Ein Jahr nach Hitzlspergers Outing: Aufgesetzte Korrektheit
Im deutschen Fußball pflegt man immer noch ein sehr verkrampftes Verhältnis zur Homosexualität. Das Thema wird gemieden.
Die Reaktionen waren überwältigend. Als Thomas Hitzlsperger sich am 8. Januar vor einem Jahr dazu bekannte, dass er schwul sei, wurde er von allen Seiten mit Lob überschüttet. Er war der erste – wenn auch nicht mehr aktive – deutsche Fußballprofi, der sich zu diesem mutigen Schritt entschloss. Das Thema Fußball und Homosexualität schien plötzlich alle zu beschäftigen.
Von einem „Hype“ in den Medien spricht Queer Football Fanclubs (QFF), ein Netzwerk europäischer schwul-lesbischer Fußball-Fanklubs, in einer Pressemitteilung anlässlich des Jahrestages von Hitzlspergers Vorstoß. Dieser Hype sei allerdings bereits nach zwei Wochen verklungen. Und die Berichterstattung sei zudem größtenteils sensationslüstern und vorurteilsbeladen gewesen. Dass nichts wirklich erreicht worden sei, daran seien auch die Medien selber schuld, konstatiert das Netzwerk.
Das QFF kritisiert auch den Deutschen Fußball-Bund (DFB). Mit Verweis auf die Sportwissenschaftlerin und ehemalige Fußballerin Tanja Walther-Ahrens bemängelt man die fehlende thematische Vertiefung. Es drohe die Gefahr, dass DFB-Broschüren wie der Leitfaden „Fußball und Homosexualität“ lediglich „Produkt der aufgesetzten politischen Korrektheit“ beim DFB bleiben. Zumindest einige Landesverbände, wird lobend erwähnt, würden erwägen, Partnerschaften mit Schwulen- und Lesbenverbänden einzugehen.
Wie weit der deutsche Fußball von einem normalen Umgang mit dem Thema Homosexualität entfernt ist, zeigte eine Anfrage der ARD-Recherche-Redaktion Sport, die von den 36 Erst- und Zweitligaklubs unter anderem wissen wollte, wie man reagieren würde, wenn sich einer der eigenen Spieler als homosexuell outet. Oder: „Nehmen Sie homophobe Fangesänge oder Äußerungen in den Stadien wahr?“ 14 Vereine reagierten überhaupt nicht, elf lehnten eine Teilnahme an der Befragung ab.
Die ARD erklärte, man sei über die „pauschalen Absagen“ der Erstligisten FC Bayern München, Hertha BSC Berlin, Eintracht Frankfurt, Hamburger SV, 1899 Hoffenheim, Bayer Leverkusen und VfB Stuttgart verwundert gewesen. Tanja Ahrens sagt: „Das ist traurig und zeigt, dass sich eben doch relativ wenig bewegt. Kein anderes großes Unternehmen, und nichts anderes sind Profivereine mittlerweile, könnte sich sowas leisten.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Fall Mouhamed Dramé
Psychische Krisen lassen sich nicht mit der Waffe lösen
Ex-Mitglied über Strukturen des BSW
„Man hat zu gehorchen“