Ressentiment-Junkie CDU

Berlin zeigt: Auch 2023 lassen sich mit deutschnationalen Diskursen Wahlen gewinnen. Fatal wäre, die rassistische Stimmungsmache mit Problemanalyse zu verwechseln

Ex-Bundeskanzler Helmut Kohl und Friedrich Merz im März 2000 im Bundestag Foto: reuters

Von Volkan Ağar

Wenn jetzt nicht gehandelt wird, stehen wir vor der Gefahr einer tiefer gehenden Vertrauenskrise gegenüber unserem demokratischen Staat, ja – ich sage es mit Bedacht –, eines Staatsnotstandes“, sagte ein führender CDU-Politiker mit Verweis auf das Thema Migration.

Friedrich Merz? Nicht schlecht! Aber es war Bundeskanzler Helmut Kohl im Oktober 1992 bei einem Sonderparteitag der CDU in Düsseldorf. Kurze Zeit später, im November 1992, wurden bei rassistischen Brandanschlägen auf zwei von türkischstämmigen Menschen bewohnte Häuser drei Menschen getötet. Im Dezember 1992 hatte die CDU nach Jahren rassistischer Hetze, bereitwillig verstärkt durch deutsche Leitmedien, die SPD dazu bekommen, sich auf den sogenannten Asylkompromiss zu einigen, auf die faktische Abschaffung des Asylrechts in seiner bisherigen Form.

Am 26. Mai 1993 wurde die Entscheidung mit großer Mehrheit vom Bundestag angenommen. Drei Tage später, am 29. Mai, brannte wieder ein Haus, diesmal in Solingen, diesmal waren es fünf Personen einer türkischstämmigen Familie, die von Nazis ermordet wurden.

Seither sind fast 30 Jahre vergangen. Nazis haben weiter gehetzt und getötet: NSU-Morde, der tödliche Anschlag auf den Kassler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU), Pegida-Demonstrationen, AfD. Es gab aber auch Fortschritt. Die 2020er sind nicht die 1990er: Mi­gran­t:in­nen und ihre Nachkommen haben erfolgreich Rechte und Anerkennung eingefordert. Auch für politische Parteien ist es opportuner geworden, sich zu Vielfalt zu bekennen, statt gegen sie zu hetzen. Doch nicht alle sind auf der Höhe dieser Entwicklung.

„Wir sprechen hier über Leute, die eigentlich in Deutschland nichts zu suchen haben. Die wir hier seit längerer Zeit dulden, die wir nicht zurückschieben, die wir nicht abschieben und bei denen wir uns dann darüber wundern, dass es hier solche Exzesse gibt.“

Dieses Zitat könnte auch von Helmut Kohl stammen. Oder vom früheren CDU-Bundesinnenminister Rudolf Seiters, der 1992 von „unkontrollierten Zustrom“ sprach und somit maßgeblich zur damaligen Pogromstimmung beigetragen hat. Aber dieses Mal ist es der aktuelle CDU-Vorsitzende Friedrich Merz. Er hat das am 10. Januar dieses Jahres in der Talkshow von Markus Lanz gesagt, wo über die Ausschreitungen in der Berliner Silvesternacht, bei der Polizei und Feuerwehr mit Böllern attackiert worden waren, diskutiert wurde. Dabei ging Merz so weit, Kinder und Jugendliche, die in Deutschland geboren sind, als „kleine Paschas“ zu bezeichnen.

Die CDU-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus aber ging noch weiter: In einem Fragenkatalog an den Innenausschuss verlangte sie nach den Vornamen der Tatverdächtigen mit deutschem Pass – als wolle sie beweisen, dass Jugendgewalt ein reines Migrantenphänomen sei, an der ein ‚wahrer Deutscher‘ niemals beteiligt sein könnte. Merz’ rassistische Tirade kam zu einem Zeitpunkt, als die Berliner Polizei vorschnell herausgegebene Zahlen über die Täter schon wieder korrigiert hatte: Von 145 Festgenommenen seien nur 45 deutsche Staatsbürger, hieß es kurz nach der Silvesternacht. Eine Woche später waren es noch 38 Personen, die wegen Böllerattacken festgenommen worden seien – und zwei Drittel davon deutsche Staatsbürger. Dennoch verteidigte Merz seine Aussagen gegen alle Kritik. Er habe dem „Volk aufs Maul geschaut und eine Beobachtung wiedergegeben“. Auch Kai Wegner, der CDU-Spitzenkandidat für die Berlin-Wahl, verteidigte den Ariernachweis-Vorstoß seiner Fraktion. Ihre rassistische Erzählung entbehrte aber genauso einer faktischen Grundlage wie die diskursive Vorbereitung des Asylkompromisses von 1992, als die CDU und CSU vor 50 Millionen „Asylanten“ warnten.

Die CDU unter Kohl blieb damals nach der Bundestagswahl 1994 stärkste Kraft. Und die Berliner CDU, die in der Hauptstadt lange Zeit von ihren aktuellen Werten nur träumen konnte, gewann vorige Woche mit einem Vorsprung von knapp 10 Prozent die Berlin-Wahl. CDU-Politiker­ Jens Spahn stellte noch am Wahlabend in der Runde von Anne Will fest, das Ergebnis zeige, dass man mit „klaren Haltungen“ in Fragen von „Integration“ wieder Wahlen in Großstädten gewinnen könne. Die „Pascha“-Entgleisung seines Chefs verteidigte er mit Verweis auf „in aller Regel kulturell vermittelter toxischer Männlichkeit“.

Tatsächlich hat sich die Stimmung in Berlin nach der Silvesternacht zugunsten der CDU verändert. Laut einer Umfrage von Infratest dimap spielten Sicherheit und Ordnung für 23 Prozent der Ber­li­ne­r:in­nen die größte Rolle für die Wahlentscheidung – vor den Themen Wohnen und Klima. 57 Prozent der Ber­li­ne­r:in­nen fanden, dass die CDU „Probleme mit Zuwanderern klar benennt“.

Fatal wäre es nun aber, diese Zustimmung zur rassistischen Stimmungsmache der CDU mit einer notwendigen Analyse von sozialen Ursachen von Gewalt zu verwechseln. Eine fundierte Kritik von sozialer Ungleichheit und Isolation in einer Stadt mit so vielen Verwerfungen wie Berlin lässt sich derzeit offenbar leider nicht so gut verkaufen wie der Fingerzeig auf vermeintliche Fremde. Auch wenn ihre Ver­tre­te­r:in­nen aktuell mit allen Mitteln versuchen, das Wahlergebnis von Berlin so zu verkaufen: Dass die CDU mit einfachen Antworten auf komplexe Fragen Wahlen gewinnt, bedeutet nicht, dass ihre Antworten wahr und richtig sind.

Viel mehr ist es so: Der Diskurs „Ausländer raus!“ ist für die CDU wie eine Droge. Immer wenn sie verzweifelt nach einem High giert, drückt sie sich diese. Das Hoch, das darauf folgt, ist aber nur ein kurzfristiges. Langfristig zerstört die Droge Rassismus nicht nur die CDU selbst, sondern auch die Gesellschaft, in der sie sich damit berauscht. Merkel wusste das, Merz und seine Leute wollen es nicht wahrhaben. Wenn sie damit nur am Ende ihrer eigenen Partei arbeiten würden, dann wäre das mehr als hinnehmbar. Aber es führt eben auch dazu, dass andere auf ihre Worte Taten folgen lassen, so wie vor exakt drei Jahren, am 19. Februar 2020 in Hanau.