Koalitionsverhandlungen vor Abschluss: Schafft die Ampel die 1,5 Grad?
Der Koalitionsvertrag kann in der ersten Wochenhälfte fertig sein. Die Verhandlungen seien „brutal anstrengend“, sagt der Grüne Michael Kellner.
Eine zentrale Frage für die Grünen wird sein: Bringt die künftige Regierung Deutschland tatsächlich auf den 1,5-Grad-Pfad des Pariser Klimaschutzziels? Das hatten die Vorsitzenden Robert Habeck und Annalena Baerbock vor der Wahl als Bedingung für eine Regierungsbeteiligung genannt.
Die Grünen-Spitze steht unter besonderer Beobachtung: WissenschaftlerInnen, Umweltverbände und Fridays-for-Future-AktivistInnen werden penibel nachrechnen, ob die beschlossenen Maßnahmen reichen. „Ein Koalitionsvertrag sollte nicht nur finanziell auf Machbarkeit überprüft werden, sondern auch auf die Einhaltung der 1,5-Grad-Grenze“, schrieb die Grünen-Bundestagsabgeordnete und Klimaaktivistin Kathrin Henneberger am Sonntag auf Twitter.
Die grüne Parteispitze gab am Samstag auf einem Landesparteitag in Brandenburg ein paar Einblicke in ihr Seelenleben. Bundesgeschäftsführer Michael Kellner sprach von „brutal anstrengenden“ Verhandlungen.
Baerbock: „Hatten die Nase auch mal voll“
Baerbock sagte: „Wir hatten die Nase auch mal richtig voll, weil wir das Gefühl hatten, für den Klimaschutz sind nur die Grünen verantwortlich.“ Sie betonte, dass Klimaneutralität die Leitlinie für jeden Politikbereich sein müsse, nicht nur für ein Umweltressort, sondern auch für die Landwirtschaft, den Verkehr und auch für Wirtschaft und Industrie. „Klar ist, dass Klimaschutz kein einzelnes Kapitel in diesem Koalitionsvertrag sein kann.“
Gerade im ökologischen Bereich geht es in den Verhandlungen hart zur Sache. Auch Samstag und Sonntag saßen die wichtigsten VertreterInnen der drei Parteien zusammen, teils bis zum frühen Morgen. Seit sechs Tagen befasst sich die Hauptverhandlungsgruppe, in der die ChefInnen sitzen, mit allen noch offenen Punkten. Gut drei Tage davon ging es nach taz-Informationen um ökologische Themen. Aus Sicht der Grünen gibt es nach zwischenzeitlichen, von Habeck auch öffentlich geäußerten Zweifeln nun Fortschritte. „Wir haben bereits viel erreicht“, betonte Kellner.
Droht die Gefahr, dass die Koalition am Klimaschutz scheitert? Eher nicht. Klar ist: Die Grünen-Spitze wird kaum für ein Vertragswerk werben können, welches das Pariser Ziel deutlich und für alle erkennbar verfehlt. Das wäre Selbstverleugnung, die die Stabilität der Koalition bedrohen würde. Abgeordnete wie Henneberger müssten dann in der Fraktion mit einem Nein bei der Kanzlerwahl drohen.
Wahrscheinlicher ist ein anderes, offeneres Szenario. Das Ergebnis wird nicht so gut sein, wie es sich Baerbock und Co. wünschen – aber sie werden es als irgendwie gut oder ausreichend verkaufen. Ob der 1,5-Grad-Pfad tatsächlich eingehalten wird oder nicht, ist dann am Ende eine Interpretationsfrage. Entscheidend ist ja nicht nur das Vertragswerk, sondern auch das künftige Regierungshandeln – und das Mitziehen der Wirtschaft.
Während etwa die Fridays-AktivistInnen, die schon das Grünen-Wahlprogramm für nicht ausreichend hielten, die Kompromisse kritisieren werden, wird die Grünen-Spitze kontern, zumindest entscheidende Hürden aus dem Weg zu räumen. Zumal die Alternativen – rote Groko oder Neuwahlen – dem Klima noch weniger helfen dürften. Im interpretationsoffenen Fall ist ein Ja der Grünen-Basis sehr wahrscheinlich, denn die gesamte Parteiführung würde sich hinter den Vertrag stellen und für Zustimmung werben.
Scholz schaut schon auf Wiederwahl 2025
Der sozialdemokratische Nochnichtkanzler Olaf Scholz mühte sich am Wochenende, gute Stimmung zu verbreiten. Er lobte am Samstag „sehr gute, sehr konstruktive Gespräche, die auch schnell vorankommen“. Außerdem kündigte er an, die Ampel über die Legislaturperiode hinaus verstetigen zu wollen.
Wenn die Regierung zustande komme und im Dezember gewählt werde, „sollten wir antreten, um auch wiedergewählt zu werden“, sagte Scholz. „Wir wollen daraus ja eine längere Geschichte werden lassen, wenn die Bundeskanzlerwahl jetzt stattgefunden hat, und das bedeutet, dass man sich auch miteinander die ganze Zeit so aufführt wie eine Regierung, die das Land gut regiert.“
FDP-Chef Christian Lindner sieht das ähnlich. Er sagte der Süddeutschen Zeitung: „Eine Koalition sollte mit der Absicht antreten, gemeinsam wiedergewählt zu werden.“ Wenn man es anders angehe, führe das zu koalitionsinternem Wettbewerb. „Das schwächt eine Konstellation insgesamt.“ Wenn man die Wahlprogramme als Ausgangspunkt nehme, dann beginne die Ampel offensichtlich als Zweckbündnis. „Daraus kann zukünftig aber mehr entstehen.“
Wenn der Koalitionsvertrag mit den Ministerien für jede Partei vorgestellt ist, steht bei den Grünen eine Urabstimmung an. Die über 120.000 Mitglieder haben das letzte Wort zu dem Vertrag. Die Basisbefragung dauere etwa zehn Tage und werde digital organisiert, heißt es bei den Grünen.
SPD und FDP machen es sich einfacher. Beide Parteien planen Sonderparteitage, die SPD am 4. Dezember, die FDP am 5. Dezember. Olaf Scholz will sich in der Nikolauswoche ab dem 6. Dezember zum Kanzler wählen lassen.
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