Jan Feddersen über den Protest gegen die Fifa und den DFB
: Auf einmal sind alle divers

Man fragt sich, was abstoßender ist bei der Debatte um den Ärmelschoner von Manuel Neuer mit der Aufschrift „One Love“: die Fifa, die durchgesetzt hat, dass die Teams das Symbol nicht tragen dürfen? Oder der Deutsche Fußball-Bund (DFB), der sich möglichen Strafen entzieht, indem er sich unterwirft? Oder ist es vielmehr die Öffentlichkeit, die auf allen Kanälen sowohl Katar verdammt als auch die Fifa und mit besonderer Häme den DFB.

Sogar Bundestagspräsidentin Bärbel Bas hat nach der „One Love“-Havarie die Schnauze voll von der WM. Auffällig und in gewisser Hinsicht widerlich ist nur, dass die gleichen Stimmen, die unisono über Katar, die Anordnung des „One Love“-Verbots und die mangelnden Biertraditionen dort herziehen, vor acht Jahren in puncto Sotschi und Olympische Winterspiele so gar nicht zu vernehmen waren.

Was die Em­pö­ris­t*in­nen eint, ist ihre Wohlfeilheit und Ahnungslosigkeit zugleich. Das „One Love“-Zeichen war ja längst entschwult worden und hatte mit dem Regenbogenzeichen nur noch sehr entfernte Ähnlichkeit. Und besonders fragwürdig ist, wenn DFB-Größen beteuern, dass man dennoch die besagten Werte vertrete. Heuchlerisch ist das „Diversity“-Bekenntnis auch deshalb, weil in den hiesigen Ligen des Profifußballs noch kein einziger aktiver Spieler ein Coming-out gewagt hat. Allein das dürfte reichen als Zeichen für unverändert latent vorhandene Homophobie in den Vereinen.

Irritierend sind die DFB-Statements obendrein, weil es nicht einmal einen Hinweis der Solidarität mit den Opfern des trans- und homophoben Attentats in Colorado, USA, gab: Das wäre eine inhaltliche Geschichte gewesen. Jetzt wirkt der DFB und seine obersten Repräsentanten wie ein Opferhaufen, der mit echten Opfern nichts zu schaffen hat.

Die öffentliche Entrüstung über den Katar-Komplex speist sich aus einer überhitzten Moralisierung. Als seien Fußballer politische Delegierte. Fragt sich, wer von den Moralisten:innen, die die Nationalelf dazu aufrufen, sie möge Strafen in Kauf nehmen, für die eigenen Werte schon jemals ernsthaft selbst etwas riskiert hat.