto weg.
Wen meinen Sie konkret mit fossilen Beharrungskräften?
Wenn man einmal durch die Medien springt in den letzten acht, neun Tagen, wird es deutlicher: CDU und FDP in Berlin, aber auch große Teile der SPD. Dazu kommen polarisierende Stimmen in den Medien – und Teile der Industrie. Da wurde in den letzten Tagen fast panisch noch einmal alles an fossilem Populismus aufgefahren. Es war sehr bezeichnend, dass zuletzt Stimmen laut wurden, die die Finanzierung vom Klima-Volksentscheid kritisiert haben. Obwohl man weiß, diesen Volksentscheid gibt es nur, weil man ihn händisch per Unterschrift ermöglicht hat. Man kann sich keine Stimmen kaufen. Es sind interessanterweise die gleichen Dynamiken, wie sie vor 20, 30 Jahren gegen Forschung zur Klimakrise bemüht wurden – damals hieß es, die Klimaforschung sei aus den USA finanziert und deswegen nicht rechtens.
Eine Gegenkampagne gab es im öffentlichen Raum hingegen nicht. Stattdessen eine große und sichtbare Kampagne für den Volksentscheid. Gab es in den letzten Monaten zu viele Diskussionen über Protestformen und Auto-Blockaden und zu wenig inhaltlich zielgerichtete Aktionsformen wie Lützerath?
Empfohlener externer Inhalt
Wir haben vor einer Viertelstunde das Ergebnis erfahren. Wir werden uns das natürlich alles angucken. Aber jetzt im ersten Moment ist wichtig: Niemand von uns ist für einen persönlichen Posten angetreten oder einen Machtvorteil. Den Menschen hier geht es um das große Ganze. Auch die Menschen, die heute für „Nein“ gestimmt haben, sind auf diesen Planeten und unsere Lebensgrundlagen angewiesen. Niemand, der in den letzten Wochen und Tagen gegen diese Wahl mobilisiert hat, kann sich eine akzeptable Außentemperatur kaufen – wie Eckart von Hirschhausen es so gut formuliert. Aber natürlich macht es viele Menschen hier sehr nachdenklich, dass bei Klimafragen noch so viel zu tun ist, um Menschen mit eigentlich sehr banalen Erkenntnissen zu erreichen.
Eigentlich hat vieles dafür den Volksentscheid gesprochen: Der IPCC-Bericht in der Woche davor, zahlreiche Wissenschaftler*innen trommelten dafür, ebenso Künstler*innen …
Das hat uns große Schritte nach vorne gebracht. Aber immer offensichtlich wird diese Tage auch: Wir verhandeln in der Klimakrise schon lange keine Fakten mehr, sondern Gefühle, Macht und Zugehörigkeiten. Es ist sehr schwer, da durchzukommen. Wir haben deutlich gesehen, wie populistisch und mit welchen Überschriften gegen die Kampagne gearbeitet wurde: Die Kostenfrage wurde komplett einseitig problematisiert, ohne anzuerkennen, wie teuer die Klimakrise erst werden wird. Ich selbst musste in einem Interview dem Moderator erklären, dass Klimaschutz eben nicht bedeutet, dass wir den Menschen die Autos wegnehmen.
Empfohlener externer Inhalt
Sie hatten gesagt, es ginge beim Volksentscheid auch um die Ehre der Klimabewegung. Die ist aber nun nicht verloren, oder?
Wir haben eine unglaubliche und unwahrscheinliche Mehrheit in dieser sehr komplizierten Stadt für radikalen Klimaschutz gewinnen und begeistern können. Dahinter stecken viele Menschen, die unfassbar viel gearbeitet haben. Das Zeichen, die Aufmerksamkeit und die Energie sind da. Die Sorge der Menschen bleibt groß, wie wir noch rechtzeitig gegen die Klimakrise ankommen. Es tut natürlich weh, am Quorum auf den letzten Metern zu scheitern. Aber dass wir überhaupt so weit gekommen sind, wurde vorab weiträumig für unmöglich erklärt. Das haben wir aber trotzdem von Menschenhand umgesetzt. Wenn wir das geschafft haben, können wir auch noch mehr machen: Wir sehen, dass überall in diesem Land und darüber hinaus sich Menschen von uns inspirieren lassen und sich fragen, ob sie selbst auch Volksentscheide fürs Klima starten können. Der Einsatz gegen diese Krise verlangt von den Menschen, sich einzusetzen und ins Risiko zu gehen, ohne zu wissen, ob es am Ende reichen wird. Eben das unterscheidet uns von den Opportunisten und passiven Nörglern.
Werden Sie trotzdem ein wenig feiern, auch wenn der Sekt bitter schmeckt?
Ich habe mein Tannenzäpfle bereit. Und wenn es Menschen gibt, die eine solche Situation bewältigen können, dann die Menschen in der Klimabewegung. Es ist sehr steiniger Weg, der bergauf führt. Aber egal ob Sekt, Bier oder Apfelschorle, ist es auch unser Anspruch, immer die bessere Party zu sein als die der fossilen Zyniker. Und wenn ich mich mir hier so umgucke, werden wir dem auch heute ganz sicher gerecht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grundsatzpapier des Finanzministers
Lindner setzt die Säge an die Ampel und an die Klimapolitik
Kritik an Antisemitismus-Resolution
So kann man Antisemitismus nicht bekämpfen
VW in der Krise
Schlicht nicht wettbewerbsfähig
Bundestag reagiert spät auf Hamas-Terror
Durchbruch bei Verhandlungen zu Antisemitismusresolution
Mögliche Neuwahlen in Deutschland
Nur Trump kann noch helfen
Kränkelnde Wirtschaft
Gegen die Stagnation gibt es schlechte und gute Therapien