Unsinn von Wirtschaftsprognosen: Trau keiner Vorhersage für 2023

Zum neuen Jahr erscheinen viele Wirtschaftsprognosen. Für den Unsinn braucht es keine Ökonomen, sagt unsere Autorin. Die Vorhersagen sind immer falsch.

Menschen sitzen an Schreibtischen im Börsensaal

Blick in den Börsensaal l der Deutschen Börse in Frankfurt am Main Foto: Sepp Spiegl/imago

Wie wird 2023? Diese Frage stellt sich bei jedem Jahresanfang, aber eigentlich ist es Quatsch, Prognosen zu wagen. Zumindest für die Wirtschaft liegen sie immer daneben. Das vergangene Jahr war dafür ein eindrucksvolles Beispiel. Die Bundesbank nahm eigentlich an, dass die deutsche Wirtschaft 2022 um 4,2 Prozent wachsen würde. Doch dann griff Russland die Ukraine an. Nun sind alle froh, dass das Plus bei etwa 1,9 Prozent liegen dürfte.

Auch die schwere Finanzkrise ab 2008 oder die Coronapandemie ab März 2020 hat niemand vorhergesehen. Es kam schlimmer als gedacht. Nun ist es nicht überraschend, dass einmalige Ereignisse alle Prognosen durcheinanderwürfeln. Doch es sollte zu denken geben, dass die ökonomischen Vorhersagen selbst in normalen Jahren scheitern und verlässlich danebenliegen.

Das britische Wirtschaftsmagazin The Economist unterhält ein riesiges Archiv von Konjunkturprognosen und hat für die Jahre 2000 bis 2017 ermittelt, dass die Vorhersagen bei einem Aufschwung im Durchschnitt um 0,6 Prozentpunkte irrten und bei Rezessionen sogar um 1,8 Prozentpunkte falschlagen.

Selbst das laufende Jahr lässt sich nicht genau berechnen. Wenn Anfang September das Wachstum der nächsten vier Monate geschätzt wird, kommt am Ende immer noch ein Fehler von durchschnittlich 0,4 Prozentpunkten heraus. Und es wird schlimmer, je größer die Zeiträume werden.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Wer gerne wüsste, wie sich die Wirtschaft in zwei Jahren entwickelt, sollte den Prognosen niemals trauen. Sie sind immer falsch und schneiden nicht besser ab, als wenn man die aktuelle Wachstumsrate einfach fortschreiben würde. Das kann jeder, für diesen Unsinn braucht man keine Ökonomen.

Doch unbeirrt geben die Wirtschaftsforschungsinstitute auch mittelfristige Konjunkturprognosen ab. So schätzt das ifo Institut für Wirtschaftsforschung aktuell, dass die deutsche Wirtschaft im Jahr 2024 um 1,6 Prozent zulegt. Das ist garantiert falsch oder der reine Zufall, falls es doch richtig sein sollte.

Die Zukunft ist unsicher und unbekannt. Diese Erkenntnis ist banal, wird aber trotzdem gern ignoriert. Denn es wäre unerträglich, sich diese prinzipielle Ungewissheit einzugestehen. Also wird munter vorhergesagt und damit eine Kontrolle suggeriert, die es gar nicht geben kann.

Vier verschiedene Vorhersagen

Allein im Dezember sind mindestens vier verschiedene Prognosen erschienen, wie das Jahr 2023 wirtschaftlich ausfallen dürfte. Da will Cash & Crash nicht zurückstehen. Also: Die Energiepreise werden fallen, weswegen auch die Inflation zurückgeht. Der Mangel an Fachkräften wird sich verschärfen, weil weiterhin sehr viele Babyboomer in Rente gehen. Der Ukrainekrieg wird noch eine Zeit lang andauern, aber die Wirtschaft nicht mehr zusätzlich belasten. Denn Putin hat bereits maximal eskaliert, sodass der Krieg auf den Weltmärkten inzwischen komplett eingepreist ist.

Diese Vorhersage gilt natürlich nur, wenn China nicht Taiwan angreift, Putin keine Atombombe zündet und auch keine neue gefährliche Coronavariante entsteht. Es wird also ein unaufgeregter Normalfall unterstellt.

Aber auch für dieses harmlose Szenario weist Cash & Crash vorsorglich darauf hin, dass Beschwerden nicht entgegengenommen werden, falls es anders kommt. Das ist sowieso klar.

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Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).

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