Ein junge in weißen Gewand steht vor einem zerstörten sandfarbenen Gebäude.

Fast eine ganze Generation von Kindern im Jemen kennt nur Krieg, so wie dieser Junge in Sana'a Foto: Khaled Abdullah/reuters

Siebter Jahrestag des Jemenkriegs:„Wir sind auch Menschen“

Im Jemen herrscht seit sieben Jahren Krieg. In dem Konflikt gibt es viele Parteien, noch viel mehr Opfer und wenig internationale Aufmerksamkeit.

Ein Artikel von

26.3.2022, 13:54  Uhr

Am 26. März 2015 begann der Krieg im Jemen. In den vergangenen sieben Jahren führte er zu einer humanitären Katastrophe: Ende November 2021 schätzte das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen, dass er bis zum Ende des Jahres rund 377.000 Menschen das Leben gekostet haben wird – davon 154.000 durch Kampfhandlungen und Gewalt und 223.000 durch indirekte Folgen des Krieges.

Seit 2015 werden die Flug- und Seehäfen des Jemen immer wieder von Saudi-Arabien – eine der vielen Konfliktparteien im Land – blockiert. Das soll dazu dienen, iranische Waffenlieferungen an die Huthi-Rebellen – eine weitere Kriegspartei – abzufangen, sie unterbinden aber auch die Lieferung von Nahrungsmitteln, Treibstoff und humanitären Gütern. Saudi-Arabien streitet das immer wieder ab. Laut eines Berichts des Welternährungsprogramms leben im Jemen heute über 17 Millionen Menschen in Ernährungsunsicherheit, haben also keinen ausreichenden Zugang zu Nahrungsmitteln. Etwa 3,5 Millionen Menschen sind akut unterernährt, 31.000 in einem „einer Hungersnot ähnlichen“ Zustand.

Sukaina Sharafuddin von Save the Children – ansässig in der jemenitischen Hauptstadt Sana'a – sagt: „Jedes Mal, wenn wir denken, dass wir den Tiefpunkt erreicht haben, sinken wir tiefer.“ Sie hat selbst einen 6-jährigen Sohn, der im Krieg aufgewachsen ist. „Die Welt ist nie sicher, egal, ob er zuhause oder in der Schule ist“, sagt sie. Die Jemeniten würden zusätzlich in die Ecke gedrängt von „stillen Killern“ – Krankheiten und Hunger, die indirekten Folgen des Krieges.

In der westlichen Aufmerksamkeit findet der Jemenkrieg deutlich weniger Beachtung als etwa der in der Ukraine. Das liegt unter anderem daran, dass die westlichen Nationen nicht direkt beteiligt sind, außerdem kaum Jemeniten nach Deutschland flüchten. Auch rassistische Denkmuster spielen eine Rolle. Aber es liegt auch daran, dass im Jemen vier große Konfliktparteien, und noch viel mehr kleinere Gruppen, gegeneinander kämpfen. Sie alle haben unterschiedliche Ziele und Vorstellungen davon, was aus dem Land werden soll. Das macht den Krieg schwierig zu verstehen. Um das zu versuchen, muss man zurückblicken: Auf die koloniale Teilung des Landes, seine Allianzen im Kalten Krieg, den Einfluss von Jihadisten und den globalen „war on terror“ gegen sie, und auf den Wettstreit um die Vorherrschaft in den muslimisch geprägten Ländern zwischen dem Iran und Saudi-Arabien.

Ein Blick in die Vergangenheit

Bis 1990 war der Jemen entlang der Linien früherer Kolonialbesetzungen geteilt. Der Norden war lange immer wieder vom Osmanischen Reich besetzt, wurde dann das Königreich Jemen, anschließend die Jementische Arabische Republik, die von den USA und Saudi-Arabien unterstützt wurde. Der Süden des Landes war eine britische Kolonie, bis es sich – mit anhaltender sowjetischer Unterstützung – 1967 von der Krone befreite und zur Demokratischen Volksrepublik Jemen wurde. Bei der Wiedervereinigung wurde Ali Abdullah Saleh, bisher Präsident der Nord-Republik, zum Staatsoberhaupt.

Immer wieder versuchten danach nicht-staatliche Gruppen auf beiden Seiten die Macht an sich zu reißen: Separatisten im Süden und die Zaidis, eine Untergruppe schiitischer Muslime, im Norden. Nach dem 11. September 2001 ging Jemens nördlicher Nachbar, Saudi-Arabien, hart gegen Anhänger Al-Qaidas vor, von denen viele in den Jemen flohen und sich dort regruppierten. Der „Krieg gegen den Terror“ nahm damit auch im Jemen Fahrt auf, die USA intensivierten ihre Unterstützung für den noch immer regierenden Saleh, trotz wiederkehrender Korruptionsvorwürfe.

Der arabische Frühling erreichte 2011 den Jemen. Saleh trat schließlich zurück, sein Vize Abd Rabbu Mansour Hadi, der aus dem Südjemen stammt, wurde Übergangspräsident. Unterstützt wird er durch das Gulf Cooperation Council (GCC), das als Reaktion auf die islamische Revolution im Iran gegründet wurde und dem Saudi-Arabien und die weiteren Golfstaaten angehören. Hadi hat außerdem den Rückhalt der USA. Er sieht sich bis heute als Staatsoberhaupt, formal endete seine Amtszeit 2014.

Ihm und seinen Unterstützern feindlich gesinnt sind die vom Iran unterstützten Huthi-Rebellen. Im Jahr 2014 begehrten die Huthis – nachdem Hadi Subventionen auf Treibstoff aufgehoben hatte – auf, riefen die Menschen zu Protesten auf und griffen schließlich zu den Waffen. Zum Ende des Jahres hatten sie die Hauptstadt Sana'a eingenommen, im Januar 2015 trat Hadi zurück und floh nach Saudi-Arabien. Kurz darauf, am 26. März 2015, begann die saudische Militäroffensive gegen die Huthis. Die haben mittlerweile große Teile des Nordwestens des Jemen erobert, inklusive der Hauptstadt Sana'a, die traditionell von Schiiten bewohnten Gebiete, sowie einige sunnitische Teile. Der Südosten des Landes wird von der Übergangsregierung von Hadi, der Südwesten teilweise vom Southern Transitional Council (STC) kontrolliert, eine von den Vereinigten Arabischen Emiraten unterstützte Separatistengruppe aus dem Südjemen.

Wer sind die Huthis?

Die beiden mächtigsten Kontrahenten im Jemenkrieg sind die Huthis und die Übergangsregierung mit ihren Unterstützern aus dem Golf. Der offizielle Name der Huthi-Rebellen ist „Ansar Allah“ – Anhänger Gottes. Nach ihrem früheren Anführer Hussein Beddredin al-Huthi werden sie meist als Huthis bezeichnet. Sie gehören den Zaidis an, eine Untergruppe der schiitischen Muslime. Nach ihrem Verständnis hat nur ein Nachkomme des Propheten Mohammad die Legitimation, über ein muslimisches Land zu herrschen. Weder Saleh noch Hadi erfüllen für sie dieses Kriterium. Ihr Heimatgebiet liegt um Sa’dah nahe der Grenze zu Saudi-Arabien.

Im westlichen Diskurs gelten die Huthis immer wieder als „die Guten“ in dem Konflikt. Das liegt einerseits am Vorgehen der Regierung von Saleh zwischen 2004 und 2010: Als die Huthis gegen seine Allmacht aufbegehrten, ging er hart gegen sie vor, zerstörte ganze Städte mit Bomben, unterdrückte sie. Ein weiterer ist die Kriegsstrategie des GCC: Saudi-Arabien und die Emirate kämpfen vor allem einen Luftkrieg, die zivilen Opferzahlen im Jemen sind enorm. Doch auch die Huthis verfolgen eine radikale Ideologie, die sich auch auf ihrer Flagge widerspiegelt: „Gott ist groß! Tod den USA! Tod Israel! Verdammt seien die Juden! Sieg dem Islam!“

Hisham Al-Omeisy kennt die Organisation von Nahem: Nachdem sie 2014 seine Heimatstadt Sana'a einnahmen, kritisierte er öffentlich sowohl das Handeln der Regierung als auch das der Huthis. Die entführten ihn, hielten ihn mehr als fünf Monate gefangen, davon vier in Einzelhaft. „Die Huthis versuchen, sich als Verteidiger des Jemen darzustellen“, erklärt er. Tatsächlich seien aber auch sie ein totalitäres Regime, das sich Kontrolle über den gesamten Jemen wünsche, um das Land nach ihren Vorstellungen umzugestalten. Sie sähen sich selbst als vom Propheten abstammend und leiteten daraus das Recht ab, den Jemen zu regieren. Seit ihrer Machtübernahme habe sich die Gruppe zunehmend radikalisiert. „Die Huthis sind weder Beschützer noch Befreier, sondern auch Aggressoren“, sagt er.

Die Gruppe wird vom Iran unterstützt. Raiman Al-Hamdani, der unter anderem beim European Council on Foreign Relations zum Jemen forscht und in Sana'a aufgewachsen ist, glaubt allerdings nicht, dass die Huthis dem iranischen Regime unterstellt sind: „Sie hören auf deren Anweisungen, wenn es ihnen auch nützt.“ Er erklärt die Beziehung zwischen den beiden so: „Die Huthis blicken zum Iran auf und sehen ihn als ein inspirierendes Staatsmodell.“ Generell glaubten schiitische Muslime, sagt er, dass sie – bei Unzufriedenheit mit ihrer aktuellen Situation – sich Revolutionären zuwenden sollten. Sunnitische Muslime glaubten eher an die Legitimität des gerade Herrschenden, auch in harten Zeiten. Beide Ansichten ergeben sich aus unterschiedlichen Interpretationen der frühen islamischen Geschichte. Dieser ideologische Graben erschwert einen möglichen Konsens und Frieden.

Der Iran wiederum baut so sein Netzwerk aus. Er unterstützt in Westasien mehrere schiitische Milizen, etwa die libanesische Hisbollah, schafft strategische Allianzen in sonst mehrheitlich sunnitischen oder sunnitisch regierten Ländern. Auch ihre Waffen erhalten die Huthis vor allem aus dem Iran, immer wieder werden Lieferungen von der US-Armee aufgehalten. Mittlerweile reichen ihre Raketen bis nach Saudi-Arabien und in die Emirate. „Als die Bindung zwischen den beiden immer stärker wurde, hat Saudi-Arabien reagiert“, sagt Al-Hamdani.

Weshalb ist der Krieg so blutig?

Das GCC, allen voran Saudi-Arabien und die Emirate, unterstützt die Übergangsregierung von Hadi und geht mit extremer Härte gegen die Huthis und die Zivilbevölkerung vor. Am 26. März 2015 bombardierte Saudi-Arabien sein erstes Ziel im Jemen. Allein im Januar 2022 gab es insgesamt 401 Luftschläge, seit Beginn des Krieges fast 24.900, sagt das Yemen Data Project (YDP), das Daten zu den Bombardements der von Saudi-Arabien geführten Militärkoalition sammelt. Am stärksten betroffen ist Sa’dah, die Heimat der Huthis. Von allen Bombardements seit Beginn des Krieges betrafen laut YDP 7.040 nicht-militärische Ziele, davon fast 2.400 Privathäuser.

Die Angriffe sind zu großen Teilen verantwortlich für die hohe Zahl der zivilen Opfer im Jemen. Trotzdem verkaufen unter anderem Frankreich, die USA und Deutschland dem saudi-arabischen Königreich und seinen Verbündeten weiter Waffen. Einige Beispiele: Frankreichs Verkäufe an die Monarchie legten etwa alleine 2018 um 50 Prozenz zu. Etwa 74 Prozent der gesamten Waffen-Importe von Saudi-Arabien stammten zwischen 2015 und 2019 aus den USA, auch die Emirate bezogen etwa zwei Drittel ihrer Importe von ihnen. Deutschland erlaubte 2020 Waffenexporte in Höhe von 51 Millionen Euro in die Emirate. Den westlichen Ländern wird daher eine Mitschuld am Leid der Bevölkerung im Jemen vorgeworfen.

Das Southern Transitional Council (STC) ist die dritte große Konfliktpartei im Jemen und wurde aus der Organisation Al-Hirak geboren – eine Gruppe aus dem Südjemen, die sich seit 2007 – auch mit Gewalt – für eine Rückkehr zu den Grenzen vor der Wiedervereinigung einsetzt. Denn die sei vor allem für Südjemeniten enttäuschend gewesen, sagt Al-Omeisy. Viele fühlten sich bis heute marginalisiert, sehen ihre Bodenschätze von Nordejemeniten geraubt. Die Gruppe wird von den Vereinigten Arabischen Emiraten unterstützt. Denn einer der größten Feinde der Emirate ist die Muslimbruderschaft. Die Al-Islah-Partei, mit der Hadis Vizepräsident Ali Muhsin al Ahmar assoziiert ist, ist eng mit ihnen verbunden. Die Emirate wollen deren Einfluss schwächen. Gleichzeitig unterstützen sie aber durch das GCC die Übergangsregierung, die auch gegen das STC kämpft.

Neben den Huthis, der GCC mit der Übergangsregierung und dem STC, ist auch Al-Qaida im Land aktiv. Die Entführung von zwei Mitarbeitenden von Ärzte ohne Grenzen vor drei Wochen wird ihnen zugerechnet, kurz zuvor verschwanden fünf UN-Angestellte. Die USA schicken immer wieder Drohnen nach ihnen. Laut Airwars, einer gemeinnützigen Organisation, die den Krieg aus der Luft in verschiedenen Ländern dokumentiert, gab es im Jemen seit Januar 2017 181 US-Bombardements, bei denen wahrscheinlich mindestens 77 Zivilisten starben.

Als Reaktion auf die enorme Zahl an Luftschlägen ab 2015 rief der UN-Menschenrechtsrat im Herbst 2017 die Group of Eminent Experts (GEE) ins Leben. Die Expertengruppe sollte Belege für Verstöße gegen das Völkerrecht sammeln und publizierte während ihres Bestehens dazu vier Berichte, in denen sie unter anderem dazu rieten, Waffenexporte an die beteiligten Staaten auszuschließen. Saudi-Arabien lobbyierte für die Abwicklung des GEE und hatte 2021 schließlich Erfolg: Das Mandat wurde nicht weiter verlängert.

Die Hohe Kommissarin für Menschenrechte, Michelle Bachelet, bestätigte damals, dass es sich bei den „vielen Attacken, die gegen Zivilisten gerichtet sind oder diese überproportional betreffen“ um Kriegsverbrechen handeln könnte. Auffällig ist, dass die Luftschläge im Jemen deutlich zurückgingen, während die Gruppe aktiv war. Ab April 2018 sanken sie kontinuierlich ab und verharrten – mit wenigen Ausreißern – bis Dezember 2021 auf einem niedrigeren Niveau, seitdemsteigen sie wieder an. Das Ende des GEE sei eine Katastrophe für die Menschen im Jemen und ermögliche Straflosigkeit für die Kriegsparteien, sagt Sharafuddin. Von der internationalen Community sei sie enttäuscht.

Wie kann dem Jemen geholfen werden?

Al-Omeisy sagt: Die Politiker, die formell noch an der Macht seien – etwa Hadi im saudi-arabischen Exil – repräsentierten die Menschen im Jemen schon lange nicht mehr. „Die meisten von ihnen sind korrupt, haben das Land längst verlassen.“ Statt Diskussionen über die künftige Machtteilung im Land benötigten die Jemeniten jemanden, der die Minen von ihren Feldern räume und den Zugang zu Elektrizität sicherstelle. Die EU spreche bereits mit vielen Akteuren der Zivilgesellschaft im Jemen, sagt er, doch sie müsse dieses Netz ausweiten, den Menschen im Land zuhören, ihre Bedürfnisse ernst nehmen.

Und: „Ich bitte die Welt, den Jemen nicht zu vergessen. Ich weiß, es ist leicht, von der Ukraine in den Schatten gestellt zu werden, wie in der Vergangenheit von Libyen und Syrien. Mir ist klar, dass wir ein armes Land mit sehr wenig Ressourcen sind. Aber wir sind auch Menschen. Wir haben eine Chance auf ein besseres Leben verdient.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.