Wachstum und Klimakrise: Grüner Kapitalismus, rote Paprika

Hat Ulrike Recht – oder stimmt doch, was Malte sagt? Unser Kolumnist fühlt sich manchmal wie ein Fähnchen im Wind.

Markus Söder in Schürze verteilt Lebensmittel bei der Münchner Tafel

Ein mit sich zufriedener Markus Söder als Hilfskraft bei der Münchner Tafel Foto: Frank Hoermann/picture alliance

Manchmal kommt es mir so vor, als sei ich ein Fähnchen im Wind. Bei großen Fragen, bei denen ich nicht weiß, was ich denken soll, lese ich einen Text oder höre einen Podcast und nicke und denke, ja richtig, so ist es. Und dann lese ich einen anderen Text mit entgegengesetzter Meinung und denke wiederum: Ja, stimmt, genau so.

Kann es grünes Wachstum geben?, ist so eine Frage. Darüber gibt es in der taz gerade eine Debatte. Und ich bin dankbar, in einer Redaktion zu arbeiten, in der viele kluge Menschen kluge Dinge schreiben oder im Bundestalk erzählen, dem Podcast der taz. Ich versuche hier eine sehr verkürzte Zusammenfassung der kontroversen Debatte:

Meine Kollegin Ulrike Herrmann, bekannt aus Funk und Fernsehen, argumentiert, dass grünes Wachstum nicht möglich ist: Die Weltwirtschaft benötige viel zu viel Energie, um diese günstig und erneuerbar produzieren zu können, außerdem fehlten Speicher.

Mein bereits arg vermisster ehemaliger Kollege Malte Kreutzfeldt hält dagegen, verweist auf das exponentielle Wachstum beim Ausbau der Erneuerbaren und darauf, dass diese effizienter genutzt würden.

Und dann sehe ich Markus Söder

Und zuletzt schrieb meine Chefin Barbara Junge in der ersten wochentaz, dass der Kapitalismus uns zwar die Klimakrise eingebrockt habe, aber nur er uns wieder retten könne, indem Institutionen wie die Weltbank die Investitionen in Erneuerbare global finanzierten.

Und ich lese das alles und nicke und nicke. Und dann wechsle ich zu einer anderen Seite im Browser, und ich sehe Markus Söder, wie er in einer Schürze der Münchner Tafel für die Kameras posiert. Söder verteilt schrumpliges Gemüse an Bedürftige und verkündet stolz, dass seine Regierung die Tafeln nun stärker unterstütze. Als sei das für eine Regierung ein Erfolg und kein wortwörtliches Armutszeugnis. Die Zahl der Menschen, die in Deutschland zu einer Tafel gehen, ist seit dem vergangenen Jahr um 50 Prozent gestiegen.

Und dann schalte ich das Radio an und höre eine Reportage über die Tafeln in Großbritannien. Es geht um eine Frau, deren Tochter immer Lebensmittel mitbringt, wenn sie zu Besuch kommt. Weil ihre Mutter nichts für sie kochen könne. Sie ist eine derjenigen, die sich entscheiden müssen: „heat or eat“.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Und dann möchte ich nicht mehr darüber nachdenken, ob grünes Wachstum möglich ist. Dann möchte ich Markus Söder die schrumplige Paprika aus seiner Hand nehmen und damit sein selbstgefälliges Grinsen abreiben. Ich will keinen grünen Kapitalismus. Und auch keinen sozialdemokratischen, keinen fossilen.

Die Überzeugungskraft des Kapitalismus bestand darin, dass er es eine beeindruckend lange Zeit schaffte, eine Mehrheit am geschaffenen Reichtum zu beteiligen, zumindest im Westen. Diese Zeit scheint mit dem Ende der billigen Energie vorbei zu sein. Wenn in England und Deutschland immer mehr Menschen nach Lebensmitteln betteln müssen und in ihren Wohnungen frieren, obwohl die Erde immer wärmer wird, hat dieses Wirtschaftssystem seine Berechtigung verloren.

Nun gut, werden Sie sagen, Arme gab’s immer. Nur: jetzt ist auch die Mittelschicht dran. Die Natur kaputt machen zum eigenen Vorteil, das war für die Mehrheit lange Zeit okay. Aber wenn sich nicht mal mehr in Deutschland jede Familie mit mittlerem Einkommen ein Häuschen mit Heizung im Grünen leisten kann, ist der Spaß vorbei.

Wieso sollte man ein System retten, das nicht funktioniert? Das weiß ich nicht

Wieso sollte man ein System retten, das nicht funktioniert? Das weiß ich nicht. Und was danach kommen soll, weiß ich auch nicht. Ich hoffe, dass dazu bald schlaue Texte in der taz erscheinen, nach denen ich mein Fähnchen richten kann.

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Kersten Augustin leitet das innenpolitische Ressort der taz. Geboren 1988 in Hamburg. Er studierte in Berlin, Jerusalem und Ramallah und wurde an der Deutschen Journalistenschule (DJS) in München ausgebildet. 2015 wurde er Redakteur der taz.am wochenende. 2022 wurde er stellvertretender Ressortleiter der neu gegründeten wochentaz und leitete das Politikteam der Wochenzeitung. In der wochentaz schreibt er die Kolumne „Materie“. Seine Recherchen wurden mit dem Otto-Brenner-Preis, dem Langem Atem und dem Wächterpreis der Tagespresse ausgezeichnet.

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