Steinmeier unerwünscht in Kiew: Auf das Kanzleramt kommt es an

Die Ausladung des Bundespräsidenten sorgt in Berlin für Ärger. Gleichzeitig häufen sich jene Stimmen, die mehr Waffen an die Ukraine liefern wollen.

Frank-Walter Steinmeier stützt sein Kinn auf dem Handrücken ab und guckt enttäuscht

Sichtlich enttäuscht: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zu Besuch in Warschau am Dienstag Foto: Christian Spicker/imago

BERLIN taz | SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich ist kein Mann scharfer Worte. Er tritt, für einen Spitzenpolitiker ungewöhnlich, fast immer verbindlich und zugewandt auf. Auch im Bundestag kontert er Angriffe meist milde und sachlich. Doch nach der demonstrativen Ausladung von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier aus Kiew platzte dem SPD-Mann der Kragen.

Er erwarte, dass „alle demokratischen Parteien unser Staatsoberhaupt vor ungerechtfertigten Angriffen schützen“. Und weiter: „Bei allem Verständnis für die existentielle Bedrohung der Ukraine durch den russischen Einmarsch erwarte ich, dass sich ukrainische Repräsentanten an ein Mindestmaß diplomatischer Gepflogenheiten halten und sich nicht ungebührlich in die Innenpolitik unseres Landes einmischen.“

Das richtet sich gegen den ukrainischen Botschafter Andrij Melnyk, der sich weit mehr Kritik an deutschen Politikern erlauben kann als je ein Diplomat zuvor. Denn Deutschland hat angesichts der Terrors der russischen Armee ein schlechtes Gewissen. Hätten auch die USA vor dem 24. Februar, so wie Deutschland, keine Waffen an Kiew geliefert – die Ukraine wäre schon ein russisch beherrschter Satrapenstaat.

Steinmeier gilt vielen in der Ukraine als Gesicht der russlandfreundlichen Politik. Doch die Ausladung des Bundespräsidenten hat in der politischen Klasse in Berlin unisono für Verärgerung gesorgt, in unterschiedlichen Graden. Außenministerin Annalena Baerbock erklärte knapp, sie hätte Steinmeiers Reise „für sinnvoll gehalten“. Deutlicher äußerte sich FDP-Mann Alexander Graf Lambsdorff, der die Ausladung für „sehr unglücklich“ hält.

Selenski will Druck auf Scholz ausüben

Als die Nachricht von dem diplomatischen Affront Richtung Berlin kam, war Agnes Strack-Zimmermann, Vorsitzende des verteidigungspolitischen Ausschusses des Bundestags, dort, wo Steinmeier nicht hindarf – in der Ukraine, genauer gesagt in Lwiw. Die FDP-Politikerin war zusammen mit SPD-Mann Michael Roth (Auswärtiger Ausschuss) und dem Grünen Toni Hofreiter (Europaauschuss) in die Westukraine gereist.

Das Ziel der drei Ausschussvorsitzenden, die alle die deutsche Zurückhaltung bei Waffenlieferungen kritisieren: Sie wollten beim Treffen mit ukrainischen Parlamentariern ein Signal setzen, dass Berlin mehr tun wird. Mit den ukrainischen Kollegen, so Strack- Zimmermann, habe man die Ausladung nicht groß besprochen. Der Eindruck der FDP-Frau: Die vier Rada-Abgeordneten waren ähnlich irritiert über Selenskis Affront wie Wladimir Klitschko, der Bruder des Kiewer Bürgermeisters Vitali. Der erklärte: wichtig sei die „gemeinsame Front gegen die russische Invasion“ – und kein Streit zwischen Kiew und Berlin.

Der rüde diplomatische Fußtritt aus Kiew richtet sich nicht nur gegen Steinmeier. Er ist ein nassforscher Versuch, Druck auf Kanzler Scholz zu machen, den Selenski gleichzeitig nach Kiew einlud. Die Ukraine will mit allen Mitteln erreichen, dass Berlin mehr tut. Ein Ölembargo hält man in der Ukrai­ne für ganz schnell machbar. Öl ist der größte Devisenbringer für Moskau. Und es geht um schwere Waffen, Schützen – und Kampfpanzer. Kanzler Olaf Scholz (SPD) ist bei dem Thema sehr zurückhaltend. Doch angesichts der grauenhaften Bilder des russischen Terrors wird es zusehends schwieriger, diese Position zu halten.

Der Grüne Toni Hofreiter sagte dazu: „Unsere Minister drängen darauf, mehr Waffen zu liefern. Wir wissen nicht, warum Scholz so lange zögert.“ Hofreiter hält ein schnelles Öl­embargo, das die Ukraine will, für machbar. Das sei in zwei Wochen umsetzbar. Das umstrittene und für die deutsche Wirtschaft schmerzhafte sofortige Gasembargo habe bei den Diskussionen in Lwiw indes keine große Rolle gespielt – ebenso wenig wie eine Flugsverbotszone. Will sagen: Die Politiker in der Ukraine ticken rational und verstehen, wie die deutsche Politik tickt – ein Eindruck, den Selenskis Ausladung des Bundespräsidenten nicht unbedingt vermittelte.

100 Schützenpanzer von Rheinmetall

Die Debatte um Waffenlieferungen fokussiert sich auf 100 alte Schützenpanzer, die Rheinmetall liefern will. Das ist eher unterkomplex. Denn es würde Zeit brauchen, bis das ukrainische Militär diese Panzer einsetzen kann. Die Angaben, wie lange, schwanken irritierenderweise zwischen mehreren Wochen (Waffenlieferungsbefürworter) und drei Jahren (Waffenlieferungsskeptiker).

Sicher ist, was schnell hilft: das Modell Slowakei. Die vermachte der Ukraine ein altes ­sowjetisches Flugabwehrsystem, das unter anderem von Deutschland mit modernen Waffen ersetzt wurde. Das soll jetzt die Blaupause für die rasche Militärhilfe an Kiew sein: sowjetische, sofort einsatzfähige Waffen liefern und die durch neue westliche Waffen in den Lieferstaaten ersetzen.

Mittelfristig müsse man auch schwere, westliche Waffen an die Ukraine liefern und zudem ukrainisches Militär auf Nato-Gebiet ausbilden, so Roth, Hofreiter und Strack-Zimmermann. Das Gegenargument, dass der Westen sich damit gefährlich Richtung Kriegsbeteiligung bewege, will niemand der drei gelten lassen. Das sei ein Argument, um nichts zu tun.

Die FDP-Politikerin Strack-Zimmermann hat zwei konkrete Forderungen: „Wir müssen dringend auch schwere Waffen liefern. Und das muss im Kanzleramt koordiniert werden“. Nur so sei ein reibungsloser Ablauf zwischen Verteidigungsministerium, Auswärtigem Amt und Wirtschaftsministerium gesichert. Will sagen: Auf das Kanzleramt kommt es an.

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