taz-Recherche zu Reichsbürger-Razzia: Gefahr von außen und von innen

Reichs­bür­ge­r:in­nen sollen geplant haben, ins Reichstagsgebäude einzudringen. Sie hatten eine Liste mit Namen von Abgeordneten.

Menschen stürmen auf den Eingang des Reichstagsgebäudes zu

Im August 2020 versuchten Coronaleugner und Rechtsradikale den Reichstag zu stürmen Foto: Fritz Engel

Man mag die Pläne der Reichsbürgergruppe, die Bundesregierung abzusetzen und ihren Prinzen als Kanzler einzusetzen, für rechtsradikale Hirngespinste halten. Aber zumindest der erste Schritt ihres Plans hätte gelingen können: Über ein Mitglied der Gruppe, die ehemalige AfD-Abgeordnete und Richterin Birgit Malsack-Winkemann, hatten sie einen Hausausweis des Bundestags. Und sie hatten Waffen.

Viele Bundestagsabgeordnete sind beunruhigt. Was die bisherigen Ermittlungen des Generalbundesanwalts ergeben haben, ist ja auch ungeheuerlich. Einige der Terrorverdächtigen sollen geplant haben, mit einer kleinen bewaffneten Gruppe gewaltsam in den Deutschen Bundestag einzudringen, um dort anwesende Mitglieder der Bundesregierung und Abgeordnete festzunehmen. Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (Grüne) kündigte an, die Sicherheitsvorkehrungen des Parlaments überprüfen zu lassen.

Wie konkret war die Gefahr für Abgeordnete? Recherchen der taz zeigen: offenbar konkreter als bisher bekannt.

Bei einem der Beschuldigten wurde nach taz-Informationen eine Liste mit Namen gefunden. 18 Personen stehen darauf, Po­li­ti­ke­r:in­nen und Journalist:innen. Die betroffenen sieben Bundestagsabgeordneten wurden am Mittwochmorgen vom Bundeskriminalamt (BKA) informiert. Unter ihnen sind hochrangige Mitglieder der Regierung und Opposition: Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne), SPD-Vorsitzende Saskia Esken und SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert. Aber auch der ehemalige Kanzlerkandidat der Union, Armin Laschet. Nach taz-Informationen aus Sicherheitskreisen steht auch CDU-Partei- und Fraktionsvorsitzender Friedrich Merz auf der Liste. Dieser wollte sich auf Anfrage nicht dazu äußern.

SPD-Chefin Esken sagte: „Die Gefahr, die von gewaltbereiten Reichsbürgern ausgeht, dürfen wir nicht unterschätzen. Diese Leute fantasieren nicht nur über Verschwörungstheorien. Sie hatten konkrete Pläne, die sie auch bereit waren umzusetzen.“

Sogenannte „Feindeslisten“

Es ist nicht das erste Mal, dass bei Reichs­bür­ge­r:in­nen und Rechtsextremisten Namenslisten gefunden wurden, die als Feindeslisten zu verstehen sind. Wie groß die Gefahr für jene ist, die auf der Liste stehen, ist schwer einzuschätzen. Die Liste wurde den Er­mitt­le­r:in­nen zufolge nicht bei den Durchsuchungen am Mittwoch, sondern bereits vor Einleitung des aktuellen Verfahrens sichergestellt. Die Gefährdungseinschätzung, die das Bundeskriminalamt dem Bundestag übermittelte, ist zurückhaltend. Die Bedeutung der Liste sei gegenwärtig nicht eindeutig geklärt. Es hätten sich bislang keine Anhaltspunkte für eine Konkretisierung der Gefährdung ergeben.

Nach taz-Informationen stehen auf der Liste auch drei prominente Fern­seh­mo­de­ra­to­r:in­nen von ARD und ZDF: Eine Moderatorin ließ mitteilen, dass sie nicht von Sicherheitsbehörden informiert worden sei. Auch beim anderen Sender wusste man nichts über den Sachverhalt. Der Generalbundesanwalt wollte sich mit Verweis auf die laufenden Ermittlungen nicht äußern.

Grundsätzlich ist für Betroffene, die keine Bundespolitiker sind, nicht das BKA zuständig, sondern die örtliche Polizei. Diese nehme eine eigene Bewertung vor und informiere die Personen nur, wenn „gefährdungserhöhende Erkenntnisse“ vorliegen, teilt die BKA-Pressestelle mit.

Wie mit Namenslisten von Rechts­ex­tre­mis­t:in­nen umzugehen ist, wird in Deutschland seit Jahren diskutiert. Personen, die auf Feindeslisten der rechtsextremen Preppergruppe Nordkreuz standen, wurden erst nach öffentlichem Druck darüber informiert. Die Bedeutung einer Namensliste des Bundeswehroffiziers Franco A. versuchte dieser noch im Prozess als „To-do-Liste“ oder „Rechercheliste“ herunterzuspielen. Er wurde dann aber im Juli als Rechtsterrorist verurteilt. Das Oberlandesgericht Frankfurt sah es als erwiesen an, dass er Personen von der Liste töten wollte. Seit einer Gesetzesverschärfung im vergangenen Jahr ist auch die Verbreitung sogenannter Feindeslisten strafbar.

Die nun aufgefundene Liste gibt Hinweise darauf, dass die Gefahr für einige Bundestagsabgeordnete real ist. Was würde passieren, wenn Abgeordnete in den Räumen des Bundestags angegriffen werden?

Die Bundestagspolizei soll das Parlament beschützen

Es ist der Moment, für den die Bundestagspolizei gegründet wurde. Für den sie als besondere Polizei eigens im Grundgesetz erwähnt wird, in Artikel 40, Absatz 2. Die Bundestagspolizei besteht aus rund 200 Po­li­zis­t:in­nen und hat die Aufgabe, das Parlament als sensibles Verfassungsorgan zu beschützen. Sie ist der Präsidentin des Bundestags, Bärbel Bas, unterstellt. So soll sichergestellt werden, dass sich der Bundestag im Falle eines Putsches selbst verteidigen kann.

Nun stellt sich die Frage, ob die Bundestagspolizei dafür gewappnet ist. Zumindest in der Vergangenheit war sie nicht dafür bekannt, Bedrohungen von rechts sonderlich ernst zu nehmen.

Im Sommer 2021 hatte die taz berichtet, dass in der Bundestagspolizei Reichsbürger, Rassisten und Corona-Leugner arbeiteten. Einer der Polizisten war in einer Reichsbürgerpartei aktiv, er ist seit der taz-Recherche suspendiert. Bei einer internen Ermittlung wurden alle 200 Polizisten einzeln zu den Vorwürfen befragt. Die internen Er­mitt­le­r:in­nen interessierten sich dabei besonders dafür, wer mit der taz gesprochen hatte. Eine externe Untersuchung, wie sie die damalige Vizepräsidentin des Bundestags, Claudia Roth, gefordert hatte, hatte Wolfgang Schäuble und später auch seine Nachfolgerin Bas abgelehnt.

Im Januar hatte die taz zudem berichtet, dass der neu ernannte Chef des Polizei- und Sicherheitsreferats des Bundestags selbst aktives Mitglied der Burschenschaft Gothia ist. Zudem war er in den neunziger Jahren politisch aktiv bei einer rechten Splitterpartei. Aufgrund der taz-Recherche wurde er versetzt. Er arbeitet nach wie vor als Referats­leiter im Bundestag und ist bei den wissenschaftlichen Diensten unter anderem für den Bereich Strafrecht zuständig. Doch der Referatsleiter ist nicht der einzige Mitarbeiter des Bundestags, der nachgewiesenermaßen Kontakte in ein ultra­rechtes Milieu pflegt.

Bereits im vergangenen Jahr hatte die taz über einen anderen Burschenschaftler berichtet, der beim Besucherdienst des Bundestags arbeitete. Dieser Mann ist Oberstleutnant der Reserve und zudem Mitglied einer Berliner Reservistenkameradschaft, in der vor allem Gothia-Leute organisiert sind.

Er hat in der Vergangenheit mehrere Bundestagsmitarbeiter zum Schießtraining eingeladen. Das geht aus einer Mail hervor, die der taz vorliegt. Auf Facebook ist er Mitglied der Gruppe „Wir Deutsche rufen Georg Friedrich von Preußen zum Deutschen König aus“. Angesichts der aktuellen Ermittlungen erscheinen solche Positionierungen in anderem Licht. Der Mitarbeiter wurde versetzt und arbeitet nicht mehr im Besucherdienst, sondern beim Lobbyregister des Bundestags.

Die Mitgliedschaft in einer rechten Burschenschaft ist für Mitarbeiter des Bundestags nicht verboten. Und doch stellt sich die Frage, ob sie sich mit der Arbeit in einem besonders sensiblen Verfassungsorgan verträgt. Nach den Razzien forderte Innenministerin Nancy Faeser (SPD), dass Verfassungsfeinde leichter aus dem öffentlichen Dienst entfernt werden können. Ein lange angekündigter Gesetzentwurf soll demnächst vorgestellt werden.

Potenzielle Gefahren waren „stets beherrschbar“

Wie gut war die Bundestagspolizei vorbereitet? Der Spiegel berichtet, dass sie „seit Wochen“ von der Bedrohung wusste. Auf taz-Anfrage teilt die Pressestelle des Bundestags nur allgemein mit: „Die Sicherheit des Deutschen Bundestages ist zu jeder Zeit umfassend gewährleistet.“ Auch laut einer internen Einschätzung der Bundestagspolizei, die der taz vorliegt, waren die potenziellen Gefahren durch die Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden „stets beherrschbar“.

Hört man sich in der Bundestagspolizei um, ergibt sich ein anderes Bild: Es habe keine zusätzlichen Schichten gegeben, man sei wegen vieler Krankheitsfälle eher schlechter besetzt gewesen als üblich. Besondere Warnungen oder Vorsichtsmaßnahmen habe es nicht gegeben. Gewarnt wurden die Po­li­zis­t:in­nen zuletzt explizit vor Aktionen von Klimaaktivist:innen.

Sowohl die Beamten des Bundes­tags als auch die Abgeordneten wissen aber, dass sich eine Gefahr von Innen auch mit den besten Sicherheitsmaßnahmen kaum beherrschen lässt. Abgeordnete und rechtsextreme Mitarbeitende der AfD können im Bundestag ein- und ausgehen, ganz ohne Verschwörung.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Mit der taz Bewegung bleibst Du auf dem Laufenden über Demos, Diskussionen und Aktionen gegen rechts.

Hier erfährst du mehr

Rechtsextreme Terroranschläge haben Tradition in Deutschland.

■ Beim Oktoberfest-Attentat im Jahr 1980 starben 13 Menschen in München.

■ Der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) um Beate Zschäpe verübte bis 2011 zehn Morde und drei Anschläge.

■ Als Rechtsterroristen verurteilt wurde zuletzt die sächsische „Gruppe Freital“, ebenso die „Oldschool Society“ und die Gruppe „Revolution Chemnitz“.

■ Gegen den Bundeswehrsoldaten Franco A. wird wegen Rechtsterrorverdachts ermittelt.

■ Ein Attentäter erschoss in München im Jahr 2016 auch aus rassistischen Gründen neun Menschen.

■ Der CDU-Politiker Walter Lübcke wurde 2019 getötet. Der Rechtsextremist Stephan Ernst gilt als dringend tatverdächtig.

■ In die Synagoge in Halle versuchte Stephan B. am 9. Oktober 2019 zu stürmen und ermordete zwei Menschen.

■ In Hanau erschoss ein Mann am 19. Februar 2020 in Shisha-Bars neun Menschen und dann seine Mutter und sich selbst. Er hinterließ rassistische Pamphlete.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.