Doppelter Wumms trotz Schuldenbremse

Die Bundesregierung plant einen 200 Milliarden Euro schweren Abwehrschirm für Energiepreise. Er soll und kann über Kredite finanziert werden

Bei so viel Energiepreisplänen wirken selbst die Strommasten schirmhaft Foto: Foto Daniel Reinhardt/dpa

Von Christian Rath

Die Bundesregierung will 200 Milliarden Euro neue Schulden aufnehmen – um Bür­ge­r:in­nen und Unternehmen vor hohen Energiepreisen zu schützen. Verfassungsrechtlich ist dies möglich – trotz Schuldenbremse.

Vorige Woche stellten Kanzler Olaf Scholz (SPD), Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) ihre Pläne für einen „Abwehrschirm gegen die Folgen des russischen Angriffskrieges“ vor. Kanzler Scholz gab ihm den griffigen Namen „Doppel-Wumms“, weil die bisherigen Entlastungspakete zusammen einen Umfang von rund 95 Milliarden Euro haben sollen und der neue Abwehrschirm mit mehr als dem doppelten Umfang angekündigt wurde.

Der Abwehrschirm ist zunächst ein gigantischer Nebenhaushalt, der über Kredite mit bis zu 200 Milliarden Euro gefüllt wird. Mit dieser Summe sollen folgende Maßnahmen finanziert werden: eine Gaspreisbremse (deren konkretes Design gerade von einer Expertenkommission erarbeitet wird), eine Strompreisbremse (in deren Finanzierung auch die Zufallsgewinne der Stromversorger einfließen sollen), Hilfen für Gasimporteure (als Ersatz für die gekippte Gasumlage) sowie weitere Hilfen für Unternehmen.

Auch wenn der Abwehrschirm über einen Nebenhaushalt ausgestattet wird und nicht über den regulären Bundeshaushalt, so sind die bis zu 200 Milliarden Euro doch bei der Schuldenbremse zu berücksichtigen. Laut Grundgesetz darf der Bund eigentlich nur Schulden in Höhe von maximal 0,35 Prozent des Inlandsprodukts aufnehmen. Es ist aber möglich, dass sich der Bundestag auf die Notfallklausel des Art. 115 Grundgesetz beruft. Dort heißt es: „Im Falle von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen, können diese Kreditobergrenzen auf Grund eines Beschlusses der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages überschritten werden.“

In diesem Beschluss würde der russische Angriffskrieg und seine Folgen für die Energiepreise als „außergewöhnliche Notsituation, die sich der Kontrolle des Staates entzieht“ eingestuft. Das dürfte unproblematisch sein, auch wenn die Notlage teilweise auf Wirkungen der westlichen Sanktionen zurückgeht. Diese sind aber als gerechtfertigte Abwehrmaßnahmen ebenfalls dem russischen Angriffskrieg zuzurechnen. Inzwischen hat Russland auch selbst die Gaslieferungen gedrosselt und eingestellt.

Auch politisch fällt es der Ampel-Koalition leicht, einen solchen Beschluss zu fassen, denn es ist schon lange klar, dass der Bund die Schuldenbremse 2022 nicht einhalten kann. Wie schon 2020 und 2021 hat der Bundestag bereits im Juni einen entsprechenden Beschluss gefasst. Konkret genehmigte der Bundestag damals bereits eine Überschreitung der Kreditobergrenze um rund 115 Milliarden Euro.

Für die zusätzlichen „bis zu 200 Milliarden Euro“ des Abwehrschirms ist nun zwar ein neuer Beschluss des Bundestags erforderlich. Dabei genügt jedoch eine Mehrheit der Abgeordneten. Die CDU/CSU-Fraktion wird hier also nicht gebraucht und hat damit auch keine Verhandlungsposition.

Es ist möglich, dass sich der Bundestag auf die Notfallklausel im Grundgesetz beruft

Beim Sondervermögen Bundeswehr, das im Juni mit 100 Milliarden Euro eingerichtet wurde, war dieser Weg nicht gangbar. Der schlechte Ausrüstungszustand der Bundeswehr galt nicht als „außergewöhnliche Notsituation“. Dass die Bundeswehr marode ist, war schließlich keine Folge der russischen Aggression. Damit die Schuldenbremse für das Sondervermögen Bundeswehr dennoch nicht gilt, mussten Bundestag und Bundesrat mit Zweidrittelmehrheit das Grundgesetz ändern.

Probleme könnte es beim neuen Energiepreis-Abwehrschirm nur an einem Punkt geben. Die Ausgaben sollen in den Jahren 2022 bis 2024 erfolgen, sie werden aber nur im Jahr 2022 bei der Prüfung der Schuldenbremse berücksichtigt. Diese Buchungsmethode ist für Finanziminister Lindner vorteilhaft, denn sie ermöglicht ihm, die Schuldenbremse 2023 wieder einzuhalten (zumindest kann er dies derzeit glaubhaft ankündigen).

Diese trickreiche Buchungsregel wurde erst vor rund einem Jahr im Zusammenhang mit dem zweiten Nachtragshaushalt für 2021 eingeführt – gegen den inzwischen 197 Abgeordnete der CDU/CSU-Bundestagsfraktion beim Bundesverfassungsgericht geklagt haben. Und ein Erfolg der Unions-Klage in Karlsruhe könnte auch die Pläne der Ampel mit dem Abwehrschirm noch durcheinanderbringen. Insbesondere die Einhaltung der Schuldenbremse im Jahr 2023 wäre in Gefahr.

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