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Antisemitismus auf documenta 15 in KasselWerk von Taring Padi verhüllt

Nach heftiger Kritik werden Teile des Werks „People's Justice“ abgedeckt. Das Künstlerkollektiv „Taring Padi“ entschuldigt sich für „entstandene Verletzungen“.

Ein Mitarbeiter der documenta fifteen verhüllt am 20. Juni das Werk „People’s Justice“ (2002) Foto: Swen Pförtner/dpa
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Kassel epd | Nach Antisemitismusvorwürfen gegen die Kunstausstellung documenta fifteen wird eines der dort gezeigten Werke verhüllt. Das für die Arbeit „People's Justice“ verantwortliche indonesische Künstlerkollektiv „Taring Padi“ habe gemeinsam mit der Geschäftsführung und der Künstlerischen Leitung entschieden, das betreffende Banner am zentralen Kasseler Friedrichsplatz zu verdecken und eine Erklärung dazu zu installieren, teilte die documenta mit.

„Taring Padi“ erklärte, ihr Werk stehe „in keiner Weise mit Antisemitismus in Verbindung“. „Wir sind traurig darüber, dass Details dieses Banners anders verstanden werden als ihr ursprünglicher Zweck. Wir entschuldigen uns für die in diesem Zusammenhang entstandenen Verletzungen“, heißt es in der Erklärung vom Montagabend.

Zuvor hatten neben anderen die Bundesregierung, die hessische Landesregierung und der Zentralrat der Juden scharfe Kritik geäußert. Kulturstaatsministerin Claudia Roth und die hessische Kunstministerin Angela Dorn (beide Grüne) warfen dem Künstlerkollektiv eine „antisemitische Bildsprache“ vor.

Auf einem Detail des kritisierten Banners ist ein Mann in Anzug und Krawatte zu sehen, haifischartige Raffzähne ragen aus dem Mund, daneben eine Zigarre. Eine angedeutete Schläfenlocke hängt herunter, auf dem Hut prangt die SS-Rune. Auf einem anderen Detail wird unter einem Kanonenrohr eine Person in Uniform gezeigt, sie trägt die Nase eines Schweins, das bei gläubigen Juden oder Moslems als unrein gilt. Auf dem roten Halstuch ist der Davidstern zu sehen, auf dem Helm der Name des israelischen Geheimdienstes Mossad.

Zwanzig Jahre altes Werk

Das indonesische Kollektiv „Taring Padi“ erklärte dazu: „Unsere Arbeiten enthalten keine Inhalte, die darauf abzielen, irgendwelche Bevölkerungsgruppen auf negative Weise darzustellen. Die Figuren, Zeichen, Karikaturen und andere visuelle Vokabeln in den Werken sind kulturspezifisch auf unsere eigenen Erfahrungen bezogen.“ Die Banner-Installation „People's Justice“ sei 2002 entstanden und bereits an vielen verschiedenen Orten gezeigt worden.

Sie sei Teil einer Kampagne gegen Militarismus und Gewalt, die die Gruppe während der 32-jährigen Militärdiktatur zwischen 1966 und 1998 in Indonesien erlebt hätten, und deren Erbe, das sich bis heute auswirke.

Die Ausstellung von „People's Justice“ auf dem Friedrichsplatz sei die erste Präsentation des Banners in einem europäischen und deutschen Kontext. Sie war bei den ersten beiden Tagen der Pressebegehung letzten Mittwoch und Donnerstag in Kassel noch nicht zu sehen gewesen.

„Als Zeichen des Respekts und mit großem Bedauern decken wir die entsprechende Arbeit ab, die in diesem speziellen Kontext in Deutschland als beleidigend empfunden wird. Das Werk wird nun zu einem Denkmal der Trauer über die Unmöglichkeit des Dialogs in diesem Moment“, heißt es in der Erklärung. Das Kollektiv „Taring Padi“ hofft eigenen Worten zufolge, „dass dieses Denkmal nun der Ausgangspunkt für einen neuen Dialog sein kann“.

Suche nach weiterer Expertise

Die documenta-Generaldirektorin Sabine Schormann erklärte, alle Beteiligten bedauerten, dass Gefühle verletzt worden seien. „Gemeinsam haben wir beschlossen, das Banner zu verdecken. Ergänzend holen wir weitere externe Expertise ein“, kündigte Schormann an.

Die internationale Kunstausstellung documenta war am Samstag in Kassel eröffnet worden. Dabei hatte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Verantwortlichen für ihren Umgang mit seit Monaten erhobenen Antisemitismus-Vorwürfen kritisiert.

Kritisch diskutiert wird auch die Arbeit „Guernica Gaza“ (siehe taz vom 19.6.) der palästinensischen Künstlergruppe „The Question of Funding“. Es zeigt israelische Soldaten, die palästinensische Bauern angreifen – in Anlehnung an Pablo Picassos Bild „Guernica“.

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25 Kommentare

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  • Mir fehlt in dem Zusammenhang die Kritik am strukturellen Antisemitismus, daran, dass "Antikapitalistischen" oft Kapitalisten als Schweine o.ä. darstellen. Und nicht nur Geheimdienste wie auf dem Plakat werden als Schweine dargestellt. In DE ist das "Bullenschwein" ein gängiges Wort. Dazu die personalisierte Kritik am Kapitalismus bezogen auf Unternehmer bis hin zu Politikern. ( homepage.univie.ac...antisemitismus.pdf )

  • Eine gouvernantenhaft -agressive Gefühlskälte gg künstlerisch begabte und verspielte Mitmenschen macht sich immer mehr breit:



    Jetzt entschuldigen sich diese schon für etwas, dass sie gar nicht getan bzw gemeint haben.



    Besser wär es, sich nichts gefallen zu lassen. Als man Beuys eine blutige Nase schlug, hat er instinktiv zurück geschlagen u genauso instinktiv ein Wandkruzifix empor gereckt.



    An alle Künstler:



    "Tobt auch der Pöbel in den Gassen, ei mein Kind, so lass ihn schrei’n



    Denn sein Lieben und sein Hassen ist verächtlich und gemein!



    Während sie uns Zeit noch lassen, wollen wir uns Schönerm weih’n"

    • 2G
      21659 (Profil gelöscht)
      @Lästige Latte:

      Es ist immer so ne Sache, mit dem was man meint oder eben nicht. Geht jmd. mit erhobenem rechten Arm durch die Straßen, denken die meisten wohl nicht an die Römer und "Ave Augustus". Die AfD will ihre "Beiträge" auch meist anders gemeint haben. Und wofür haifischartige Raffzähne, Schläfenlocken, Davidsterne und gewisse andere Stereotypen stehen, sollte auch einen Künstlerkollektiv aus dem muslimisch geprägten Indonesien bekannt sein. Ein solches "Kunstwerk" geht meiner Meinung nach gar nicht.

  • Manche Leute erkennen Antisemitismus auch dann nicht, wenn er auf ihrem Schoß sitzt und sagt:

    "Hallo, ich bin's, der Antisemitismus."

    Die sagen dann: "Ach was, kann nicht sein, Du bist doch die Israelkritik."

    • @Jim Hawkins:

      Ich denke, es ist eine Frage des "benefit of doubt". Es sind ja häufig die gleichen Leute, die beim antischwarzen Rassismus hochsensibel gegenüber jeder Art von Mikroagression sind und selbst ein Zitat des "N-Wortes" als "Reproduktion von Rassismus" sehen (von einer "J-Sau" habe ich noch nie gelesen). Beim Antisemitismus muss aber schon einer sprichwörtlich mit der Hand am Gashahn erwischt werden, damit man den einräumt...

      • @Meister Petz:

        "Beim Antisemitismus muss aber schon einer sprichwörtlich mit der Hand am Gashahn erwischt werden, damit man den einräumt..."

        Bitter, aber bildhaft gut formuliert.

    • @Jim Hawkins:

      Bei manch anderen ist es genau umgekehrt.

    • @Jim Hawkins:

      PS:



      1. Im "Stürmer" hätte der karikierte Jude natürlich nicht die Aufschrift "SS" auf dem Hut getragen. Die Kunst geht eben mit der Zeit.



      2 Many thanks für Ihren unermüdlichen Einsatz.

    • @Jim Hawkins:

      Bei manchen mag das so sein. Aber ich denke, Frau Schormann wusste und weiß genau, was sie da macht. Erst werden gezielt diejenigen eingeladen, die sich erwartungsgemäß trauen, was sich Deutsche aus dem Kunstfunktionärsmillieu aufgrund ihrer Abhängigkeit von Staatsknete noch nicht trauen, dann wird ausgetestet, wie weit man mit denen gehen kann, dann wird ein wenig zurückgerudert und angekündigt, "weitere externe Expertise" einzuholen - was impliziert, dass man derartige Holzhammer-Klischee-Bilder so oder so sehen könne und noch nicht so richtig erforscht wäre, ob das aus dem "Stürmer" abgekupferte Zeug wirklich antisemitisch ist. Und das Ganze wird dann noch als "Perspektive des globalen Südens" verkauft, als wäre es nicht die Perspektive der deutschen Auftraggeber, die sich ja aussuchen können, wen sie einladen, und als wüsste das Künstlerkollektiv nicht, was ihre deutschen Geschäftspartner von ihnen erwarten.

      • @Budzylein:

        Ich bin trotz allem immer wieder erstaunt, wie ahnungslos und gleichgültig sich die Mitglieder des Kollektivs, das vor 80 Jahren den Versuch startete, alle Mitglieder des jüdischen Kollektivs zu ermorden, geben, wenn es um die Motive und die Bedeutung antisemitischer Stereotype geht.

        Es ist wohl wirklich so, dass der Nazi-Opa entlastet und Deutschland rehabilitiert werden soll.

        Eike Geisel nannte das "die Wiedergutwerdung der Deutschen".

        • @Jim Hawkins:

          Ich glaube nicht, dass es der Naziopa ist. Der darf keinesfalls entlastet werden, sondern er dient gut konserviert als Schreckgespenst zur Abgrenzung der guten Israelkritik vom bösen Antisemitismus. Vgl. die Cause Neubauer-Maaßen. Was Maaßen gesagt hat, war auf dem Schmidtschen Nazometer viel weniger antisemitisch als dieses Plakat, und trotzdem war er als Naziopa fällig. Ich würde vermuten, dass Fr. Neubauer bei Sprechern aus dem "globalen Süden" da deutlich konzilianter wäre. Während Opas ja auch nicht entlastet werden dürfen, wenn sie keine Nazis waren. Die haben schließlich den Klimawandel gemacht.

          Das mit der "Widergutwerdung" überzeugt mich, aber der Fokus ist ein anderer. Niucht auf die Vergangenheit, sondern auf die Zukunft: Damit die Deutschen wieder gut werden können, müssen die Juden schlecht werden. Wir haben aus der Geschichte gelernt, die nicht.

          • @Meister Petz:

            Also ich muss sagen, ihre Analyse stellt meine in Schärfe und Genauigkeit deutlich in den Schatten.

            Was gut ist, denn man lernt ja nie aus und momentan ist es im Schatten angenehmer als in der Sonne.

  • 1G
    164 (Profil gelöscht)

    Das ist wirklich lustig, just in der Zeit, wo gerade gerichtlich festgestellt wurde: die "Wittenberger Judensau" darf weiter an der Kirche hängen, wird zeitgenössische Kunst (aus Indonesien?) wegen antisemitischer Klischees aus einer Kunstmesse entfernt. Alle Achtung! Aber ist eh schlecht gemalt, oder?

    • @164 (Profil gelöscht):

      Für das, was in den Künstlern- mehr oder weniger unbedarft - Raum gegriffen haben dürfte, find ich es auch maltechnisch ganz gut zum Ausdruck gebracht.



      Aber dieser gesamtgesellschaftliche Affront gg dieses Kunstwerk erinnert doch sehr massiv an Deutschlands Zeiten der "Entarteten Kunst".



      Das darf man- gerade wegen der Vielschichtigkeit der momentanen Debatte - nicht verschweigen.



      Es ist einfach zu präsent.

  • "Die documenta-Generaldirektorin Sabine Schormann erklärte, alle Beteiligten bedauerten, dass Gefühle verletzt worden seien. „Gemeinsam haben wir beschlossen, das Banner zu verdecken. Ergänzend holen wir weitere externe Expertise ein“, kündigte Schormann an."

    Man fasst es nicht! Frau Schormann möchte auch jetzt das böse "A"-Wort nicht in den Mund nehmen und wartet lieber ab, bis ihr jemand erklärt, was Antisemitismus ist und wie er sich ikonographisch manifestiert. Stattdessen schwadroniert sie im besten Betroffenheits-Jargon lieber von "verletzten Gefühlen". Ja klar, die Juden sind bei dem Thema eben einfach ein bisschen übersensibel und neigen zu hysterischen Reaktionen.

    Aber immerhin klären sich nun die verbalen Rundumschläge gegen die Kritiker im Vorfeld dieser Documenta: Frau Schormann will einfach keinen Antisemitismus sehen, weil eben nicht sein kann, was nicht sein darf!

  • Machen wir uns ehrlich: dies ist aggressiver Judenhass.

    Warum thematisierte das indonesische Künstlerkollektiv „Taring Padi“ nicht die menschenverachtende Unterdrückung von Uiguren in China?

    Der Hass auf alles Jüdische ist omnipräsent. Keine Kunstausstellung dieser Welt sollte diesem Künstlerkollektiv ein Forum bieten.

  • Das Kunstwerk aus dem Jahr 2002 wird nach 20 Jahren Ausstellungen in aller Welt in Deutschland zensiert. Das ist eine Schande.

    • @Kappert Joachim:

      Es ist wirklich eine Schande, daß diese antisemitsche "Kunst" so lange gezeigt werden konnte.

  • Auf demselben Bild sind andere Personen, Soldaten mit Helmen, zu sehen, auch mit gebleckten Zähnen und wildem Blick oder anderweitig karikiert, mit den Aufschriften CIA, MI-6...wird deshalb den AutorInnen Antiamerikanismus oder Hetze gegen das britisches Volk vorgeworfen? Israel - der Staat - spielt genauso mit beim großen Geopolit-Schach, der Mossad mordet und intrigriert wie seine großen Geheimdienst-Brüder. Mich erstaunt die mediale Einigkeit in den Angriffen auf das KünstlerInnenkollektiv. Genauso wie Antisemitismus sich hinter Kritik an Israel verstecken kann, kann Kritik an Israel mit dem Antisemitismusvorwurf zensiert werden.

  • Ich kann die Judensau beurteilen und ich kann (mitunter schlechte) Kunstwerke aus anderen Kulturkreisen identifizieren. Mir geht echt auf den Senkel, mit welcher rigorosen Selbstgerechtigkeit in diesem Täterland auf Menschen mit völlig anderem Hintergrund und zum Teil heftigster Unterdrückungserfahrung losgegangen wird, während gleichzeitig Typen wie Luther nach wie vor höchste Verehrung entgegen gebracht wird.

    „Dieser Reformator hat „unserem Herren und der Christenheit zu Ehren" als Schluss einer 170seitigen Tirade zur Verteufelung der Juden eine Anleitung für die Judenverfolgung entwickelt. Eine Agenda der Unmenschlichkeit, die von den Nationalsozialisten gleichsam Punkt für Punkt „abgearbeitet" wurde.“

    • @guzman:

      Indonesien wurde von Juden unterdrückt? Hört, hört. Oder welche "Unterdrückungserfahrung" ist gemeint?

      • @charly_paganini:

        Das liebe ich an euch selbstgerechten Antisemitismusbeauftragen und Täterenkeln, von Suharto noch nie was gehört aber dessen Opfer sollen die deutsche Geschichte auswendig kennen und auch noch für deutsche Verbrechen büßen.

        zu Suharto - Machthaber bis 1998 (Wikipedia)



        „In der Innenpolitik zeigte der General große Grausamkeit und schaltete jegliche Opposition aus. Während seiner Machtergreifung wurden beim Massaker in Indonesien 1965–1966 nach verschiedenen Schätzungen zwischen 400.000 und einer Million Kommunisten und regierungskritische Studenten ermordet. Gleichzeitig mit ihrer Ermordung fand auch ein Völkermord an den Chinesen Indonesiens statt.

    • 0G
      03998 (Profil gelöscht)
      @guzman:

      "Täterland"? - wenn es um die Vergangenheit geht gilt das für viele Länder(China, Russland, Groß Britanien, USA usw). Geht es um die Gegenwart, dann sollten "die Menschen mit völlig anderem Hintergrund und zum Teil heftigster Unterdrückungserfahrung" doch diese thematisieren und nicht auf Nazi-Symbolik zurückgreifen, die in unserem"Täterland" heutzutage wirklich übel ankommt.

      • @03998 (Profil gelöscht):

        Sie wissen nicht wer die 6 Millionen Juden ermordet hat? Oder spielt das für sie bei dieser Diskussion eine untergeordnete Rolle? … tz tz