Berliner Reaktionen zu Putins Eskalation: Neue Lage, keine Pipeline

In der deutschen Politik ist man sich recht einig: Russlands Präsident ist zu weit gegangen. Nordstream 2 liegt auf Eis. Und nun?

Der Bundeskanzler im dunklen Mantel, dahinter ein Soldat

Bundeskanzler Scholz sagt nun doch „Njet“ zu Nord Stream 2 Foto: Michael Sohn/ap

BERLIN taz | Er hat's getan. Bundeskanzler Olaf Scholz hat das vorläufige Aus für die Gaspipeline Nordstream 2 verkündet. Auf absehbare Zeit wird also kein russisches Gas auf direktem Weg über diese zweite Pipeline nach Deutschland fließen. Dass Scholz diesen Schritt gegangen ist, ist freilich kein Sieg der Pipelinegegner, sondern eine Niederlage für den Kanzler. Sichtlich bedrückt sprach er am Dienstag im Kanzleramt von einer „neuen Lage.“

Eine Woche ist vergangen, seitdem Scholz voller Optimismus nach Kiew und Moskau reiste, der Ukraine wirtschaftliche Unterstützung zusicherte und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin die Hand ausstreckte: Lasst uns zurückkehren zum Dialog, das Minsker Abkommen zur Befriedung der Kämpfe in der Ostukraine endlich umsetzen und auch über russische Sicherheitsinteressen sprechen. Dem ukrainischen Präsidenten Wolodomir Selenski hatte er zuvor das Versprechen abgerungen, dass es Wahlen in den ostukrainischen Separatistengebieten geben und deren Weg in die Autonomie geebnet würde.

Michael Roth, SPD

„Ich finde es richtig, dass nun Klarheit herrscht“

Putin hat auf Scholz' Hand gespuckt und seinerseits Fakten geschaffen. Er hat die beiden Gebiete Donezk und Luhansk als unabhängig anerkannt und russische „Friedenstruppen“ in die Region entsandt. De facto ein Einmarsch in die Ukraine, und wie Scholz betonte, nicht nur ein Bruch des Minsker Abkommens, sondern aller völkerrechtlichen Vereinbarungen seit Helsinki. Dort einigten sich die Blöcke des Kalten Krieges vor 47 Jahren auf ein friedliches Miteinander in Europa. Am Montag hatte Putin den Bundeskanzler und den französischen Präsidenten noch telefonisch über sein Pläne informiert – eine demütigende Geste des Inkenntnissetzens.

Obwohl sich der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil am Dienstag im Willy-Brandt-Haus schützend vor seinen Kanzler stellte und mehrmals betonte, dass es richtig gewesen sei, Gesprächsangebote zu machen, so musste er doch das Scheitern der bisherigen Strategie eingestehen: „Die ausgestreckten Hände wurden weggeschlagen.“ Dennoch gelte es nun einen kühlen Kopf zu bewahren und weiteres Blutvergießen auf europäischem Boden zu verhindern.

Russland droht mit steigenden Gaspreisen

Doch wie stoppt man einen Aggressor, der die Sanktionen, die Scholz ja ebenfalls vor einer Woche auf Putins pompösen Tisch gelegt hatte, offenbar schon eingepreist hat? Scholz setzt nun zunächst auf die Einigkeit der Europäer und auf „konzentrierte und starke“ Sanktionen. Mit dem Stopp der Pipeline machte er klar, dass Deutschland, das 55 Prozent seines Gases aus Russland bezieht, bereit ist, seinen Preis dafür zu zahlen. Der russische Ex-Premierminister Dmitri Medwedew begrüßte Deutschland über Twitter schon mal in der „brave new world“ und drohte mit steigenden Gaspreisen.

Der SPD-Abgeordnete und Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses Michael Roth begrüßte gegenüber der taz dennoch den Stopp des Pipelineprojekts. „Ich finde es richtig, dass nun Klarheit herrscht, dass dieses Projekt nicht fortgesetzt wird.“ Sollte Putin sich eines Besseren besinnen, dann könnte Deutschland auch bereit sein, wieder über Nord Stream 2 zu reden, sollte es denn energiepolitisch noch benötigt werden. „Aber danach sieht es derzeit nun wirklich nicht aus.“

Roth sagte der taz, er hoffe, dass die Sanktionen Putin wieder zurück an den Verhandlungstisch bringen, und forderte nun harte Sanktionen für Putin und sein Umfeld. „Die Oligarchen, die sich in Berlin teure Wohnungen kaufen und in Österreich Skiurlaub machen, müssen spüren, dass wir es ernst meinen.“

Lieferungen von tödlichen Waffen wies Roth genau wie die Bundesregierung zurück. Er regte aber an, die Ukraine noch stärker wirtschaftlich zu unterstützen und auch weitere Schutzausrüstung zu liefern. „Das können gepanzerte Fahrzeuge, Schutzwesten oder Material aus Afghanistan zum Schutz der Bevölkerung sein.“ Für Mittwoch hat Roth zu einer Sondersitzung des Auswärtigen Ausschusses eingeladen.

Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) erklärte bei einem Besuch in Litauen die Bereitschaft Deutschlands, weitere Soldaten zu den Nato-Truppen in Osteuropa „beizusteuern“. Deutschland hat seine Truppen in Litauen wegen der Spannungen mit Russland zuletzt von 550 Soldaten auf rund 900 aufgestockt.

Der stellvertretende Vorsitzende der Union im Bundestag Johann David Wadephul erklärte, nun habe sich gezeigt, dass Russland unter Putins Führung kein verlässlicher Partner innerhalb einer europäischen Sicherheitsarchitektur sei. Er verlange „eine geschlossene Reaktion der Weltgemeinschaft.“ Welche, das führte er nicht aus.

Uneinigkeit bei Sanktionen

Einig waren sich fast alle Parteien in der Analyse, dass Putin zu weit gegangen sei. Selbst die Linkspartei, deren Außenexpertin Sevim Dagdelen am Montag noch forderte, die Nato möge das „Kriegsgeheul“ lassen. Am Dienstag sagte sie der taz, sie verurteile die einseitige Anerkennung der „Volksrepubliken“ als völkerrechtswidrig. Die Entsendung russischer Truppen bedeute „einen Bruch der Minsker Vereinbarungen und sei nicht zu rechtfertigen, auch wenn deren Umsetzung etwa in Bezug auf den Sonderstatus für Donezk und Luhansk seitens der Ukraine immer wieder vereitelt wurde“. Sanktionen erteilte Dagdelen eine Absage.

Genau wie die AfD-Fraktion im Bundestag. Der Draht der extrem rechten Partei zu Putin ist kürzer als bei den übrigen demokratischen Parteien. AfD-Chef Tino Chrupalla etwa besuchte im Wahlkampf vergangenen Juni Außenminister Lawrow in Moskau und sprach sich noch vor eineinhalb Wochen dafür aus, sich an die Annexion der Krim zu gewöhnen.

Zur aktuellen Lage ließen sich allerdings der Ehrenvorsitzende Alexander Gauland und der außenpolitische Sprecher Petr Bystron gewohnt Putin-nah zitieren: „Wir dürfen jetzt nicht den Fehler machen, Russland allein die Verantwortung für diese Entwicklung zuzuschreiben.“ Der Westen habe durch Ostererweiterung der Nato „legitime Sicherheitsinteressen Russlands“ verletzt. Die AfD sprach sich für eine Neutralität der Ukraine und eine Volksabstimmung aus.

Der AfD-Politiker Gunnar Lindemann aus dem Berliner Abgeordnetenhaus feierte gar unverhohlen die Anerkennung der Separatistengebiete durch Russland und fantasierte völlig realitätsfern „Frieden in der Ukraine-Krise“ herbei. In Vergangenheit ließ er sich von russischen Na­tio­na­lis­t*in­nen im Donbass hofieren und verbreitete Separatisten-Propaganda.

Dagegen konstatierte der Linken-Politiker und Chef der Thüringer Staatskanzlei Benjamin-Immanuel Hoff auf Twitter: „Die Sanktionen gegen Russland sind nötig.“

Allerdings weiß derzeit niemand, wie und ob sie wirken.

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